Essen. Regisseurin Sophie Östrovsky inszeniert das preisgekrönte und oft nachgespielte Zweipersonenstück „Gift“ von Lot Vekemans. Premiere in der Casa.
Stücke niederländischer Autoren landen selten im Repertoire der deutschen Theater. Nicht so Lot Vekemans’ „Gift. Eine Ehegeschichte“ von 2009. Sie wird auf großen wie auf kleinen Bühnen gespielt. Und nicht nur hierzulande. In 16 Sprachen übersetzt war und ist sie in 23 Ländern zu sehen. Nun auch in Essen. Sophie Östrovsky inszeniert das Drama in der Casa.
Die gebürtige Leipzigerin ist in keiner Hinsicht familiär vorgeprägt. Ihre Eltern seien glücklich unverheiratet und hätten nichts mit dem Theater zu tun, erzählt sie. Sophie Östrovsky begann eine Ausbildung zur Bühnentänzerin, bevor sie sich nach der Schließung der Ballettschule und auch aus gesundheitlichen Gründen zum Studium der Deutschen Sprache und der Literatur entschloss. Der Regieassistenz in Oldenburg folgt auf Empfehlung ihres Kollegen Christopher Fromm nun die Fortsetzung am Schauspiel Essen. Nach „Der Trojanische Pudel“ in Leipzig ist dies ihre zweite Inszenierung.
Ein Mann und eine Frau treffen sich zehn Jahre nach der Trennung. Das Grab ihres verunglückten Sohnes muss verlegt werden, weil Gift im Boden des Friedhofs gefunden wurde. Während sie auf nähere Informationen warten und reden und streiten, offenbaren sich ihre Verletzungen, ihre Trauer und wie sie damit umgegangen sind: Sie ist allein zurückgeblieben im gemeinsamen Haus. Er hat ein neues Leben mit neuer Frau und Kindern in Frankreich. Abgeschlossen mit der Vergangenheit haben sie beide nicht.
Aus Texten über Trauerbewältigung viel geschöpft
Zur Vorbereitung hat sich Sophie Östrovsky keine der Bühnenversionen des Stoffes angeschaut, auch nicht den Klassiker aller Ehedramen „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, der kurz vor ihrer Inszenierung im Grillo-Theater herauskommt. „Ich weiß nicht, ob man sich davon nicht zu sehr beeinflussen lässt“, erklärt sie ihre Entscheidung. Aus einer eigenen Trennung habe sie viel geschöpft, aus Texten über Trauerbewältigung und dem Film „Rabbit Hole“ mit Nicole Kidman.
Vor allem aber hat sie sich auf den Text von Lot Vekemans verlassen. „Er überwältigt immer wieder neu“, sagt Sophie Östrovsky. Zwei Mal las sie ihn, bevor sich das Emotionale durchsetzte. „Es geht um den Verlust eines Kindes und den eines Partners. Ich konnte mich da gut hineinversetzen, obwohl ich keine Mutter bin. Letztlich geht es um den Verlust eines geliebten Menschen.“
Eine Stärke des Stücks ist die Nachvollziehbarkeit
Die Nachvollziehbarkeit ist die eine Stärke des Textes, die direkte Alltagssprache eine andere. „Wie eine Partitur sei er geschrieben mit Pausensetzung und wenigen Regieanweisungen“, berichtet die 32-Jährige. Sie ist ihnen nachgekommen, soweit es Regeln zum Schutz vor Corona zuließen. „Dass sie sich umarmen oder schlagen, war nicht möglich. Aber Blicke, emotionale Erschöpfung, die in eine körperliche übergeht, oder eine Form von Selbstverletzung können dasselbe ausdrücken.“
Hinzugefügt habe sie dem Stück nichts. Eher der Aufführung etwas weggenommen. „Es ist okay, wenn keine Tränen fließen“, hat sie Sven Seeburg und Janina Sachau gesagt, die dieses getrennte Paar verkörpern. „Ich wollte, dass die Schauspieler reduzieren in ihrer Spielweise, in ihrer Gestik. Sie müssen nichts verstärken. Alle Gesten, die nicht aus einer Emotion entstehen, habe ich ihnen geklaut.“ Verschiedene Varianten wurden gespielt. Jedes Mal sollten sie den Text neu aufnehmen, jedes Mal war das Ergebnis etwas anders.
Eine Trauerhalle wollte die Regisseurin nicht als Bühnenbild für das Zusammentreffen, sondern einen abstrakten Raum. Ausstatterin Lena Natt hat ihr einen Parkplatz geschaffen mit Sitzgelegenheiten, zwei auseinanderdriftenden Linien und einer beängstigenden Fallhöhe.