Oberbürgermeister-Kandidat Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) über das Wetter als Wahlhelfer, die Verkehrswende und warum er OB und GroKo nicht traut.
EssenHerr Mostofizadeh, haben Sie schon ein paar Kerzen angezündet, für Petrus, den besten Wahlhelfer der Grünen?
Das dritte Jahr in Folge mit einer Dürre-Periode – ein Grund zur Freude ist das nicht. Wir Grüne haben diese Entwicklung nicht nur nicht bestellt, sondern lange davor gewarnt. Fakt ist: Der Klimawandel ist da, und die Auswirkungen bekommen wir zu spüren, erst recht in einer Großstadt, die sich aufheizt.
Und Fakt ist doch auch, es spielt in die Karten Ihrer Partei, für die der große Hype vorbei schien.
Das Thema Corona hat natürlich vieles überlagert, weil es jeden betrifft und zwar Tag für Tag. Aber dadurch sind ja weder die Klimafolgen verschwunden, noch die sozialen Probleme, im Gegenteil: Sie haben sich in der Krise sogar verschärft, weil jene, die knapp bei Kasse sind, schnell ihre Reserven verbraucht haben. Gerade in
schwierigen Zeiten ist es ja die Kunst von Politik und Verwaltung, die Krise als solche zu meistern, ohne die Problemlagen drumherum außer Acht zu lassen.
SPD und CDU sagen höheren Orts, aber auch hier in Essen: „Wir haben verstanden.“ Nehmen Sie ihnen das ab?
Also wer jetzt noch nicht verstanden hat, wer immer noch leugnen würde, dass wir extremen Druck haben, diesen Klimawandel zu beherrschen und die Folgen abzuschwächen, der muss schon ziemlich neben der Spur liegen. Insofern: Ich nehme ihnen ab, dass sie verstanden haben, aber die getroffenen Maßnahmen passen nicht dazu.
„Der Radentscheid ist ein Riesenerfolg, aber es muss dann auch gemacht werden“
Was meinen Sie damit?
Nehmen wir die Verkehrswende: Da werden gute Ziele beschlossen...
...Sie meinen den Plan, Fußgänger-, Rad-, Nah- und Autoverkehr auf einen Anteil von jeweils 25 Prozent zu bringen...
...aber gleich hinterher wird signalisiert: Na ja, wir warten jetzt mal zwei Jahre mit der Umsetzung. Das passt einfach nicht zusammen. Auch mit den Klimamaßnahmen der nächsten Jahre befassen sich kluge Leute – aber selbst da nimmt man sich bis 2050 Zeit. Die Folgen dieser Entscheidung werden nicht bedacht. Wir müssten an all diesen Punkten viel intensiver mit der Stadtgesellschaft arbeiten. Dass wir das nicht tun, wird uns am Ende viel teurer zu stehen kommen, als wenn wir die Maßnahmen jetzt angingen.
Viele haben nicht schlecht gestaunt, als SPD und CDU sagten: Radentscheid? Tolle Sache. Machen wir sofort mit, 1:1. Das ist aus grüner Sicht doch lobenswert oder nicht?
Es ist auf jeden Fall ein Riesenerfolg für die Initiative, die diesen Radentscheid sehr gut vorbereitet hat, sehr viele kluge Maßnahmen hineingeschrieben und vor allem deutlich gemacht hat: Es geht um einen strategischen Ansatz, die Nahmobilität insgesamt zu stützen. Wir Grünen werten das als großen Erfolg, aber verdammt noch mal: Es muss dann auch gemacht werden. Und nicht bei jeder Maßnahme knatschen, wo sich
Zur Person
In Essen war er einer der Architekten von Schwarz-Grün, im Land Verfechter von Rot-Grün: Kein Problem für Mehrdad Mostofizadeh, 51, wenn nur die Inhalte stimmen.
Den Job in der Altenpflege gab er für die Politik auf, war 21 Jahre in der Kommunalpolitik aktiv, davon 16 Jahre im Rat.
2010 zog er für die Grünen in den NRW-Landtag ein, wurde dort Fraktionschef und ist heute Fraktionsvize. Mostofizadeh ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Kupferdreh.
Radler und Fußgänger in die Quere kommen. Das muss man nicht nur beklagen, sondern lösen.
Sie trauen dem Braten nicht?
Ich will keinem zu nahe treten, aber bei der CDU habe ich sehr oft den Eindruck, die Radmobilität funktioniert so: Ich fahre genauso weiter mit dem Auto und baue daneben dann den Radweg. So stellen wir uns die Mobilität aber nicht vor. Wir sind überzeugt: Diese Stadt wird lebenswerter, wenn wir die riesigen Verkehrsflächen anders nutzen. In der Essener Innenstadt läuft man vom Parkplatz zu den Geschäften auch nicht länger als in Einkaufszentren, man fühlt es nur anders. Würden wir Parkplätze zentrieren und eben nicht überall verstreuen, könnte das den Parksuchverkehr deutlich verringern. Laut Studien macht der in den urbanen Zentren bis zu 30 Prozent aus.
„Alles parallel zu wollen, das ist die deutsche Lösung, und es ist die teuerste“
Sie verscherzen sich viele Sympathien durch den Vorwurf: Herrje, die Grünen machen das immer so radikal. Ziehen Sie sich den Schuh an?
Es macht keinen Sinn, alles parallel zu wollen. Das ist die deutsche Lösung, und es ist die teuerste. Wir fordern einen Mobilitätsplan, der alle Verkehrsbeziehungen untersucht, wo auch Prioritäten diskutiert werden. Das Auto wie gottgegeben ins Zentrum zu rücken, und alles andere drumherum zu bauen – also, da habe ich schon andere Vorstellungen. Und Essen hätte ja auch den Platz, anders als viele andere Städte. Der Spielraum für eine Umweltspur wäre vielerorts möglich ohne dramatische Einschnitte.
In einer Stadt, die in den 1960ern ja mal gezielt autogerecht geplant wurde, scheint vielen das, was SPD und CDU beschlossen haben, das maximal Zumutbare zu sein. Wie sehr ärgert die Grünen, dass die GroKo-Parteien ihnen den Wahlkampf-Knochen Radentscheid gemopst haben, auf dem Sie sicher gerne herumgekaut hätten?
Gar nicht. Es ist eine gute Sache, wenn gute Politik sich durchsetzt. Es geht ja hier nicht um Marketing.
Obwohl Sie das auch drauf haben: „Mehrdad macht mobil“, steht auf Ihren Plakaten. Klingt so nach den Siebzigern.
Mag ja sein. Ich will motivieren. Gesunde Mobilität macht unfassbar viel Spaß.
Vielleicht sommers bei 20 Grad plus X und Sonne. Bei 15 Grad und Nieselregen sieht das anders aus.
Sehe ich nicht so. Bei 15 Grad und Nieselregen gehen die Leute doch auch zum Bus, nicht zuletzt, weil sie
darauf angewiesen sind. Ich empfehle einen Blick in die Niederlande: Die haben ähnliche Wetterverhältnisse und jeweils ganz andere Anteile an der Mobilität. Ja, wir müssen werben, das stimmt.
„Den Autoverkehr mehr als zu halbieren, das klappt nicht, indem man sitzenbleibt“
Ist das schon mehrheitsfähig?
Ich hoffe. Oder besser: Muss ja! Wenn SPD und CDU auch dafür sind, den Autoverkehr mehr als zu halbieren, dann passiert das nicht dadurch, dass man sitzenbleibt, sondern das organisiert. Man kann’s natürlich auch versenken, indem man viel Frust aufstaut, Maßnahmen schlecht macht oder Beschlüsse im Ungefähren stecken bleiben.
Der OB scheint immerhin bereit, die Autofahrer notfalls auszubremsen.
Wichtiges Stichwort. Ich erkenne da klare Widersprüche. Denn die sogenannte Umweltspur am Rathaus vorbei ist ja mutwillig von der GroKo zerstückelt worden. Und der Durchgangsverkehr auf der Rüttenscheider Straße bleibt erhalten.
Das erklären Sie sich wie?
Ein OB muss für alle da sein. Bei Thomas Kufen habe ich oftmals den Eindruck, dass er je nachdem, wo er gerade spricht, das in einer solchen Weise moderiert, dass auch Zuspruch erfolgt. Bei den Umweltschützern wird dann der Umweltschutz hochgehalten, und bei der Industrie- und Handelskammer heißt es: Grüne Projekte muss man sich erst mal erlauben können.
Ihr Parteisprecher Kai Gehring sagt: Grüne sind mittlerweile Vollsortimenter im politischen Geschäft, aber ist es nicht so, dass in diesem Wahlkampf mal wieder Ihre klassischen Themen die Hebel für Stimmengewinne sind?
Das sind ja derzeit auch die richtigen Antworten. Und sie wirken weiter: Eine kluge Mobilität lässt in der Folge Platz für Gastronomie, Kultur, Stadtentwicklung.
Schwarz-Grün oder lieber Rot-Grün? „Wir legen uns vorab nicht fest“
Zahlt sich diese Linie für sie als OB-Kandidat aus?
Ich glaube, dass ich einen höchst authentischen Wahlkampf mache. Ich war viele Jahre in der Essener Kommunalpolitik aktiv und nehme für mich in Anspruch, ein sehr klares Bild von dieser Stadt zu haben. Und was mich vielleicht am meisten von den anderen Bewerbern unterscheidet: Ich rede nicht nur über grüne Kernthemen, ich tu’s auch selber.
Ihr größter Erfolg wäre, in die Stichwahl zu kommen?
Ja, denn ich möchte nicht vermessen sein: Ein Amtsinhaber hat immer einen Bonus. Ich will deutlich machen, dass es ich lohnt, einen grünen Kandidaten zu stützen. Daneben streben wir spürbar mehr Ratsmandate an
als bisher. Am OB und seinem Einfluss als Chef der Verwaltung kommt man zwar nicht mal eben vorbei, aber am Ende sind es die Ratsmehrheiten, die über Pläne und Budgets entscheiden. Und das Schöne an der Kommunalpolitik ist ja: Es gibt manchmal auch Mehrheiten abseits festgefahrener Koalitionen, auch wenn das in den vergangenen sechs Jahren selten der Fall war: Da haben SPD und CDU ihren eigenen Stiefel gemacht, in den Ausschüssen wurde kaum noch diskutiert, sondern alles in den Rat geschoben, um dort im Eiltempo durchzuziehen. Das finde ich schade.
Wenn’s denn keine GroKo wird: lieber Schwarz-Grün oder lieber Rot-Grün?
Wir legen uns vorab nicht fest. Wir wollen für die Verkehrswende, den Klimaschutz, den sozialen Zusammenhalt Mehrheiten in Essen bilden.
„Ab und zu mal den Zorn auf sich ziehen – das würde ich schon wagen“
Vieles tritt zurück hinter das Megathema Corona. Leidet darunter auch der OB-Wahlkampf, weil der Amtsinhaber als Krisenmanager einen Startvorteil hat?
Mag ja sein, dass das so ist, aber diese Position birgt gleichzeitig auch ein hohes Risiko, das sieht man an Markus Söder in Bayern, der ja gefühlt fast schon Bundeskanzler war, bis die Corona-Test-Panne bekannt wurde. Das kann hier genau so passieren.
Was würde denn der Krisenmanager Mehrdad Mostofizadeh anders machen als Thomas Kufen?
Also ich fand die Teststrategie in Sachen Corona nicht überzeugend. Nach der Anfangsphase, wo es sicher richtig war, nach Symptomen zu schauen, habe ich jetzt den Eindruck, Tests werden immer dort angewandt, wo man ein bestimmtes Wohlverhalten auslösen möchte. Ich hätte mir etwa in Pflegeheimen viel früher Reihentests gewünscht, weil dort ja auch die Grundrechts-Einschränkungen am größten ausfallen. Im Nachhinein ist man aber zugegeben immer schlauer. Essen war stets die letzte Stadt, die Beschränkungen nachvollzogen hat. Ich würde mich mehr um den öffentlichen Raum kümmern, und auch in den Schulen könnte man andere Raumkonzepte andenken. Und: Im April durfte man nicht mal fünf Leute zu einer Beerdigung mitnehmen, jetzt können 150 Leute zusammen feiern, wenn aufgeschrieben wird, wer dabei ist. Da habe ich ein Störgefühl.
Spaßverderber machen sich im Zweifel keine Freunde.
Manches kann man aber halt nicht wegmoderieren, man muss dann Entscheidungen treffen, auch wenn die sich im Nachhinein als falsch herausstellen können. Man hat beim jetzigen OB insgesamt den Eindruck, seine Moderation stößt zwar keinem vor den Kopf, aber es kommt auch nichts so richtig voran. Ich würde gerne diesen schlafenden Riesen Essen zum Leben erwecken. Diese Stadt hat Potenzial, und sie hat auch Druck voranzukommen: in Klima- und Umweltfragen, aber auch bei den Arbeitsplätzen. Ab und zu mal was riskieren, ab und zu mal den Zorn auf sich ziehen – das würde ich schon wagen.