Essen. Menschen, die Sachen anhäufen, werden „Messies“ genannt. Sie werden oft belächelt. Doch dahinter stecken echte Probleme. Ein Schicksalsbericht.

Frau N. hat etwa eine Stunde lang ihre Kommode in der Küche aufgeräumt, aber man sieht es nicht. Die Ablagefläche des Weichholzschranks ist immer noch voll mit Dingen – immerhin stehen sie ordentlich in Reih’ und Glied: Medikamente, zwei Feuerzeuge, eine Armbanduhr, eine Schneekugel mit dem Stadion von Borussia Dortmund, Tüten mit Hunde-Snacks. „Sie müssen mal gucken, wie das hier aussah“, sagt Frau N. und holt ihr Handy heraus. Das Foto zeigt: Stimmt: Vorher war es noch voller auf dem Küchenschrank.

„Die meisten sind irgendwann alleine“

Frau N. ist Messie. Sie ist 60 Jahre alt und lebt mit Mann (64) und Sohn (23) und Hund in einer Altbauwohnung am Rand der Innenstadt. „Ich bin einer der wenigen Messies, die noch in Partnerschaft leben“, erklärt sie. „Die meisten sind irgendwann alleine.“

Frau N. hat ein eigenes Zimmer in der gemeinsamen Wohnung. Darin sieht es aus, als würde jemand einen Umzug vorbereiten. Mitten im Raum, vor dem hohen Bücherschrank, stapeln sich die Kisten. „Das ist alles für Ebay, ich komm’ nur nicht dazu, es schnell einzustellen, es ist zu viel.“ Dabei hat sie sorgfältig auf die Kisten notiert, was drin steckt: Kleidung, Spiele, Stofftiere. Das soll alles verkauft werden. Wer schon mal was bei Ebay eingestellt hat, der weiß: Manchmal dauert es Wochen, bis sich ein Interessent findet. Wegschmeißen geht schneller.

„Vielleicht will ich die alten DVDs ja noch mal anschauen“

„Ich kann aber nichts wegschmeißen“, sagt Frau N. „Nur Dinge, die wirklich kaputt sind.“ Alles, was jemand noch gebrauchen könnte, kann und will sie nicht wegschmeißen. Was ist mit den alten DVDs in ihrem Regal? „Vielleicht will ich die ja noch mal schauen.“ Und wenn nicht? „Dann jemand anders, dann verkaufe ich sie oder gebe sie in einen Diakonie-Laden.“ Einmal, berichtet sie, habe sie alte Pullis von sich weggeschmissen, die waren zu klein geworden. Dann, Jahre später, hatte sie ihre alte Größe zurück, „da habe ich mich geärgert, dass ich die Pullis nicht mehr anziehen kann, weil sie weg sind“.

Im Zimmer ihrer Wohnung sind noch etwa 100 Plüsch-Frösche, sie hat jahrzehntelang Frösche gesammelt, ihre absoluten Lieblingstiere, und alte gerahmte Bilder an der Wand, von ihr selbst gestickt. „Dass ich nicht wegschmeißen kann“, sagt Frau N., „hat was mit Verlustangst zu tun.“

Die Oma erzog das Mädchen, die Eltern waren nie da

Sie wuchs auf als Einzelkind, und als sie ein Jahr alt war, erkrankte ihre Mutter an Krebs. Sie kam ins Krankenhaus, dem Mädchen wurde nicht gesagt, was los ist, aber irgendwie gespürt hat sie es vermutlich schon: dass es um Leben und Tod ging. „Dann kam meine Mutter wieder aus dem Hospital und ging sofort wieder voll arbeiten.“ Als Buchhalterin, auch der Vater war immer im Büro, er war Finanzbeamter, und es war die Oma, die das Kind erzog. „Ich weiß noch, einmal bekamen wir Besuch, meine Mutter nahm sich extra frei, und ich wollte nicht in die Schule – endlich war meine Mutter mal zu Hause.“

Hier finden Betroffene Hilfe

Betroffene Frauen finden Hilfe in der Selbsthilfegruppe „Die Meilensteine“, die sich ausschließlich an weibliche Betroffene richtet.

Eine zweite Selbsthilfegruppe in Essen zum Thema „Messie-Syndrom“ trifft sich jeweils montags um 17.30 Uhr. Kontaktdaten und Vermittlung liefert die Selbsthilfeberatung „Wiese e.V.“, 0201/207676

Das Messie-Syndrom wird heute immer noch viel belächelt. Doch viele sind sich sicher, dass ein so genanntes Bindungstrauma die Ursache ist: eine von früh an gestörte Beziehung zu den Eltern zum Beispiel. Bei manchen wird eine Sucht draus, zum Beispiel Alkoholismus, andere werden Messies. Depressionen sind ständige Begleiter von jenen, die Messie-Phänomene ausleben.

Ihr Mann sagte irgendwann: Du musst mal was tun

Die Oma übernahm das Aufräumen für das Mädchen, das selbst kein eigenes Zimmer hatte, und dass das Thema Ordnung irgendwann überhand nehmen würde, stellte Frau N. fest, als sie Mutter geworden war. „Da wurde alles zu viel, ich kam nicht mehr nach, und mein Mann meinte irgendwann, ich müsse mal was ändern.“ Das war, als der Sohn begann, in die Schule zu gehen; Frau N. suchte eine Selbsthilfegruppe auf.

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Dort gibt man sich Tipps, wie man das Schlimmste – im eigenen Chaos zu ersticken – verhindern kann: „Die Mülltüte immer vor die Wohnungstür stellen, so dass man drüber stolpert und gezwungen ist, sie mit herunter zu nehmen“, sagt Frau N. Wobei es nur sehr wenige Messies gebe, die tatsächlich ein Problem mit Müll oder verdorbenen Lebensmitteln ein Problem hätten.

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Unterschiede zwischen Männer- und Frauen-Messies

Sie besucht zweimal monatlich eine Messie-Selbsthilfegruppe, die sich ausschließlich an Frauen richtet. „Das ist sehr ungewöhnlich, vielleicht sind wir die einzige Gruppe ihrer Art in Deutschland.“ Was Messie-Frauen von -Männern unterscheide: „Männer haben weniger Schamgefühl. Frauen mit Messie-Syndrom laden niemanden zu sich ein, weil sie sich schämen. Deshalb nehmen sie auch irgendwann keine Einladungen mehr an, denn sie können sich ja nicht revanchieren. So vereinsamen viele von ihnen total.“

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Frau N. will die Menge an Dingen, die sich über Jahre und Jahrzehnte angehäuft haben, wirklich loswerden: „Ich bin eigentlich ständig dran. Auch, wenn man es nicht sieht.“ Sie hat einen Ablagen-Ordner mit den aktuellen Ebay-Dokumenten. Ständig verkauft sie etwas. Und ständig räumt sie auf, so wie die Küchenkommode.

Die Selbsthilfegruppe, die sie besucht, nennt sich „Meilensteine“. „Der Name verdeutlicht, dass der Weg aus dem Messie-Leben sehr lang ist“, sagt Frau N.