Essen-Haarzopf. Der Kotten Osterfeld in Haarzopf erinnert an die Zeit vor 100 Jahren, als Wege noch unbefestigt waren und Bergleute ihr Gemüse selbst anbauten.
Nur noch wenige alte Fachwerkhäuser erinnern an das ländliche Haarzopf, das vor 110 Jahren zur Landbürgermeisterei Bredeney und später in die Großstadt Essen eingemeindet wurde. Bis heute hat sich der Stadtteil trotz aller Neubauten seinen ländlichen Charakter bewahrt. An die Vergangenheit erinnert der Kotten Osterfeld am Birkmannsweg, mit dem sich Hobbyhistoriker Herbert Schmitz intensiv beschäftigt hat.
Der gebürtige Haarzopfer Herbert Schmitz (80) kennt das Fachwerkhaus, das 1791 vom Leineweber Hermann Osterfeld errichtet wurde, seit seiner Kindheit. Zum Kotten gehörten Wohnhaus, Scheune, Stallung und das Bier- und Backhaus. „Dazu gibt es von der ehemaligen Besitzerfamilie Eichholz noch etliche Aufzeichnungen und Erinnerungen“, so Schmitz. Das Gebäude sei 1992/93 umgebaut und saniert worden und dann als „Fachwerkhaus mit Stallanbau in typischer Kottenarchitektur“ in die Denkmalliste der Stadt aufgenommen worden.
Vor gut 100 Jahren habe sich Haarzopf noch eher zum benachbarten Mülheim orientiert als nach Essen, eine Verbindung, die über Jahrhunderte angedauert habe. Die Haarzopfer seien als arme Randgemeinde mit Bergarbeitern, Milchhändlern, einfachen Köttern und Landwirten bei der Eingemeindung nach Essen nicht wirklich gut angesehen gewesen – ganz im Gegensatz zu den reichen Bredeneyern mit ihren Villenkolonien und der Familie Krupp auf dem Hügel.
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Der erste Pfarrer der Gemeinde Haarzopf erinnert sich
„Damals lebten in Haarzopf 1174 Einwohnern, heute sind es 6840“, hat Schmitz recherchiert. Er bezieht sich bei seinen Erkenntnissen zur Landgemeinde Haarzopf auf die Erinnerungen von Pastor Alfred Neuse (1875-1969), erster Pfarrer und Gründer der evangelischen Gemeinde. Dieser sei 1904 zunächst als Hilfsprediger von der Mutterkirche in Kettwig nach Haarzopf entsandt worden.
Der Hobbyhistoriker ist gebürtiger Haarzopfer
Der heute 80-jährige Herbert Schmitz wuchs an der Hatzper Straße in Haarzopf auf, wo sein Vater einen Gemischtwarenladen unterhielt und die umliegenden Bauern mit Sämereien versorgte.
Das Gebäude kurz hinter der Kreuzung Erbach existiert nicht mehr, wohl aber das Haus direkt gegenüber, das seinen Eltern gehörte und das Schmitz bis heute bewohnt.
Laut Pastor Neuse zählte der Stadtteil damals 190 Wohnhäuser. „Mit Essen-Mitte verband Haarzopf ein schlechter Weg, der durch das tiefe Montagsloch (heute: Nähe Gruga-Gelände) bis zur Rüttenscheider Brücke führte und dort die heutige Alfredstraße erreichte“, schreibt er in seinen Erinnerungen. Nur wenige Straßen seien damals befestigt gewesen. Ihr Zustand sei vom guten Willen der Nachbarn abhängig gewesen, da die Gemeinde selbst viel zu arm gewesen sei, um die Straßen auszubessern.
Es gab weder Straßennamen noch eine Beleuchtung der Wege
Straßennamen habe es damals noch nicht gegeben, auch keine Straßenbeleuchtung, so sei es im Winter um 16.30 Uhr völlig dunkel gewesen. Wer abends ausgehen wollte, habe gut daran getan, die Handlaterne mitzunehmen. Laut Pfarrer Neuse habe es damals über 200 Bergleute in Haarzopf gegeben, die jeden Tag den Weg zu den Zechen Wiesche, Humboldt, Rosenblumendelle oder Langenbrahm zu Fuß zurücklegten. „Und so hörte man in der Frühe auch schon die zweirädrigen Karren der zahlreichen Milchfuhrleute zur Stadt rollen, nachdem sie zuvor auf den Höfen und bei größeren Köttern Milch geladen hatten. Da hieß es, früh aufzustehen, um zeitig in Essen zu sein“, schreibt Pfarrer Neuse.
Die Häuser seien in der Regel einstöckige Fachwerkbauten gewesen, auf deren Instandhaltung großer Wert gelegt worden sei. Sie hätten mit ihren geschwärzten Balken, den geweißten Zwischenwänden und den grünen Fensterläden gefällig ausgesehen.
Das Leben damals sei allerdings von harter Arbeit geprägt gewesen. Wenn die Bergleute gegen 16 Uhr von den Zechen heimkehrten, sei Gartenarbeit angesagt gewesen. „Gemüse, das man nicht selbst verwerten konnte, schaffte man per Korb, per Schieb- oder Ziehkarre zu den Märkten in Essen oder Mülheim. Der Erlös war eine willkommene Erleichterung bei der Zahlung von Zinsen und Miete“, so Pfarrer Neuse. Laut Heimatforscher Herbert Schmitz sei das aber eine „schwere Schufterei“ gewesen, auch wenn die Bergmannsfrauen die ursprünglich benutzten 25-Kilogramm-Körbe später durch Schiebkarren ersetzten.
Der Roggen wurde an Ort und Stelle gedroschen und zu Brot verbacken
An diese Zeit erinnert der Kotten Osterfeld den Heimatforscher Herbert Schmitz. Auf dem Acker des Kottens sei Roggen angebaut worden, der gleich vor Ort gedroschen und verbacken worden sei. „Weiterhin lebten auf dem Kotten eine Kuh, Schweine und Hühner. War die Kottenfläche zu klein, hielt man sich eine Ziege, die ,Milchkuh des kleinen Mannes’“, so Schmitz.
Auch von einer ungewöhnlichen Tätigkeit berichteten die Überlieferungen: Vor 1900 sei ein Haarzopfer auf der Zeche Rosenblumendelle in Mülheim-Heißen tätig gewesen. „Aufgrund eines großen Vertrauensverhältnisses übertrug man ihm als Heimarbeit das Abfüllen von zecheneigenem Sprengstoff in Strohhalme – um damit Sprengungen unter Tage zur Kohlegewinnung durchzuführen.“