Essen. Die Stadt Essen hat erstmals einen Integrationspreis vergeben. Der Oberbürgermeister lobte das Ehrenamt und „das starke soziale Herz der Stadt“.
Es ist der Preis zur rechten Zeit: Während in der Stadt diskutiert wird über Ehrenamt und Integration, über zu hohe Erwartungen und zu wenig Dankbarkeit, haben sich an diesem Freitagabend im Essener Ratssaal all jene versammelt, die unverzagt sind und immer noch dabei. „Bumm, bumm, bumm“, sagt der Oberbürgermeister, fragt: „Wissen Sie, was Sie da hören? – Das starke soziale Herz der Stadt.“ Ein Satz, für den Thomas Kufen spontanen Applaus erntet.
Diejenigen, die hier sitzen, sorgen ja dafür, dass das soziale Herz kraftvoll schlägt. Sie haben die Flüchtlingskrise von 2015 nicht hinter sich gelassen, sie helfen bis heute, sie zu bewältigen. Oft unbemerkt, bisweilen belächelt, arbeiten sie daran, aus Fremden Freunde zu machen; oder zumindest Nachbarn. Dafür erhält jeder von ihnen nun eine Urkunde; der erstmals vergebene Integrationspreis „Zusammenleben in Essen“ wiederum wird an drei Preisträger zu gleichen Teilen vergeben.
„Es sind viele Frauen für den Preis vorgeschlagen worden – die Männer haben da etwas nachzuholen“
333 Euro sind das jeweils, was wohl mehr zählt, ist die Anerkennung. Er freue sich, mit den Helfern zusammenzukommen, „die da vielleicht ´reingerutscht sind; einfach angepackt haben“, sagt Kufen. Dass sogar dort, wo es zunächst Protest gegen Flüchtlingsheime gab, am Ende die Hilfsbereitschaft gesiegt habe, mache ihn stolz. Manche Vereine, Gemeinden oder Nachbarschaften habe die Aufgabe, die Flüchtlinge willkommen zu heißen, sogar neu zusammengeschweißt.
Dass längst viele dieser „Ersthelfer“ abhanden gekommen sind, dass sich erst dieser Tage ein Ehrenamtlicher mit Enttäuschung und medialer Aufmerksamkeit verabschiedet hat? Kufen weiß das, aber: Für viele sei es eine „schöne Reise“ gewesen, sie hätten das Geben und Nehmen des Ehrenamtes erlebt. Er freue sich, zu den Anstiftern des Integrationspreises zu gehören, für den übrigens auffallend viele Frauen vorgeschlagen worden seien; da hätten die Männer noch etwas nachzuholen.
„Die Essener Stadtgesellschaft hat ihr freundliches Gesicht gezeigt“
An Gelegenheit dazu werde es nicht mangeln, betont der zweite Anstifter, Miguel Gonzalez Kliefken, der Vorsitzende des Integrationsrates: „Zu helfen, dass die Menschen hier einen Platz finden, ist ein niemals endender Prozess.“ Er sei froh, dass die Stadtgesellschaft ihr freundliches Gesicht zeige, dass die Mehrheit der Menschen Willkommenskultur noch immer für richtig halte: „Den Erfolg werden wir später ernten.“
Es ist der Erfolg von gemeinsamen Ausflügen und Deutschstunden, von Kleiderkammern und Kinderbetreuung, wie sie auf den Stellwänden im Foyer zu sehen sind. Amira Muhammed hat zahllose solcher Bilder: Von der Ankommen-Gruppe, vom Kochen im Beginenhof, von Näh- und vom Deutschkurs, von Treffpunkten für Frauen und Kinder. Mit der Besonderheit, dass Amira Muhammed selbst im Jahr 2014 aus Syrien nach Deutschland kam, mit Mann, fünf Kindern und Schwiegervater. Nun organisiert sie gemeinsam mit der Ehrenamt-Agentur in der Nordcity das Willkommen für andere und dankt den vielen Helfern, „die mir Geduld und ihre Zeit geschenkt haben“.Ärzte unterstützen integrationsprojekt der ehrenamt-agentur
Zu Beginn der Flüchtlingskrise kamen viele Helfer in ihren Kreis – heute sind sie noch zu fünft
Ärzte unterstützen integrationsprojekt der ehrenamt-agenturMechthild Grosser wiederum kann von der Hilfe erzählen, die selten auf Fotos gebannt wird: Behördengänge, das mühselige Übersetzen von Formularen, Telefonate mit Kitas, Schulen, Vermietern. 40 Wohnungen haben sie und ihre Mitstreiter in wenigen Monaten für Flüchtlinge gefunden, jeweils mit dem Versprechen an den Vermieter, weiter als Ansprechpartner bereit zu stehen. Mechthild Grosser ist berufstätig, doch bestens mit den Fluren von Sozialamt und Jobcenter vertraut, sie kennt sich aus mit Familienzusammenführungen und der Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse. „Wir haben das anfangs unterschätzt“, sagt sie schlicht. Die Kärrnerarbeit der Integration.
Wir, das waren im November 2015 ganz viele, vor allem Studenten. Heute hat der nun ausgezeichnete „Arbeitskreis Alltagsbegleitung“ des Runden Tisches Holsterhausen noch fünf Mitglieder. Sie wissen, wie Wolfgang Reinhardt erzählt, wie wichtig es ist, den 12-Jährigen auf einer Realschule unterzubringen – und wie berührend, „wenn er eine Arbeit besser schreibt als viele Klassenkameraden“. Eine Deutscharbeit. Oder wenn der junge Syrer aus dem Zeltdorf, von dem Gisela Borrmann-Heimannsberg berichtet, sich als Flamenco-Gitarrist entpuppt, „der seit 2017 richtige Konzerte gibt, mit immer mehr Musikern“.
Sind die Helfer bloß naiv, wenn sie solche Geschichten vom Ankommen erzählen? Wohl kaum. Wer für den Integrationspreis nominiert wurde, hat mögliche Naivität längst abgelegt: Jeder hier könnte auch vom Scheitern erzählen, von Ratlosigkeit und Erschöpfung. Roswitha Tschüter etwa, die 40 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet hat, lange Zeit als Leiterin einer Hauptschule in Karnap. Die Pensionärin kehrte als Helferin in den Stadtteil zurück, als dort das große Zeltdorf aufgebaut wurde, meldete sich am Runden Tisch und blieb.
„Oft bin ich der einzige deutsche Kontakt für die Frauen“
Seit 2015 gibt sie an vier Tagen die Woche jeweils zwei Stunden Deutsch. Meist kommen nur eine handvoll Teilnehmerinnen: Frauen, die keinen Platz in einem Integrationskurs haben. Frauen, die Grammatik lernen und bald wieder vergessen, weil sie ihr Deutsch nirgendwo anwenden können: „Oft bin ich der einzige deutsche Kontakt.“ Darum schmeißt Roswitha Tschüter nicht hin, sondern begleitet die Frauen auch zum Arzt, Ausländeramt oder vor Gericht.
Sie freut sich über jede Frau, die sie erfolgreich auf eine Deutschprüfung vorbereitet hat, und sie vergisst nicht, welche Sorgen, welche Angst viele andere lähmen: Die Jesidin etwa, die mit ihren sechs Kindern im Pyjama floh, das siebte Kind in der Türkei zur Welt brachte und sich mit dem Säugling im Arm in ein Schlauchboot setzte. „Mich berührt das noch immer, und so lange ich Leute habe, denen ich helfen kann, werde ich das weiter tun.“
Integrationspreis würdigt Essener, die ehrenamtlich arbeiten
Der mit 1000 Euro dotierte Integrationspreis „Zusammenleben in Essen“ wurde in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben. Er stand unter dem Motto „Ehrensache! – Ehrenamt in der Flüchtlingsarbeit“ und sollte laut Ausschreibungstext all jene ins Rampenlicht setzen, „die für ein gelingendes Zusammenleben in unserer Stadt eine große Stütze sind“. Mehr als zwei Dutzend Einzelkämpfer, Vereine und Gruppen wurden für den Preis vorgeschlagen.
Der Essener Integrationspreis wird in Zukunft alle zwei Jahre vergeben. Info: https://www.essen.de/rathaus/aemter/ordner_0401/interkulturelle_orientierung/integrationspreis/integrationspreis.de.html