Essen. Denkmalpfad der Essener Kokerei Zollverein soll Gästen eine neue Seite des Welterbes erschließen. Moderne Medien vermitteln komplexe Abläufe.
Erst sieht man rotglühendes Feuer, dann kommt die kalte Wasserdusche. Bis der fertig gebackene Koks auch schon in die bereitstehenden Löschwagen kullert. Wenn schließlich der zischende Wasserdampf hochsteigt, dann weiß man wieder, woher die weißen Wolken kamen, die einst zum Himmel über der Kokerei gehörten wie der Dreck und der Geruch von Schwefel und Schwerstarbeit. Malocht wird auf der Kokerei Zollverein längst nicht mehr. Doch der Erhalt und die museale Erschließung der einst modernsten und größten Zentralkokerei Europas sind zur neuen großen Aufgabe geworden.
Ein weiterer Anziehungspunkt auf dem Welterbe
Weil sich dieser gewaltige Komplex mit seiner 600 Meter langen denkmalgeschützten Koksofenbatterie, den sechs riesigen Kaminen und seinen komplexen Funktionsabläufen – anders als die benachbarte Zeche Zollverein – für den Besucher nicht so leicht erschließen lässt, gibt es jetzt den neuen Denkmalpfad, der das Welterbe im Essener Norden um eine weitere Attraktion bereichern soll.
Man wolle eine „zweite Erlebniswelt“ schaffen, sagt Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums und Vorstandsmitglied der Stiftung Zollverein, die für das ehrgeizige Projekt engagierte Unterstützer finden konnten. So haben die RAG-Stiftung und die NRW Stiftung den Denkmalpfad maßgeblich gefördert, auch zur Freude der Freunde und Förderer der Stiftung Zollverein. Rund eine Million Euro konnten für die erste Ausbauphase des neuen Angebots aufgebracht werden. In den kommenden Jahren sollen weitere vier bis fünf Millionen Euro in die Gestaltung des Denkmalpfads fließen, der diesen archaischen Ort der Arbeit auch mit virtuellen Mitteln wieder erlebbar machen wird. Dafür werden im Laufe der Zeit noch etwa zehn weitere Ausstellungsstationen in die Kokerei-Architektur integriert. Der erste Kubus ist ab sofort geöffnet. Entworfen hat ihn das Kölner Architektenbüro New.
„Wir haben eine Anlage, die sich nicht von alleine erklärt“
Wer eintritt, trifft nicht nur auf ein Modell der Koksofenbatterie mit ihren gigantischen Ausmaßen. Mittels Licht, Geräuschen, Gerüchen und digitaler Technik wird das nachvollziehbar, was Grütter als „Entfesselung der Elemente“ bezeichnet. 1000 Grad Hitze in den Öfen, Qualm und ein beißender Geruch machten die Kokerei in der Zeit von 1961 bis 1993 auch zu einer gewaltigen „Höllenmaschine“, deren Arbeitsabläufe sich eben nicht auf den ersten Blick erfassen lassen. Denn dieses gigantische Industrie-Monster, das bis zu 8000 Tonnen Koks pro Tag, aber auch etliche Nebenprodukte wie Teer und Ammoniak ausspuckte, ist ein komplexer Apparat. „Wir haben eine Anlage, die sich nicht von alleine erklärt“, sagt Thorsten Seifert, Leiter des Denkmalpfads.
Mit speziellen Führungsangeboten wie „Durch Koksofen und Meistergang“ bringt man den Besuchern die Kokerei Zollverein schon seit geraumer Zeit näher. Doch die gigantischen Ausmaße der Kokerei, deren Areal noch einmal doppelt so groß ist wie das der Zeche Zollverein, erschweren eben auch die Erkundung. Zwei Stunden dauert der Rundgang, in Corona-Zeiten ist er halb so lang. Die erste Station des Denkmalpfades ist deshalb so etwas wie ein Einführungs-Ort, der die Gäste mit den vielfältigen Produktionsprozessen bekannt macht: Wer den Kubus verlässt, „weiß was eine Kokerei ist“, sagt Seifert.
Das Interesse an Führungen auf dem Zollverein-Areal ist riesig
Gedacht ist das Denkmalpfad-Konzept vor allem für Teilnehmende an Gruppenführungen, die in Zukunft den Arbeitsplatz eines Zollverein-Kokers ebenso kennenlernen können wie die vielen technischen Prozesse. Aber auch Umweltschutz und Architektur sollen Themen sein. Wie weit Besucher dabei in Zukunft möglicherweise auch Apps oder Virtual Reality-Angebote nutzen können, wird sich zeigen. Für Einzelerkundungen jedoch sei das Areal schlichtweg zu groß, heißt es. Trotzdem arbeitet man an weiteren digitalen Angeboten, die den Besuchern das Welterbe vermitteln sollen. Rund 150.000 kommen pro Jahr. Schon jetzt gibt es rund 30 Führungen pro Tag. „Viel mehr geht nicht“, sagt Grütter. Die Kokerei könnte für das gesteigerte Interesse an Industriekultur eine neue Anlaufstelle sein. Vieles wird sich dabei schrittweise entwickeln wie die Sanierung der Kokerei, die mit mindestens 80 Millionen Euro zu Buche schlagen wird, erläutert Grütter.
Obschon geplant ist, sich nur auf rund 40 Prozent der gesamten Anlage zu konzentrieren. Doch die Instandhaltungsliste ist lang: Löschgleishalle, Bandbrücken, Schornsteine und die 600 Meter lange Koksofenbatterie haben seit der Stilllegung 1993 enorm gelitten. Um die einzige musealisierte Kokerei in Europa vor dem Verfall zu retten, bleibe nicht mehr allzu viel Zeit, mahnt der Chef des Ruhr Museums. Die Anlage sei eben „nie für den Stillstand gedacht gewesen“, fügt Sebastian Scholz (Abteilung Standortentwicklung) hinzu. Auf der Kokerei wurde rund um die Uhr gearbeitet, zeitweilig waren dort mehr als tausend Menschen beschäftigt. Zigtausende sollen nun sehen, wie ihr Arbeitsalltag war – mit rotglühendem Feuer und zischendem Wasserdampf.
Führungsangebot: „Durch Koksofen und Meistergang“
Der Besuch des neuen Ausstellungskubus ist ab sofort im Rahmen der öffentlichen Führung „Durch Koksofen und Meistergang“ beziehungsweise als Gruppenführung mit derzeit maximal neun Personen buchbar. Kontakt und Infos: Tel. 0201-24681-0 und per E-Mail: besucherdienst@zollverein.de
Für die mediale Gestaltung der Ausstellung zeichnet die Agentur „jangled nerves“ verantwortlich. Den neuen Kubus hat das Architekturbüro New entworfen.