Essen. Pro Asyl Essen droht Stellenabbau, weil das Land weniger Mittel für Flüchtlingsberatung bereitstellt. Das schade der Integration, sagt der Verein
Wegen sinkender Flüchtlingszahlen hat das Land das Programm „Soziale Beratung von Geflüchteten“ gekürzt: Bei freien Trägern fallen daher nächstes Jahr Stellen weg. Dabei gebe es weiter eine hohe Zahl Ratsuchender, heißt es bei Pro Asyl/Flüchtlingsrat Essen. „Unsere Beratungszeiten sind voll“, sagt die Pro-Asyl-Vorsitzende Kathrin Richter. „Wir brauchen alle Mitarbeiter.“
Zwar würden Essen fast keine Neuankömmlinge mehr zugewiesen, weil die Stadt ihre Aufnahmequote übererfüllt habe. Die vielen Menschen, die bereits hier lebten, hätten indes einen ungebrochenen Beratungsbedarf: Das Spektrum reiche von Ausbildung und Jobsuche über Gesundheit und Wohnungssuche bis zu rechtlichen Fragen. Man helfe dem Einzelnen und trage dazu bei, dass Integration gelinge, so Richter.
Pro Asyl verweist auf jahrzehntelange Erfahrung
„Wir machen das bereits seit 1996, während andere Träger erst ab 2015 in die Beratung eingestiegen sind“, ergänzt Pro-Asyl-Geschäftsführerin Inka Jatta. Man habe ein riesiges Netzwerk; und die Mitarbeiter hätten eine so große Expertise, „dass auch andere Beratungsstellen häufig bei ihnen anfragen“. Diese erfolgreiche Arbeit sei durch die im NRW-Integrationsministerium beschlossenen Änderungen bedroht.
So hat das Haus von Minister Joachim Stamp (FDP) Mittel nun umverteilt; gekürzt wird dabei zum einen die oben beschriebene Regionalberatung für Flüchtlinge. Mit der Folge, dass einer der in Essen tätigen Träger eine halbe Stelle verlieren wird. Ob es just die Pioniere von Pro Asyl trifft, ist noch offen.
Die Qualität der Beratung könnte leiden
Daneben ist von den Kürzungen die Asylverfahrensberatung in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Fischlaken betroffen, die Pro Asyl Essen anbietet: Da verliere man in jedem Fall eine halbe Stelle. Dabei habe sich der Aufwand für die Beratung in Corona-Zeiten eher erhöht.
Zu Verwerfungen führt auch der Beschluss, die Personalkosten zu deckeln: Sie werden auf 80 Prozent des jetzigen Niveaus gesenkt. „Wir können das anders als die Wohlfahrtsverbände nicht aus Eigenmitteln abpuffern“, sagt Inka Jatta. Man müsse pro Vollzeitstelle 15.000 Euro zuschießen, beziffert die Caritas, die selbst betroffen ist: „Das ist für viele Verbände nicht umsetzbar und birgt die Gefahr, dass langjährige Fachkräfte nicht weiterbeschäftigt werden.“ Die Qualität der Beratung werde leiden.
Das Ministerium will die Förderung für neue Träger öffnen
Langfristig würden viele Träger wohl nur noch Berufseinsteiger einstellen können, vermutet Kathrin Richter. „Auch wir werden leider nicht um Entlassungen und Gehaltskürzungen herumkommen.“
Caritas Essen will Fachkräfte der Flüchtlingsberatung halten
Auch der Caritasverband Essen und seine Tochter CSE sind von den Kürzungen der Landesmittel betroffen: Vier Fachkräfte arbeiten in der vom Land geförderten Integrationsagentur, der regionalen Flüchtlingsberatung sowie der Ausreise- und Perspektivberatung. Die Angebote seien etabliert, würden von der Zielgruppe sehr gut angenommen. 2019 habe es allein fast 800 Ausreise-Beratungen gegeben.
„Wir wollen die Mitarbeiter weiter beschäftigen und ihre Erfahrungen und ihr Wissen nicht aufgeben“, sagt Caritasdirektor Björn Enno Hermans. Laufe die Förderung nicht weiter wie bisher, „stehen wir vor hohen finanziellen Einbußen, die wir kaum auffangen können“.
Vorsorglich hat Pro Asyl zum Jahresende alle acht Mitarbeiter gekündigt, die sich noch siebeneinhalb Stellen teilen. Denn jetzt werden Regional- und Asylverfahrensberatung auch ganz neu ausgeschrieben: Man wolle, „dass das Förderverfahren in Zukunft mehr als bisher für neue Träger geöffnet wird“, sagt das Integrationsministerium. Das könne jedoch auch bedeuten, dass sich Billiganbieter mit wenig Fachkenntnis um die Mittel bewerben, fürchtet Richter. So habe man ab 2015 erlebt, dass angesichts steigender Flüchtlingszahlen „obskure Anbieter“ auftauchten.
Pro Asyl wird die Beratung nun selbstverständlich nicht aufgeben, sondern hat für 2021 dieselbe Stellenzahl beantragt: Man hofft, Mitarbeiter und Beratungsniveau zu halten. Caritasdirektor Björn Enno Hermans wirbt gleich für eine Beibehaltung des bisherigen Förderprogramms: „Die Kürzung beeinträchtigt die Integration der Menschen in unserer Stadt. Das ist ein schlechtes Signal.“
Pro Asyl beklagt geringe Wertschätzung der Arbeit
Kathrin Richter ärgert die „geringe Wertschätzung“ für die Arbeit, die Pro Asyl Hand in Hand mit vielen Ehrenamtlichen leiste. Während es bisher einen engen Dialog mit dem Ministerium gegeben habe, bekomme man diesmal weder Planungssicherheit noch überhaupt Informationen. Die Überrumpelungstaktik ist offenbar gewollt: So heißt es in einem Bericht des Ministers vom 23. Oktober, man wisse, dass das neue Fördermodell bei den Trägern „Besorgnis auslöst“. Darum habe man entschieden, sich mit Finanzministerium und Rechnungshof abzustimmen, „und erst dann den Dialog mit den Trägern wieder aufzunehmen“. Also wenn die Weichen schon gestellt sind.