Essen. Essener Bühnen testen vorsichtige Rückkehr zum Spielbetrieb. Stücke werden verkürzt und en bloc gespielt. TuP-Belegschaft bleibt in Kurzarbeit.
Wenn Orpheus am Samstag seinen Weg in die Unterwelt antritt, befreit sich das Essener Musiktheater auch aus der monatelangen Umklammerung der Pandemie. Glucks Reformoper ist die erste große Aalto-Premiere nach über sechs Monaten und der Auftakt für eine organisatorisch, künstlerisch und finanziell extrem anspruchsvolle Spielzeit unter Corona-Bedingungen.
Eigentlich hätte die Saison mit Wagners „Tannhäuser“ beginnen sollen. Doch große Chöre, aufwendige Bühnenbilder und ein voller Orchestergraben sind in diesen Tagen undenkbar. Und auch sonst ist die Theater und Philharmonie von Normalität derzeit ein gutes Stück entfernt.
Nur 385 statt sonst über 1100 Gäste sind bei der Premiere dabei
Man wird es am Samstag sehen, wenn 385 statt der sonst über 1100 Premierengäste die Opern-Inszenierung von Paul-Georg Dittrich mit Abstand erleben. Der Großteil davon dürfte zum Stammpublikum gehören.
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Abonnenten bilden sonst das feste Publikums-Fundament – in den Philharmoniekonzerten, bei den Schauspiel-Premieren, in Oper und Ballett. Doch die Festplatz-Abos wurden in diesem Jahr notgedrungen ausgesetzt. Niemand weiß schließlich, was man den Zuschauern in den kommenden Monaten anbieten kann. Ob die gesamte Saison über gespielt werden kann, mit wie vielen Vorstellungen und vor wie großem Publikum? Der vorläufige Corona-Spielplan läuft zunächst bis Ende Dezember, an einer Fortführung wird derzeit gearbeitet. Es gibt auf Sicht weniger Vorstellungen, die Abende wurden eingekürzt und vielfach werden Stücke en bloc, also an zwei bis drei Abenden hintereinander gespielt, um dem Personalaufwand zu verringern. Denn die Theater und Philharmonie bleibt bis Jahresende zunächst in Kurzarbeit.
Theater und Philharmonie: Kurzarbeit wird bis Jahresende verlängert
Schon im Mai wurde die Regelung erstmals in der Geschichte der Theater und Philharmonie eingeführt. Sie gilt für die allermeisten der knapp 700 Beschäftigen, bis auf wenige Ausnahmen beispielsweise im Personalbereich. Die Gehälter werden derzeit auf 90 bis 95 Prozent aufgestockt. Für Geschäftsführerin Karin Müller ist die Situation ein schwieriger „Balanceakt“. Man will dem Publikum wieder mehr Stücke zur Auswahl anbieten und die Betriebskosten angesichts der Kurzarbeit doch nicht in die Höhe treiben.
Nicht nur das Spielen kostet schließlich, auch die Ausgaben für den Hygiene-Schutz sind derzeit beträchtlich. Das betrifft nicht nur das zusätzliche Personal, das nun darüber wachen muss, wie das Publikum über getrennte Wege und mit Mundschutz die Häuser betritt und auch wieder verlässt. Auch die dauernde Reinigung und Desinfektion der Theater kostet. Bei einer möglichen Zuschauer-Auslastung von oft unter 50 Prozent wird sich der Aufwand kaum rechnen. Jede angesetzte Vorstellungen bleibt somit ein zusätzliches finanzielles Risiko. „Wir wollen mit den Ressourcen, die da sind, sparsam umgehen“, sagt Müller. Denn mit Blick auf die Zahlen bleibt unterm Strich nur eine Erkenntnis: „Je mehr man spielt, desto kritischer wird’s“, sagts Müller.
Die Spielzeit 2019/20 ist noch mit einem finanziellen Plus zu Ende gegangen
Noch haben die Folgen der Pandemie nicht durchgeschlagen. Man gehe immerhin noch mit einem Plus aus der vergangenen Spielzeit 2019/2020 heraus, erklärt Karin Müller. Das gute Weihnachtsgeschäft im Vorjahr und die Einführung der Kurzarbeit im Mai haben die TuP über die Runden gebracht. Dazu kommen Zuschüsse des Landes NRW, das die Theater im Land bis 2022 mit zusätzlichen Mitteln unterstützt. Zuletzt hatte es sogar Streit zwischen der Belegschaft und dem ausgeschiedenen Geschäftsführer Berger Bergmann über nicht verausgabte Landes-Mittel gegeben. 2020/21 aber dürften auch diese Zuschüsse das Jahresergebnis nicht retten, auch wenn der Publikumszuspruch schon wieder erfreulich sei, sagt Müller: „Wir werden deutliche Einnahmeeinbußen haben.“ Die große Frage für die TuP-Geschäftsführerein ist deshalb, ob die Überschüsse ins Eigenkapital übernommen werden dürfen. „Wir werden sie dringend brauchen“,
Das große Kindermärchen im Grillo-Theater – diesmal wohl ohne Schulvorstellungen
Rabatt für Abonnenten
Da die Platzkapazitäten in den Spielstätten der TuP durch die geltenden Abstandsregeln erheblich eingeschränkt sind, können für die Spielzeit 2020/2021 keine Festplatz-Abonnements angeboten werden. Festplatz-Abonnenten der Spielzeit 2019/20 erhalten beim Kartenkauf aber einen Treue-Rabatt von ca. 30 Prozent auf den regulären Eintrittspreis des Ersatzspielplans.
Wahl-Abonnements und das Vielbucher-Package werden aktuell weiterhin angeboten. Auch Wahl-Abonnenten sowie Vielbucher der Spielzeit 2019/20 erhalten den 30-Prozent-Rabatt auf den regulären Eintrittspreis des Ersatzspielplans
Wie die finanzielle Weichenstellungen der Politik für die kommenden Jahre aussehen, wird sich ohnehin erst in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, wenn sich die nach der Kommunalwahl neu zusammengesetzten Gremien gefunden haben. Bis dahin hat nicht nur das von Distanz-Gebot besonders schwer betroffene Aalto-Ballett die Parole ausgegeben: „The Show Must Go On.“ Darin dürfen Paare auftreten, die auch jenseits der Bühne eine Lebensgemeinschaft bilden. Aber auch über die Testung des künstlerischen Personals habe man schon nachgedacht.
Sie wollen schließlich endlich wieder spielen – im Aalto-Theater wie im Grillo. Dort steht das große Kindermärchen „Der Zauberer von Oz“ in diesem Herbst zwar auf dem Spielplan – doch gezeigt wird es vorläufig wohl nur in wenigen Familienvorstellungen. Die Dutzenden, sonst restlos ausgebuchten Schulvorstellungen können nach derzeitigem Stand nicht stattfinden. Denn gegen Corona können selbst ein Blechmann mit Herz und eine wissensdurstige Vogelscheuche nichts ausrichten.