Essen. Ende 2019 erst warnte Essens Finanzchef: „Unser Haushalt ist noch nicht krisenfest!“ Jetzt ist die Krise da – und die Sorge, dass der Etat kippt.
Es ist (s)ein kleiner Triumph, aber keiner nimmt davon Notiz: Zum ersten Mal seit einer kleinen Ewigkeit kann Gerhard Grabenkamp dieser Tage berichten, dass die Stadt mit ihrem „Dispo“, den horrend hohen Liquiditäts-Krediten, unter die Zwei-Milliarden-Euro-Grenze gerutscht ist. Allein – rechte Freude kommt auch beim Stadtkämmerer nicht auf, denn der Etat steht womöglich bald auf der Kippe. Verantwortlich: das Virus, was sonst?
Es ist kein Geheimnis, dass das städtische Zahlenwerk schon vorher arg auf Kante genäht war: Angesichts eines 3,2 Milliarden Euro schweren Stadt-Etats für 2020 stehen unterm Strich nur etwas mehr als 27 Millionen Euro Überschuss auf geduldigem Papier. Grabenkamp warnte deshalb im November 2019 ausdrücklich vor verfrühter Begeisterung: „Noch ist der Essener Etat nicht krisenfest.“ Vier Monate später ist die Krise da. Und noch niemand kennt ihre Wucht.
Rathaus will Bitten um gestundete Steuerzahlungen sehr großzügig handhaben
Doch die ersten Anzeichen trudeln bereits im Rathaus ein: Post von klein- und mittelständischen Unternehmen, Blumenhändlern, Friseuren, Messebauern, die darum bitten, die Gewerbesteuer zu stunden oder wenigstens die Vorauszahlungen nach unten zu schrauben.
Ein Kämmerer ist nicht dazu da, Beliebtheitspreise einzuheimsen, aber die Devise, die Grabenkamp hausintern ausgegeben hat, dürfte allseits für Erleichterung sorgen: „Wir werden das sehr großzügig handhaben“, betont er – und noch sind es ja nur gut zwei Dutzend Unternehmen, die klamm sind.
Jeden Freitag frische Zahlen, einmal im Monat ein Rapport der Tochterfirmen
Was passiert, wenn gezwungenermaßen geschlossene Geschäfte, abgesagte Veranstaltungen und stornierte Reisen finanziell so richtig durchschlagen, weiß kein Mensch. Nein, Zahlen auch nur Pi mal Daumen zu schätzen, verbietet sich für den Kämmerer. Er wartet lieber die schriftlichen Berichte ab, die ihm die Fachbereiche der Kernverwaltung ab sofort jeden Freitag auf den Tisch legen müssen.
Darin beschrieben die finanziellen Auswirkungen in Sachen Coronavirus in jeglicher Hinsicht: Mehrkosten, Mindereinnahmen, dazu eine Übersicht über Verträge und Verpflichtungen, um nachsteuern zu können, was nachzusteuern geht. Auch die Geschäftsführer der städtischen Tochterfirmen müssen zum 31. März und dann einmal monatlich Rapport erstatten.
Es trifft vor allem die Gewerbesteuer, die sich gerade wieder berappelt hatte
Verschobene Messen, ausgedünnte Fahrpläne, abgesagte Konzerte. – Es fällt nicht schwer, auch als Laie Millionenschäden zu vermuten: einerseits für die anstehenden Verlustübernahmen, andererseits für die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die sich als Haupteinnahme-Quelle der Stadt gerade erst wieder berappelt hatte.
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Nur als schwacher Trost dient dabei die Erkenntnis, dass manche Einnahmen einstweilen nur aufgeschoben, nicht aufgehoben sind. Wie etwa der Ertrag aus weit mehr als 18 Millionen RWE-Aktien in städtischer Hand: Die 80 Cent Dividende pro Stück werden sonst im Mai ausgezahlt, doch mit der Hauptversammlung verschob der Energieriese auch den Beschluss zur Verwendung der Gewinne. Und überwiesen wird vorher nichts.
Kämmerer Grabenkamp sagt: „Jetzt müssen wir das Geld zusammenhalten“
Noch ist das alles zu verschmerzen, zumal noch keines der Dickschiffe aus der Essener Wirtschaft wegbrechende Steuerzahlungen signalisiert hat. Knapp wird es dennoch, die schwarze Null im Etat zu halten, so wie es der NRW-Stärkungspakt verlangt. Kämmerer Grabenkamp formuliert deshalb schon jetzt die Forderung, die mit dem Coronavirus zusammenhängenden Verschlechterungen für die Stadt-Finanzen „vor die Klammer zu ziehen“.
Das heißt: Sie sollen bei der Genehmigung nicht berücksichtigt werden. Weitere Sparpläne stehen in Essen noch nicht an, denn da das Zahlenwerk ohnehin noch keinen Segen der Kommunalaufsicht bekommen hat, wird per se vorsichtiger gewirtschaftet. Was da noch bevorsteht, lässt den Kämmerer dennoch nicht los: Er habe „schlaflose Nächte“, sagt Grabenkamp und appelliert: „Jetzt müssen wir das Geld zusammenhalten.“
Wie lange, weiß keiner. Nur so viel ist klar: „Je länger das dauert, desto schlimmer wird’s.“