Immer wenn sie tonnenweise Müll aus den Wohnungen dieser Stadt holen, wird das wahre Ausmaß der Verwahrlosungen sichtbar. Das Messie-Syndrom breitet sich aus, sagt Martina Heuer. Überforderte oder psychisch kranke Eltern machen ihre eigenen Kindern zu Opfern, die lange leiden müssen, bevor sie entdeckt werden. Meist erst dann, wenn den Nachbarn der Geruch und das Ungeziefer, das aus den Wohnungen kriecht, schier unerträglich wird und sie Alarm schlagen. Die Kleinen, die sie dann finden, sind meist zu jung, um einen Kindergarten zu besuchen. Viele sind noch Säuglinge. Ihre Verwahrlosung, ihr Leiden, ihre Schmerzen blieben hinter verschlossenen Türen versteckt.Und niemand will es bemerkt haben. Erst wenn der Vermieter alarmiert wird, naht ein normales Leben. Je jünger die Kinder, desto größer sind ihre Chancen. Die Älteren „sind oft schon so auffällig, dass wir sie kaum noch erreichen können“, sagt Martina Heuer vom „Spatzennest“. Notarzt- und Rettungseinsätze werden notwendig, wenn sie sich und andere aus Verzweiflung verletzen. „Das erschreckt mich persönlich sehr“, sagt Heuer, die aus langjähriger Erfahrung „erkennbare Brüche im System“ sieht. Es fehle eine Brücke zwischen Jugendpsychiatrie und Jugendhilfe. Und die ambulanten Hilfen, auf die so oft aus Kostengründen gesetzt wird, „kommen an ihre Grenzen“. Eine Entwicklung, die wie ein Bumerang zurückkommen und am Ende einen höheren Preis fordern wird, glaubt Heuer.
Die Aufgaben werden größer, das Geld wird weniger und auch der Kinderschutzbund muss einen Rückgang der Spenden verschmerzen. Die Stelle einer Heilpädagogin im „Spatzennest“ lässt sich allein über eine Stiftung finanzieren, weil das Jugendamt nur im physischen Notfall für eine medizinische Behandlung der meist nicht krankenversicherten Kleinen aufkommt. Wichtige Logo- oder Ergotherapien gegen die oft dramatischen Entwicklungsdefizite werden nicht bezahlt, sind aber dringend notwendig für die Kleinen, die noch keinen Kindergarten besuchen können. Im Ringen um Zuständigkeiten geht oft „wertvolle Zeit für die unendlich wichtige Frühförderung verloren“, sagt Heuer.
Für Mandy und ihren Bruder hat nach ihrer Inobhutnahme ein völlig neues Leben begonnen. Elf Monate blieben die beiden im „Spatzennest“. Dank der Liebe und Geduld, die man ihnen dort entgegenbrachte, entwickelten sie sich enorm weiter. Gemeinsam wurden sie in eine Erziehungsstelle vermittelt und besuchen inzwischen eine Grundschule, haben jemanden gefunden, der sich um sie kümmert, von dem sie Zuspruch bekommen. Nur von einem Menschen in ihrem Leben haben sie nie mehr etwas gehört: von ihrer leiblichen Mutter.