Essen. Was hat Klassik mit Porzellan zu tun? Die Antwort gibt Ausnahme-Pianist Alexander Krichel, der bald in Essen und Mülheim auftritt, im Interview.

Er gilt als einer der beeindruckendsten Pianisten seiner Generation. Mehrfach schon war Alexander Krichel (31) zu Gast an der Ruhr. Nun gibt er mit Mozart sein Debüt – in Mülheim und Essen. Lars von der Gönna sprach mit ihm – auch über die Frage, ob Klassik wie Porzellan ist...

Hellhörig wurde die Klassik-Welt, weil der junge Alexander Krichel sich als halsbrecherisch famoser Liszt-Spieler vorstellte oder gefürchtete Klavierliteratur von Rachmaninow und Ravel mühelos zum Klingen brachte. In Essen spielen Sie Mozart – eine andere Welt...

Klar, es geht hier nicht um diese Art von Virtuosität. Mozart fordert einen ganz anderen Ausdruck. Es gibt diesen Satz, dass man Mozart nur als Kind spielen kann oder als sehr alter Mensch. Mein erster Agent, ich war etwa 15, hat mir gesagt: „Sie sind ein Mozart-Spieler!“ Das ist irgendwie hängengeblieben – es nahm mir die Berührungsängste.

Also: Welche Musik berühren Sie, wenn Sie Mozart spielen?

Kammermusik! Wenn ich einen Rachmaninow spiele, dann kann das wirklich ein Kampf sein, auch gegen das Riesenorchester. Bei Liszt denkt man mitunter an Gewichtstemmen. Bei Mozart verlässt man solche Welten. Mozart ist wie eine wunderschöne, zarte Porzellantasse.

Haben Sie Angst, die fallen zu lassen?

Nein, die darf man eben nicht haben. Das Problem bei vielen Pianisten ist es, dass sie bei Mozart so eine große Angst davor haben, diese Porzellantasse fallen zu lassen, dass sie sie dann nicht richtig anfassen – und gerade darum fällt sie dann hinunter. Fasst man jedoch zu stark an, zerdrückt man sie.

Was also tun?

Wenn man gar nicht weiß, wie wertvoll und gefährdet dieses Porzellan ist, wenn man eine gewisse Naivität hat, etwas Unverstelltes, dann hilft das beim Zugang sehr. Natürlichkeit ist der Schlüssel.

Mozart, der uns in den langsamen Sätzen der Klavierkonzerte überirdisch schöne Musik geschenkt hat, konnte ein zotiger, deftiger, ja vulgärer Mensch sein. Ist das ein grundsätzlicher Widerspruch des Menschseins, den Mozart in der Musik überwindet?

Bestimmt ist es das. Das Genie von Mozart hat seine Wurzeln auch in einem verrückten Leben. Das hören wir in den schnellen Sätzen. In den langsamen hören wir vielleicht eine Seite, die er in sich trägt, aber nur in der Musik zeigt. In Essen spiele ich das Konzert KV 488 - im zweiten Satz beginnt das Klavier allein und man hat das Gefühl: Diese Musik kommt direkt aus dem Himmel – und sie geht auch dahin zurück. Das ist für mich auch eine Inspiration als Interpret: Hier geht’s nicht um Selbstdarstellung. Hier geht es um die Frage: Was spüre ich, wenn ich die Welt umarme? In diesem Stück Musik ist sogar mehr Schmerz und Sehnen als in der Romantik. Mich überwältigt das.

Müssen Sie sich da nicht regelrecht losreißen, wenn es in ein flottes Allegro übergeht?

Diesen Moment habe ich oft: Etwas hört auf, von dem man eigentlich nicht will, dass es aufhört. Aber das ist ja der Charakter von Sehnsucht: ein Gefühl, das nicht gesättigt wird. Wenn ich das beim Spielen empfinde, erreicht es bestenfalls auch das Publikum.

Sie haben längst Asien erobert: Japan, China. Der Enthusiasmus für Klassik übertrifft alles, was wir in Europa kennen...

Nicht nur das. Das Publikum ist viel jünger als hier. Manche Zahlen sind fast unbegreiflich: In China gibt es angeblich 120 Millionen Klavierstudenten! Ich sag‘ immer: Das ist Deutschland plus Großbritannien zusammen, nur Klavierspieler. (lacht) Natürlich werden nicht alle Berufsmusiker, aber sie bringen viel Verständnis mit. Wenn jemand aus der Heimat der Klassik zu ihnen kommt, ist das ein totales Ereignis. Es war mir fast peinlich, wie man in Meisterkursen dort angehimmelt wird.

Apropos musikalischer Nachwuchs: In Mülheim werden auch Schüler der Luisenschule in Ihrem Konzert sein…

Ich bin grundsätzlich sehr gerne in den „Education“. Heißt, ich gehe auch oft in Schulen, bei denen ich weiß, dass die Kinder solche Musik in ihrem Elternhaus noch nie gehört haben – und die Eltern auch andere Probleme haben, als ins Konzert zu gehen. Dann spiele ich dort den Schülern vor und wir unterhalten uns über mein Leben als Musiker und über klassische Musik.

Was erleben Sie da?

Oft viel Schönes. Nach Unsicherheit und Fremdeln erlebe ich Dankbarkeit, sogar Begeisterung. Neulich gingen sie in einer Klasse erst mal kräftig über Tisch und Bänke. Aber nach einer Ansage von mir drehte sich der Wind. Und am Abend, im Konzert, saß mindestens die Hälfte der Klasse in meinem Konzert, mit Eltern. Das war nicht Teil des Schulbesuchs! Ich war völlig geplättet – und hab’ mich sehr gefreut.