Essen. Hat ein Polizist einen gefesselten Schwarzen geschlagen? Der Essener Ex-Staatsanwalt Bernd Schmalhausen behauptet dies – und legt nach.
Bernd Schmalhausen (70) eilte schon in seiner Zeit als langjähriger Staatsanwalt in Essen der respektvolle Ruf voraus, geradlinig und gründlich, couragiert, aber auch streitbar zu sein. Derselbe, der Mörder, Totschläger und Schwerkriminelle anklagte, kehrte selbst Verfehlungen der juristischen Zunft nicht unter den Teppich. Fünf Jahre nach seiner Pensionierung führt der 70-Jährige erneut einen unerbittlichen Kampf, dieses Mal gegen einen mächtigen Gegner: das Polizeipräsidium Essen. Eine Groß-Behörde, deren Ansehen durch den jüngsten Rechtsextremismus-Skandal schwer beschädigt ist.
Und Schmalhausen fährt schweres Geschütz auf. Dabei gewährt er verstörende Einblicke in das Innenleben eines Apparates, in dem gewalttätige Übergriffe und rassistische Einstellungen keinesfalls die Ausnahme sein sollen. Er spricht von „Korpsgeist“ und einem „Schweigekartell“, das anständige und vor allem kritische Beamte mundtot mache. In Behördenleiter Frank Richter sieht er dabei den „Hauptschuldigen“ für die seiner Ansicht nach skandalösen Fehlentwicklungen: „Der Polizeipräsident hat sehr wohl Kenntnis von vielen Fällen rassistisch motivierter Polizeigewalt, aber er belügt die Öffentlichkeit, wenn er jetzt behauptet, davon nichts gewusst zu haben.“
Private Dimension: Der Vater kämpft für seinen Sohn, einen gefeuerten Polizeischüler
Es ist ein eigentlich ein privates Anliegen, weshalb Schmalhausen gegen die Polizei zu Felde zieht. Seit gut zwei Jahren kämpft er mit allen juristischen Mitteln darum, den seiner Ansicht nach ungerechtfertigten Rauswurf seines Sohnes Hendrik (34) aus dem Polizeidienst rückgängig zu machen. Denn er ist fest davon überzeugt, dass der Kommissaranwärter in Wirklichkeit entlassen wurde, weil er gegen einen eklatanten Fall rassistisch motivierter Polizeigewalt in der Essener Innenstadt-Wache aufgemuckt und dabei gegen das ungeschriebene Gesetz des Schweigens verstoßen habe.
Um seinem Sohn nicht zu schaden, sei er bis jetzt bewusst nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Aber nachdem diese Zeitung über den Fall berichtet hat, redet der promovierte Jurist Klartext.
„Offen rassistischer Ton, AfD-Sprüche, Rechtsrock im Dienst und Neger jagen“
Obwohl die Staatsanwaltschaft Dortmund die Ermittlungen in dem vermeintlichen Prügel-Vorfall - wie berichtet – längst eingestellt hat, präzisiert und bekräftigt der Ex-Staatsanwalt im Redaktionsgespräch seine Vorwürfe, die weit über den Einzelfall hinausgehen.
Insbesondere in der „berühmt-berüchtigten“ Innenstadt-Wache, auch PI Mitte genannt, herrsche ein „offen rassistischer Ton“. Bei Razzien gegen schwarzafrikanische Drogendealer am Rheinischen Platz heiße es, man gehe „Neger jagen“. „Unfassbare AfD-Sprüche“ seien gang und gäbe, in der Nachtschicht werde am Polizeicomputer Rechtsrock gehört. Am schlimmsten sei die hohe Gewaltbereitschaft der Polizeibeamten. Man brüste sich damit, auf dem heißen Pflaster Innenstadt an vorderster Front zu stehen und die „Drecksarbeit“ zu erledigen. Kollegen in ruhigeren Wachen seien für sie lediglich „Freizeitpolizisten“. Und: Zwei der letzte Woche wegen rechtsextremer Chats suspendierten Polizisten sollen ebenfalls in der PI Mitte Dienst getan haben.
So will der Kommissaranwärter 2017 die angebliche Prügel-Attacke gegen einen Schwarzafrikaner erlebt haben
In dieser „schwierigen Wache“ absolviert der junge Schmalhausen im Rahmen seiner Kommissarausbildung im Herbst 2017 ein Praktikum. Der Polizeischüler ist auch dabei, als eine Streife einen randalierenden und erheblich unter Drogeneinfluss stehenden Schwarzafrikaner festnehmen musste. In der Wache habe der Festgenommene eine Kommissarin übelst sexistisch beleidigt. Daraufhin sei der bis dahin unbeteiligte Wachdienstführer K. in den Wachraum gestürzt, habe dem mit Handschellen gefesselten Mann einen Karton über den Kopf gestülpt und ihn mit der Faust („ein unheimliches Pfund“) ins Gesicht geschlagen. Dann soll K. in Gegenwart weiterer Polizisten, darunter auch anderen Polizeischülern, gesagt haben: „Das passiert allen, die sich auf einer deutschen Wache nicht anständig benehmen können.“
Sein Sohn sei schockiert und der Vorfall danach Tagesgespräch in der PI Mitte gewesen. Eine wehrlose festgenommene Person durch Schläge zu misshandeln, ist eine Straftat: Körperverletzung im Amt. Wer obendrein wegschaut, kann sich durch Strafvereitelung im Amt ebenfalls strafbar machen. Doch die Kollegen hätten die mutmaßliche Prügelattacke des Wachdienstführers im Gegenteil als „vorbildlich“ empfunden.
Bernd Schmalhausen erfährt am selben Abend von der mutmaßlichen Misshandlung und ist entsetzt. „Weil es der Wachdienstführer war, der ja eine Vorbildfunktion hat. Und weil er noch dazu nicht etwa im Affekt, sondern planvoll gehandelt hat.“
Polizeiausbilder: „Alles, was in diesen Räumen geschieht, bleibt in diesen Räumen“
Nach dem jüngsten Rechtsextremismus-Skandal in der Mülheimer Wache hat NRW-Innenminister Herbert Reul Polizisten in einem flammenden Appell aufgefordert, gegen dienstliche Missstände vorzugehen ohne jede Rücksicht auf Korpsgeist, Schweigekartelle und falsch verstandene Kameradschaft. Exakt das habe sein Sohn bereits vor drei Jahren getan, berichtet Schmalhausen. Denn gegenüber seinem Ausbilder und Tutor G., einem Polizeikommissar, habe er das Verhalten des Wachdienstführers offen kritisiert und auch kein Hehl daraus gemacht, seinem Vater, dem ehemaligen Staatsanwalt, davon berichtet zu haben.
Zur Person: Dr. Bernd Schmalhausen
Bernd Schmalhausen, Jahrgang 1949, ist im Essener Norden aufgewachsen. Der promovierte Jurist war mehr als 30 Jahre als Staatsanwalt in Essen tätig, überwiegend für Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag. Da er bei spektakulären Fällen selbst die Öffentlichkeitsarbeit übernahm, wurde er rasch bekannt.
Als Justizhistoriker widmete er sich der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Justizapparat. er schrieb mehrere Bücher über jüdische Schicksale in der Nazi-Zeit.
Gegen massive Widerstände im Apparat erreichte Schmalhausen, dass das Ölporträt eines nationalsozialistischen Landgerichtspräsidenten aus dem Essener Justizgebäude entfernt wurde. 1996 sorgte er dafür, dass im Landgericht eine Gedenktafel für die zwölf aus der Essener Justiz vertriebenen und zum Teil ermordeten jüdischen Juristen angebracht wurde. Schmalhausen ist 2006 mit der renommierten Josef-Neuberger-Medaille der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf ausgezeichnet worden.
Der medienbewusste Jurist war und ist gut bekannt mit zahlreichen Essener Prominenten. Als erster hat er in den 1990er Jahren ein Buch geschrieben über die Rolle von Berthold Beitz bei der Rettung jüdischer Menschen vor dem Holocaust. Darüber war bis dato wenig bekannt.
Seit 2011 ist der begeisterte Fußballfan Mitglied des Ehrenrates bei Rot-Weiss Essen.
Daraufhin hätte der Tutor pikiert reagiert und gedroht: „Alles, was in diesen Räumen geschieht, bleibt in diesen Räumen.“ Schmalhausen findet es skandalös, dass ein Polizeikommissar und Tutor „mit einer derart gestörten Einstellung zum Rechtsstaat Kommissaranwärter ausbilden darf“.
Für den Ex-Staatsanwalt steht fest, dass sein Sohn fortan anscheinend systematisch aus dem Dienst entfernt wurde. Zwar bestand er praktische und theoretische Prüfungen, doch in der „dienstlichen Beurteilung“ sei er durchgefallen und sogar als „Totalversager“ abgestempelt worden. Auch nach dem Wiederholungspraktikum im Spätsommer 2018 – erneut in der PI Mitte – zeigten die Daumen des Wachdienstführers H. und des Tutors P. nach unten. Wieder durchgefallen.
Vorwurf an Polizisten: „Offensichtlich stand für sie von vornherein fest, meinen Sohn erneut scheitern zu lassen“
Damit war der junge Schmalhausen aus dem Dienst entlassen. Und der Vater schreibt später im Januar 2019 in einer Petition an den NRW-Landtag: „Offensichtlich stand für sie von vornherein fest, meinen Sohn erneut scheitern zu lassen.“ Offenbar habe man in der PI-Mitte befürchtet, der Sohn werde auch künftig nicht „dichthalten“ und sogar Strafanzeigen gegen Kollegen erstatten. In der Petition heißt er: „Damit war er aus Sicht der PI-Mitte für den Polizeiberuf untragbar geworden und deshalb hat man für seine Entlassung aus dem Polizeidienst gesorgt.“
Der umstrittene Rauswurf des jungen Kommissaranwärters und der vermeintliche Prügel-Skandal – es ist ein vielschichtiger Doppel-Fall. Bis heute haben sich Rechtsanwälte und Verwaltungsrichter, Kommissare und Staatsanwälte, Gewerkschafter und Kriminaldirektoren, Landtagsabgeordnete und sogar ein Mitglied der NRW-Landesregierung über den Fall gebeugt. Es hat Telefonate und Briefwechsel gegeben, Vermutungen und Anschuldigungen, Strafanzeigen und Disziplinarverfahren, Dienstaufsichtsbeschwerden und Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht.
Die Dortmunder Staatsanwalt hat das Verfahren gegen den angeblichen Schläger-Polizisten wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt inzwischen auch eingestellt, weil das vermeintliche Opfer, der Schwarzafrikaner, selbst bestritten haben soll, geschlagen worden zu sein. Doch Schmalhausen schließt nicht aus, dass bei dessen Aussage erheblicher Druck ausgeübt worden sein könnte.
„Viele Staatsanwälte verstehen sich nicht als Kontrolleure der Polizei, sondern als ihre Kumpane“
Er nennt die Ermittlungen in Dortmund obendrein „dilettantisch“ und fragt: „Warum ist das Opfer nicht richterlich vernommen worden?“. An anderer Stelle sagt Schmalhausen über seine eigene Zunft: „Viele Staatsanwälte verstehen sich nicht als Kontrolleure der Polizei, sondern als ihre Kumpane.“ Kein Wunder also, dass sie Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt so oft einstellten.
Erscheint der brisante Prügel-Vorfall nach dem jüngsten Extremismus-Skandal nun in einem anderen Licht? Möglicherweise. Der von Innenminister Reul eingesetzte Sonderermittler hat Bernd Schmalhausen bereits angerufen, man wird sich zeitnah treffen.
Und sein Sohn? Der war zwei Jahre arbeitslos ohne Anspruch auf Unterstützung. Mehr als 30.000 Euro Gehalt sind ihm durch die Lappen gegangen. Aber er wird bei der Polizei eine neue Chance bekommen. Nach einem Vergleich vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen darf Hendrik Schmalhausen seine Ausbildung zum Kommissar im nächsten Monat fortsetzen. Auf die Gehaltsnachzahlung hat er verzichtet.
Polizeipräsidium Essen weist die Vorwürfe zurück: Stellungnahme
Das Polizeipräsidium Essen weist die Vorwürfe des Ex-Staatsanwaltes zurück. In der Stellungnahme heißt es:
„Die Vorwürfe des Herrn Schmalhausen sind nicht neu, sondern wurden von ihm bereits in seiner Petition in gleichem Umfang vorgebracht.
Alle diese Vorwürfe wurden in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt sowohl vom Polizeipräsidium Bochum, wie auch von der Staatsanwaltschaft Dortmund geprüft. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde eine Vielzahl von Zeugen vernommen. Im Ergebnis gab selbst der vermeintlich Geschädigte an, dass sich der Sachverhalt so nicht zugetragen hatte. Das Verfahren wurde seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt, weil keine strafbare Handlung erkennbar war.
„Beschäftigungsverhältnis des Sohnes wurde nicht vom Polizeipräsidium Essen beendet“
Mit dem Bekanntwerden der Vorwürfe leitete das Polizeipräsidium Essen ein Disziplinarverfahren ein, das bis zum Ende der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ruhend gestellt werden muss. Nach der Einstellung des Strafverfahrens blieben auch disziplinarrechtlich keine Überhänge übrig, so dass auch das Disziplinarverfahren eingestellt wurde.
Das Beschäftigungsverhältnis des Sohnes von Herrn Schmalhausen wurde nicht vom Polizeipräsidium Essen beendet, wo er lediglich praktische Ausbildungsmodule absolviert hatte. Da er Leistungsüberprüfungen nicht bestanden hatte, beendete die Ausbildungsbehörde seine Tätigkeit.“