Essen. Corona-Infizierte kehren in Essen ohne Test in Schulen oder an den Arbeitsplatz zurück. Das Gesundheitsamt hält die Quarantäne für ausreichend.

Während Experten bundesweit für vermehrte Coronatests werben, hält Essen an seiner zurückhaltenden Test-Strategie fest. Ein riskantes Vorgehen, findet der Essener Martin Polak, der Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatte. Einen Test habe ihm das Gesundheitsamt verweigert.

Er habe kürzlich zu Haus einen „mehrstündigen Besuch von einer Corona positiv getesteten Person“ gehabt, berichtet Polak. Sein Besucher ahnte da noch nichts von der Infektion: Er gehörte zu jenen Reisenden, die lange auf ihr Testergebnis aus Bayern warten mussten. Als er das positive Ergebnis erhielt, informierte er Polak umgehend.

Die Familie wurde in Quarantäne geschickt – getestet wurde sie nicht

Der Kettwiger meldete sich beim Gesundheitsamt und wurde samt Familie sofort in Quarantäne geschickt. Da die Polaks keine Symptome zeigten, sei ein Test nicht nötig. „Wenn man nicht testet, kann man die Infektionsketten doch nicht vernünftig nachverfolgen“, ärgert sich Polak. Darum empfehle das Robert-Koch-Institut (RKI) ja ausdrücklich, Kontaktpersonen der Kategorie I „so früh wie möglich“ zu testen, am besten am ersten Tag – auch wenn sie keine Symptome zeigen. Fünf bis sieben Tage später solle der Test wiederholt werden.

Essen habe sich für einen anderen Weg entschieden, erklärt die Leiterin des Gesundheitsamtes, Juliane Böttcher. „Studien haben ergeben, dass asymptomatische Fälle regelhaft nicht ansteckend sind.“ Die Erfahrung vor Ort bestätige das: In den vergangenen Monaten habe man im Zusammenhang mit Corona-Infizierten ohne Symptome keine Infektionsketten beobachtet. „Wir testen daher nur, wenn die Kontaktpersonen Symptome haben.“

Tochter kann ohne Testergebnis in die Schule zurückkehren

In den anderen Fällen hält Juliane Böttcher die Quarantäne für ausreichend: „Wer isoliert zu Hause bleibt, kann niemanden anstecken.“ Das sei zwar richtig, sagt Martin Polak. „Aber was ist, wenn wir aus der Quarantäne entlassen werden? Auch dann werden wir nicht getestet. Meine Tochter kann einfach an die Schule zurückkehren.“

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Gesundheitsamtsleiterin Böttcher bestätigt das, und in diesem Fall handle Essen im Einklang mit dem RKI: „Vor der Rückkehr aus der Quarantäne ist kein Test nötig. Nur wer etwa als Arzt oder Pflegekraft arbeitet, benötigt ein negatives Testergebnis.“ Zudem teste man diejenigen, die schwer erkrankt waren, beatmet werden mussten. Infizierte Schüler kehrten in der Regel aus der Quarantäne ohne Test an die Schule zurück.

„Betroffene könnten viele andere anstecken. Das ist supergefährlich“

Martin Polak fühlt sich damit nicht wohl: „Womöglich infiziert meine Tochter ahnungslos zig Mitschüler.“ Das Argument, dass die Stadt sich hier an die RKI-Empfehlung, überzeugt ihn nicht. Ginge es nach dem Robert-Koch-Institut würden Kontaktpersonen ohne Symptome ja am ersten sowie am fünften bis siebten Tag getestet, es lägen also schon zwei Tests vor. „Aber auf die verzichtet Essen ja.“

Das Gesundheitsamt habe also keinerlei Anhaltspunkte über eine mögliche Erkrankung. „Wenn Kontaktpersonen sowie Infizierte nach ihrer Genesung trotzdem ohne Test in Schulen und an die Arbeitsplätze zurückkehren, könnten sie viele andere anstecken. Erstens ist das supergefährlich, zweitens droht so vielleicht ein zweiter Lockdown.“

Juliane Böttcher hält das Risiko dagegen für gering. Im übrigen sei die Aussagekraft der Tests begrenzt: „Ein Test kann heute negativ ausfallen, am nächsten Tag bereits positiv.“ Sie wisse, dass in Nachbarstädten zum Teil mehr getestet werde als in Essen. Wenn hier ein einheitliches Vorgehen gewünscht sei, müsse der Gesetzgeber eben verbindliche Vorgaben machen, derzeit gebe es ja nur Empfehlungen. Das Bundesgesundheitsministerium bestätigt: „Die Entscheidung liegt beim örtlichen Gesundheitsamt.“

Für die Bürger sind die Test-Strategien mitunter verwirrend. So kehrte der Essener Joel Leine zwei Tage, bevor eine Reisewarnung für die Balearen-Insel ausgesprochen wurde, aus Mallorca zurück. Weder der kassenärztliche Dienst noch Hausarzt oder Uniklinik hätten ihm sagen können, ob er sich testen lassen müsse. Gesundheitsamt und Bundesgesundheitsministerium sind sich in diesem Fall indes einig: Ein Test sei nicht nötig, weil es bei Leines Rückkehr noch keine Warnung für Mallorca gab.