Essen. Karin Müller ist neue Geschäftsführerin der Theater und Philharmonie. Wie sie Essens Bühnen aus personellen und finanziellen Krisen führen will.
Karin Müller arbeitet seit fast 36 Jahren für die Essener Bühnen, die heutige Essener Theater und Philharmonie GmbH. Dass ihr Arbeitsleben nach dieser Zeit noch einmal so auf den Kopf gestellt würde, hätte sich die Prokuristin vor ein paar Monaten vermutlich auch nicht träumen lassen. Nach dem durch heftige Mitarbeiterproteste ausgelösten vorzeitigen Ausscheiden des bisherigen Geschäftsführers, Berger Bergmann, hat die 63-Jährige das Amt übernommen. Zur innerbetrieblichen Krise, aus der Müller das Haus führen muss, kommen nun auch noch die schwerwiegenden Folgen der Corona-Pandemie, die der Theater und Philharmonie GmbH eine monatelange Zwangspause beschert haben. Doch Müller ist zuversichtlich: „Wir wollen das Haus wieder in ruhiges Fahrwasser bekommen.“
Karin Müller kennt den Betrieb quasi von der Pike auf
Wir, das sind neben Müller der Prokurist und Verwaltungschef Stefan Wasenauer und die neue Personalchefin Inna Knospe. Als Frau der Zahlen ist Müller in den 1980er Jahren mit der Gründung der GmbH ans Essener Theater gekommen. Sie kennt die Theater und Philharmonie quasi von der Pike auf, hat in der Finanzbuchhaltung gearbeitet, im Vertrieb für die EDV-Umstellung gesorgt, den Einkauf dezentralisiert und Dinge wie die Spartenrechnung eingeführt. „Die kaufmännische Seite mit der Kunst zu verbinden, das ist es, was mich immer interessiert hat“, sagt Müller.
Unter Bergmanns Ägide rückte das Kaufmännische nach Meinung vieler Mitarbeiter zu sehr in den Vordergrund. Man klagte über zu hohen Spardruck und mangelnde Wertschätzung für die Kunst. Aus den innerbetrieblichen Auseinandersetzungen entstanden etliche Gerichtsverfahren. Die vielen Aktenordner, die davon zeugen, sollen bald im Archiv verschwinden. Die Zeit, in der Geschäftsführer Berger Bergmann und sein Kontrahent, Betriebsrats-Chef Adil Laraki, Dauergäste am Essener Arbeitsgericht waren, sei vorbei und „fast alle Verfahren beigelegt“, versichert Müller.
Nicht nur der TuP-Aufsichtsrat, der die langjährige Prokuristin kurz nach Bergmanns Ausscheiden zur Geschäftsführerin berufen hat, traut der bodenständigen Finanzfachfrau offenbar zu, die über Jahre verhärteten Fronten aufzuweichen. Müller wird ein guter Draht zur Belegschaft nachgesagt. Die in Gelsenkirchen-Buer geborene Mutter einer erwachsenen Tochter nimmt dabei für sich in Anspruch, dass sie beides kann: zuhören, aber auch mal Tacheles reden. Projekte aus finanziellen Gründen von vornherein abzubügeln, wie es in der Vergangenheit offenbar häufig der Fall war, sei nicht ihr Stil. Zu ihrem Arbeitsverständnis gehöre, „dass man sich die Wünsche der Intendanten wenigstens anhört und dann rechnet. Ich versuche mit Zahlen zu unterlegen, was geht und was nicht geht“, erklärt Müller. Zu ihren wichtigsten Anliegen gehört, die interne Kommunikation zu stärken.
Folgen der Corona-Pandemie: Drei Monate lang waren die Häuser geschlossen
Wie ruhig das Fahrwasser in den kommenden Monaten wieder werden kann, das hängt allerdings auch vom Verlauf der Corona-Pandemie ab. Fast drei Monate waren die Häuser der Theater und Philharmonie geschlossen, alle Vorstellungen abgesagt. Dass die Bühnen seit wenigen Tagen wieder ein Programm unter Hygieneschutzmaßnahmen anbieten, wird vom Publikum dankbar, aber auch noch etwas zaghaft angenommen. Ein Zurück zu alten Auslastungszahlen und Ticketeinnahmen wird es wohl noch länger nicht geben. Am Ende könnte ein Millionendefizit stehen. Für eine GmbH nicht ganz ungefährlich, auch Bühnenbetriebe kann die Insolvenz treffen. Karin Müller glaubt aber nicht, „dass die Stadt das zulassen würde“. Sie lobt die „faire Partnerschaft“. Gleichwohl ahnt auch die Geschäftsführerin, dass die kommenden Jahre finanziell schwierig werden könnten. „Wir haben keine großen Reserven“, sagt Müller. Und die Spielräume für weitere Einsparungen scheinen schon seit längerem ausgereizt.
Ob die TuP künftig überhaupt noch als GmbH geführt wird, mit dieser Frage wird sich ein Arbeitskreis in nächster Zeit auseinandersetzen. Müller kann sich in Zukunft auch ein „eigenbetriebsähnliches Gebilde“ vorstellen. „Man wird rechnen, Vor- und Nachteile aufzeichnen, momentan sehe ich keinen akuten Handlungsbedarf.“ Dringlicher sind für sie derzeit künstlerische Fragen: Die Probensituation beispielsweise sei nicht optimal – beim Orchester, das dafür den großen Krupp-Saal belegen muss, wie beim Ballett mit seinem fensterlosen Trainingssaal.
Und neben der Entscheidung über die Gesellschaftsform stehen in näherer Zeit vor allem wichtige Personalfragen an. Die Verträge der amtierenden Intendanten Hein Mulders (Aalto, Orchester und Philharmonie), Christian Tombeil (Schauspiel) und Ben Van Cauwenbergh (Ballett) laufen im Juli 2023 aus. Müllers Vorgänger Bergmann hatte die Frist – möglicherweise mit der Berufung eines Generalintendanten – zum großen strategischen Neuanfang nutzen wollen. Doch die Debatten darüber dürften sich hinziehen. Vertragsverlängerungen könnten eine Option in unruhigen Zeiten sein. „Man kann darüber nachdenken“, findet Müller.
„Für den Erhalt der fünf Sparten werden wir alles tun“
Mancher stellt sich sogar schon bange die Frage, ob nach Corona überhaupt noch alle fünf Sparten existieren werden. „Davon bin ich überzeugt, dafür werden wir alles tun“, sagt Müller. Man habe zuletzt doch noch einige Kapitalrücklagen bilden können. Zudem sorgten die Zuschüsse vom Land NRW für eine etwas bessere Finanzausstattung. „Nun müssen wir mit den Mitteln versuchen, so weit wie möglich zu segeln bei wenig Wind“, sagt Müller.
Wann die Flaute zu Ende ist, mag momentan niemand voraussagen. Die neue Geschäftsführerin hat bislang drei Modelle durchgerechnet, die keinen Spielbetrieb, ein abgespecktes und ein reguläres Programm bis Jahresende vorsehen. Es bleibt freilich eine Rechnung mit noch vielen Unbekannten. „Durch das Weihnachtsgeschäft 2019 und einige gestrichene Ausgaben sehe ich für das laufende Wirtschaftsjahr noch nicht schwarz“, sagt Müller. „Wenn bis Ende 2020 aber nicht mehr gespielt würde, sieht das anders aus.“
Die Belegschaft ist seit April in Kurzarbeit – „das hat es noch nie gegeben“
Deshalb habe man die Mitarbeiter des Hauses seit April auch in Kurzarbeit geschickt. „Das hat es noch nie gegeben“, betont Müller. Dass auch diese einschneidende Regelung relativ geräuschlos über die Bühne gegangen ist, dürfte als gute Basis für die neue Zusammenarbeit zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat gewertet werden. Nun hofften alle darauf, „dass wir auf irgendeine Art und Weise bald wieder Kunst machen können“, sagt Müller. Für sie ist der Theaterbetrieb eben nicht nur ein Zahlenkoloss. Sie liebt die Oper, das Schauspiel. Und Konzerte sind für sie „wie Yoga. Man kommt in andere Sphären“. Die Freude daran hat sie auch nach 36 Jahren nicht verloren.