Essen. Prügel-Vorwürfe gegen Essener Polizisten: Staatsanwaltschaft Dortmund stellt Ermittlungen ein, die ein Essener Ex-Staatsanwalt ins Rollen brachte
Noch immer erschüttert der Rechtsextremismus-Skandal in einer Mülheimer Polizei-Dienstgruppe das Präsidium Essen, da kommen neue Vorwürfe gegen Polizeibeamte der Polizeiinspektion (PI) Essen-Mitte ans Tageslicht: Sie sollen einem Schwarzafrikaner nach der Festnahme in der Innenstadt-Wache einen Karton über den Kopf gestülpt und ihn durch Faustschläge ins Gesicht misshandelt und verletzt haben. Nur: Die Staatsanwaltschaft Dortmund kann den angeblichen Prügel- und Rassismus-Skandal nicht bestätigen. „Wir haben die Ermittlungen gegen die Polizeibeamten in Essen eingestellt“, sagt Henner Kruse, Sprecher der Dortmunder Staatsanwaltschaft, auf Anfrage dieser Zeitung.
Unklar in diesem komplexen Fall erscheinen die Motive des Mannes, der den vermeintlichen Rassismus-Fall ins Rollen gebracht hat. Während die Dortmunder Staatsanwaltschaft keinerlei Angaben zu seiner Person macht, berichtet ein Polit-Magazin des WDR, dass es sich – pikanterweise – um einen ehemaligen Staatsanwalt aus Essen handelt.
Sohn eines Ex-Staatsanwaltes will als Kommissaranwärter Augenzeuge gewesen sein
Nicht nur moralisch-juristische, sondern wohl auch private Gründe könnten den Ex-Staatsanwaltschaft angetrieben haben. Denn es war sein Sohn, der als Kommissaranwärter damals ein Augenzeuge der angeblichen Prügel-Attacke gegen den Schwarzafrikaner gewesen sein soll.
Die Chronologie dieses Kriminalfalls nach Erkenntnissen der Dortmunder Staatsanwaltschaft: Es ist die Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 2017. Ein farbiger Mann wird von Polizisten festgenommen und zur Wache gebracht, weil er zuvor in einem Lokal randaliert haben soll. Auch in der Wache wird es laut, mehrere Polizisten und Polizistinnen sind zugegen.
Der junge Kommissaranwärter von damals ist heute 34 Jahre alt und trägt längst keine Polizeiuniform mehr. Nach Angaben des Polizeipräsidiums Essen habe er seine Ausbildung vorzeitig beenden müssen – eine diplomatische Umschreibung dafür, dass er den Ansprüchen des Polizeidienstes fachlich anscheinend nicht gewachsen war.
Erst ein Jahr danach kommt die angebliche Prügel-Attacke zur Sprache
Was in der Innenstadt-Wache im III. Hagen in jener Herbstnacht 2017 passiert ist, wird erst zwölf Monate später ein Thema. Denn im September 2018 hat der ehemalige Staatsanwalt zum Telefonhörer gegriffen und einen leitenden Beamten des Polizeipräsidiums Essen angerufen. Weil er in Justizkreisen bestens bekannt ist, soll er seinen Einfluss zugunsten seines bei der Polizei gescheiterten Sohnes geltend gemacht haben. Gleichzeitig schildert er dem Leitenden Polizeibeamten die angebliche Prügel-Attacke vom 1. Oktober 2017. Auch soll er darauf hingewiesen haben, diesen Fall öffentlich machen zu können – etwa im Rahmen eines Verwaltungsgerichtsverfahrens. Eine versteckte Drohung, die die Polizei später als versuchte Nötigung ausgelegen wird.
Nun, der Vorgesetzte hätte nach dem Telefonat sofort eine Strafanzeige gegen seine eigenen Kollegen von der PI Mitte stellen müssen: wegen Körperverletzung im Amt. Doch er unterlässt dies. Tags darauf, so die Staatsanwaltschaft Dortmund, sei er in Urlaub gegangen, daran habe sich eine Fortbildung angeschlossen. Später behauptet er, irgendwann nicht mehr an die brisanten Prügel-Vorwürfe gedacht zu haben.
Mai 2019: Anzeigen wegen „Körperverletzung und Strafvereitelung im Amte“
Doch der Ex-Staatsanwaltschaft bleibt hartnäckig, er reicht unterdessen eine Petition beim NRW-Landtag ein, in der er die möglicherweise rassistisch motivierte Prügelattacke der Polizei gegen den Schwarzafrikaner anprangert. Die Folge: Im Mai 2019 erstattet der Leitende Polizeibeamte nun doch Anzeigen gegen seine Kollegen wegen Körperverletzung im Amt. Außerdem gibt es eine Anzeige gegen ihn wegen „Strafvereitelung im Amte“. Damit nicht genug: Es folgt auch die Anzeige der Polizei gegen den Ex-Staatsanwalt wegen versuchter Nötigung.
Aus Neutralitätsgründen übernimmt nun die Staatsanwaltschaft Dortmund den vielschichtig gewordenen Fall. „Alle befragten Polizistinnen und Polizisten haben in den Vernehmungen bestritten, den Festgenommenen geschlagen zu haben“, sagt Henner Kruse. Mehr noch: Selbst das vermeintliche Opfer bestreite, von Polizisten geschlagen worden zu sein. Hinzu kommt: Die beschuldigten „Schläger-Polizisten“ rücken den Festgenommenen in ein recht unvorteilhaftes Licht. Polizistinnen seien von ihm gezielt sexuell beleidigt worden, etwa indem er ihnen angeboten habe, sie zu „fi..en“. Außerdem habe er Polizisten bespuckt. „Um sich davor zu schützen, sollen sie einen Karton vor sein Gesicht gehalten haben“, so Henner Kruse.
Verfahren gegen Ex-Staatsanwalt wegen des Verdachts der Nötigung ist auch eingestellt
Die vorläufige Bilanz fast drei Jahre danach: Die Staatsanwaltschaft Dortmund stellt das Verfahren gegen die angeblichen „Schläger-Polizisten“ endgültig im Februar 2020 ein, ebenso das Nötigungsverfahren gegen den Ex-Staatsanwalt. Das Verfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt sei ebenfalls eingestellt worden, doch der Vater des früheren Kommissaranwärters habe dagegen Beschwerde eingelegt. Deshalb liege dieser Fall jetzt auf dem Schreibtisch des Generalstaatsanwalts.