Essen. Klaus-Peter Böttger, langjähriger Essener Bibliothekschef, zieht nach 41 Dienstjahren Bilanz. Büchereien sind für ihn ein zentraler Ort der Stadt

Die Langstrecke ist sein Metier. 55 Marathon-Läufe hat Klaus-Peter Böttger in seinem Leben schon absolviert. Auf eine fast Marathon-verdächtige Laufbahn hat es der gebürtige Essener auch beruflich gebracht. Nach 41 Dienstjahren geht der langjährige Direktor der Essener Stadtbibliothek Ende des Monats in den Ruhestand. Zum Abschied hätte sich Böttger keinen feierlichen Aufwand, wohl aber ein paar mehr alte Weggefährten beim Zieleinlauf gewünscht. Corona hat dem langjährigen Bibliothekschef, für den Bücher und Medien immer auch ein Mittel der Kommunikation und des Miteinanders waren, nun einen ungeplant stillen Abschied beschert.

In der dänischen Bücherei wird die Glocke für jede Geburt im Ort geläutet

Dabei hat Böttger in den vergangenen Jahren viel dafür geworben, dass Bibliotheken eben nicht nur Unterbringungsmöglichkeiten für kilometerlange Bücherregale sind, sondern zu den zentralen Treffpunkten einer Stadt gehören. Dass sie in der Bibliothek der dänischen Stadt Aarhus beispielsweise eine Glocke läuten, wenn ein Kind geboren worden ist, erzählt Böttger gerne, um die Bedeutung von Bibliotheken als „dritter Ort“ unseres öffentlichen Lebens zu verdeutlichen.

Von Geburtsglocken und anderen bürgernahen Einrichtungen ist Essen noch ein gutes Stück entfernt. Aber immerhin soll die Zentralbibliothek an der Hollestraße ab Juni sechs Tage die Woche geöffnet haben, nachdem Böttger lange für bürgerfreundlichere Zugangszeiten geworben hat. Das Modell der „Open Library“, bei dem die Öffnungszeiten ohne Aufstockung des Personals durch zeitweilige Selbstbedienung heraufgefahren werden können, hat Böttger ebenfalls in Dänemark kennengelernt. Auch dort, sagt er, war es eine Reaktion auf wachsenden Kostendruck.

Die Bücherei gehört zur Bildungslandschaft einer Stadt dazu

Dass der Rotstift in den vergangenen Jahren immer mitdiktiert hat, wenn es um Entwicklungen der städtischen Bibliotheken ging, hat seine Arbeit nicht immer leichter gemacht. Und dennoch gab es für den gebürtigen Essener nie einen Grund, an der Notwendigkeit von Bibliotheken zu zweifeln. Zur Bildungslandschaft einer Stadt gehört für ihn ganz ohne Frage so ein niedrigschwelliger Ort des Wissenserwerbs, der für alle zugänglich ist. Wo man lesen und lernen kann, freien Zugang zu analogen und digitalen Informationen hat, ohne dass kommerzielle Interessen mitspielen.

Dass zum Angebot der Essener Bibliothek heute weit mehr als Belletristik-Bestseller gehören, Schul- und Sachbücher die Regale ebenso füllen wie DVDs, Hörbücher und Computerspiele, hat auch die Ausleihzahlen stabil gehalten. Nach Spitzenzahlen von vier Millionen Ausleihen pro Jahr, die noch 2015 gezählt wurden, habe sich die Zahl inzwischen bei 2,8 bis 2,9 Millionen eingependelt, sagt Böttger. Deutlich gestiegen sind in diesem Zeitraum vor allem die Besucherzahlen.

Das erste Praktikum mit 17 in der Stadtteilbibliothek Rüttenscheid

„Der Umgang mit der Vielfalt“ war es denn auch, der Böttgers Berufswahl prägte, als er mit 17 sein erstes Praktikum in der Stadtteilbibliothek Rüttenscheid gemacht hat. Nach dem Bibliothekswesen-Studium in Köln arbeitete Böttger elf Jahre lang für die Stadtbibliothek Essen, unter anderem auch in Dellwig und Rüttenscheid. 18 Jahre (1991 bis 2009) war er Bibliotheks-Direktor in Mülheim, wo er auch den Bau des neuen Medienhauses begleitet hat, bis er 2009 als Nachfolger von Reinhard Brenner den Direktorenposten in Essen übernahm.

Nachfolgerin aus Würzburg

Nachfolgerin von Klaus Peter Böttger wird Anja Flicker.

Flicker sammelte Berufs- und Führungserfahrung im Bibliothekssystem der Münchner Stadtbibliothek. Danach war sie acht Jahre als Wissensmanagerin tätig und wurde 2003 als „Wissensmanager des Jahres“ ausgezeichnet. 2010 übernahm sie die Leitung der bundesweit angesehenen und vielfach ausgezeichneten Stadtbücherei Würzburg.

Das Ruhrgebiet ist sein beruflicher Dreh- und Angelpunkt geblieben, auch wenn den leidenschaftlichen Läufer nicht nur die vielen Marathons rund um den Globus geführt haben, sondern auch etliche internationale Ämter im Bibliotheksbereich. Immer wieder sehen, was geht und neue Dinge ausprobieren, das ist sein Prinzip. Für Böttger darf eine Bibliothek auch mal eine Tanzbühne zu sein, wie zuletzt beim Gastspiel der Kunstbaden-Reihe. Schließlich war das Haus der Bücher an der Hollestraße vor Jahren mal ein Spaßbad. Der Mietvertrag läuft dort in einigen Jahren aus. Ob Essen für eine noch innerstädtischer gelegene Zentralbibliothek irgendwann Geld in die Hand nimmt, mag derzeit niemand absehen.

Die Zukunft der Bibliotheken: bessere Aufenthaltsqualität und modere Ausstattung

Auf Sicht einen Bibliotheksentwicklungsplan vorzulegen, hält der 65-Jährige jedenfalls für sinnvoll. Auch die Zukunft einzelner Stadtteilbibliotheken dürfte dann noch einmal zur Sprache kommen. Noch verteilen sich 15 Zweigstellen über die ganze Stadt, nicht nur baulich ist manche Ausleihstelle allerdings in beklagenswertem Zustand. Dabei, glaubt Böttger, liegt die Zukunft der Bibliotheken vor allem auch in einer besseren Aufenthaltsqualität und modernen Ausstattung – mit variabel nutzbaren Räumen, Angeboten wie 3-D-Druckern und einem Makerspace, „da hängen wir in der Ausstattung noch zurück“ bedauert der scheidende Bibliothekschef. Doch als Langstreckenläufer weiß Böttger, dass man für manche Ziele einfach viel Ausdauer braucht.