Essen-Kettwig. Ohne Not die schärfste Waffe zum Erhalt der Villa Ruhnau aus der Hand gegeben zu haben, werfen Anwohner der Stadt vor. Und was sagt die Politik?
Der Nachbarschaftskreis Bögelsknappen erhebt angesichts des vom Eigentümer geplanten Abrisses der Villa Ruhnau schwere Vorwürfe gegen die Essener Stadtverwaltung. „Die Stadt selbst hat mit dem Denkmalschutz im Vorfeld die schärfste Waffe für den Erhalt des Hauses aus der Hand gegeben – freiwillig, ohne Not, im Interesse des Investors“, schreibt die Initiative in einer Stellungnahme.
„Das Denkmalamt ist dem Stadtplanungsamt weisungsgebunden unterstellt. Statt auf eine zumindest ergebnisoffene oder gar dem Gebäude wohlgesonnene Prüfung zu drängen, ließ die Stadt zu, dass bei der sogenannten konsolidierenden Untersuchung ausschließlich die Punkte gelistet wurden, die die bereits zuvor von der Stadt vertretene Auffassung der Nicht-Denkmalwürdigkeit stützen“, hält der Nachbarschaftskreis der Stadt vor.
Eine entsprechende „Marschroute“ habe das Denkmalamt ausgegeben. Entsprechend formulierte, interne E-Mails lägen vor, so der Nachbarschaftskreis. Nach dem Ortstermin im Januar habe es zum Beispiel an den Landschaftsverband Rheinland geheißen: „Wie besprochen, wird Frau (…) die Gründe, die gegen den Denkmalwert sprechen, formulieren.“
Vorwurf: Das Ergebnis zum Denkmalschutz habe von Anfang an festgestanden
Für die Mieter und Anwohner der Villa Ruhnau, die sich im Nachbarschaftskreis im Sommer 2019 formiert haben, bedeutet dies im Klartext: Das Ergebnis habe bereits von Anfang an festgestanden. „Es fehlte der politische Wille, dem einzigartigen Ensemble aus Architektur und Natur die Denkmalwürde zuzusprechen oder dies wenigstens ernsthaft in Betracht zu ziehen.“
Demgegenüber habe das Denkmalamt des Landschaftsverbandes Rheinland eine ganz andere Haltung gezeigt. In einer Mail vom 10. Februar 2020 an die Essener Behörde (die unserer Redaktion vorliegt) heißt es: „Nach erfolgter Ortsbesichtigung stellt sich der Sachverhalt nun anders dar. Der Denkmalwert scheint nach unserer Auffassung durchaus gegeben, zumindest aber prüfenswert.“ Dass die federführende Essener Denkmalbehörde sich mit der Bestätigung ihrer vorgefassten Meinung durchsetzte, sei ohne das fehlende politische Interesse am Erhalt des Gebäudes kaum zu erklären, moniert der Nachbarschaftskreis.
Vorwurf: Ansatz zur Beurteilung der Denkmalwürde ist veraltet
Zumal das Essener Denkmalamt die Entscheidung auf Basis eines völlig veralteten Ansatzes getroffen habe. Der Nachbarschaftskreis verweist dabei auf die „Convention of Faro“, die seit 2005 europaweit die Rahmenrichtlinien für den Denkmalschutz und die Rechte der Bürger auf Teilhabe am kulturellem Erbe festschreibt.
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Der Nachbarschaftskreis erfuhr bei einem Ortstermin mit einem renommierten Denkmalschutzexperten im August 2020: In der Convention sei definiert, dass dem Identifikatorischen ein hoher Wert beizumessen ist. Die Frage, wie viel original erhalten ist, sei dem untergeordnet. Die Veränderungen könnten ebenso gut als Spiegel der Historie des Gebäudes gelesen und zur Begründung des Denkmalwertes herangezogen werden.
„Die Gebäudepersönlichkeit am Bögelsknappen ist zweifellos ein identifikatorischer Ort. Sie prägt das Stadtbild, ist identitätsstiftend und verwoben mit den Lebensgeschichten vieler Kettwiger“, so der Nachbarschaftskreis. Der „Bürgerwille“ sei ebenso wenig berücksichtigt worden wie die sorgfältige historische Aufarbeitung der Geschichte des Hauses, die in der Broschüre des Heimat- und Verkehrsvereins Kettwig dokumentiert ist.
Stadt soll Anregung aus der Politik prüfen und aufgreifen
Ebenso blieben alle anderen Einwände des Nachbarschaftskreises unberücksichtigt. Die Stadt habe ein weiteres Mal der Vernichtung von gutem bezahlbarem Wohnraum, der Versiegelung von Grünflächen, der Zerstörung von Habitaten und einem programmierten Verkehrschaos Tür und Tor geöffnet.
Wenn die Stadt glaubhaft machen wolle, sie habe Interesse am Erhalt des Gebäudes, „fordern wir sie dringlich auf, dies unter Beweis zu stellen“. Zu prüfen und aufzugreifen sei die Anregung des Grünen-Politikers Ludger Hicking-Göbels (er verweist auf planungsrechtliche Optionen). Die Stadt solle jede Chance nutzen, den Abrissplänen entgegen zu wirken.
Bezirkspolitik will Abriss abwenden – Nur das Wie ist noch nicht klar
Die Abriss-Ankündigung für die Villa Ruhnau ruft durch die Bank Bestürzung hervor. Bei den Betroffenen und den Kettwiger Bürgern, im politischen Raum reagiert man ebenfalls geschockt.
„Die CDU-Kettwig ist bestürzt von der Absicht, dieses ortsbildprägende Gebäude mit seiner für Kettwig nicht unwesentlichen Geschichte dem Erdboden gleich machen zu wollen“, heißt es in einer Stellungnahme. Man werde versuchen, den Abriss abzuwenden, könne dies aber nicht versprechen .
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Vorschlag: Einen Bebauungsplan aufstellen
Ob ein Vorschlag des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Ludger Hicking-Göbels eine Lösung sein könnte? Dieser hatte, wie bereits berichtet, die Anwendung von Planungs- statt Baurecht vorgeschlagen. Das heißt, die Politik müsste einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan fassen (den es für den Wohnbereich Bögelsknappen derzeit nicht gibt), und zwar per Dringlichkeitsentscheid. Dann kann die Stadt eine Veränderungssperre beschließen mit der Folge, dass weder ein Vorhaben oder ein Abriss durchgeführt werden kann. Auch könne das Abrissgesuch vom Planungsamt für bis zu zwölf Monate ausgesetzt werden.
Verkehrssituation am Bögelsknappen schon jetzt bedenklich
„Das hört sich gut an. Aber warum kam dieses Vorgehen nicht von der Stadt selbst, wenn es denn möglich ist?“, fragt sich Daniel Behmenburg, SPD-Fraktionsvorsitzender in der Bezirksvertretung IX. Zumal auch die Straßensituation ein Planverfahren nötig werden lasse. „Wir haben da eine Schule. Noch mehr Verkehr, das packt die Ecke nicht.“
Dass ein Runder Tisch, wie von der Tierschutzpartei gefordert, alle zusammenbringen würde, bezweifelt Behmenburg: „Der Eigentümer hält sich bedeckt.“ Die Stadt bislang auch. Bis Redaktionsschluss gab es zu dem Vorschlag von Hicking-Göbels noch keine Antwort.
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