Essen. Fehlt vielen Flüchtlingen die Bereitschaft, Deutsch zu lernen, sich zu integrieren? Essens Caritasdirektor sieht das anders als ein Ehrenamtler.
Ein ehrenamtlicher Helfer aus Essen verabschiedet sich von der Flüchtlingshilfe, öffentlich. Er spricht von seiner Enttäuschung und der fehlenden Eigeninitiative einiger Flüchtlinge. Sein Statement erscheint in der „Süddeutschen Zeitung“ und löst lebhafte Reaktionen aus. Nun meldet sich auch Essens Caritasdirektor mit einer öffentlichen Replik zu Wort.
Jens Wientapper (77) ist im Jahr 2015 ein Ehrenamtlicher der ersten Stunde: Als die Stadt Essen das erste Zeltlager am Altenbergshof aufbaut, bietet er dort mit rund 20 anderen Helfern Deutschkurse an. Er besorgt Lehrbücher und Räume, stellt Gruppen zusammen und Stundenpläne auf. Als das Zeltlager abgewickelt wird, setzt er seine Arbeit in anderen Flüchtlingsheimen fort – bis vor kurzem.
Essener Caritas ist von der Kritik eines Ehrenamtlichen überrascht
Wientapper ist enttäuscht, in der „Süddeutschen Zeitung“ listet er vier Gründe dafür auf: An erster Stelle nennt er „das geringe Engagement, Deutsch zu lernen“. Die Teilnehmer der Deutschkurse seien nur höchst unregelmäßig gekommen. Zweitens habe es oft an der Eigeninitiative gefehlt, mal etwas selbst zu regeln. Drittens sei selten das Gegenangebot gekommen: „Hey, ich möchte mal etwas für Euch tun.“
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Viertens fühlt sich der Helfer auch von Politik und Verwaltung im Stich gelassen: Sie hätten die Ehrenamtlichen zu wenig unterstützt. Darum hat Wientapper nun die Konsequenz gezogen und sich von der Flüchtlingshilfe abgemeldet. Künftig wolle er sich im Behindertensport engagieren.
„Kann man nicht einen Teil der Sozialleistungen ans Deutschlernen knüpfen?“
Bei der Caritas Essen sorgte Wientappers öffentlicher Abschied von der Flüchtlingshilfe für Irritationen: „Wir haben andere Erfahrungen gemacht“, sagt Caritasdirektor Björn Enno Hermans. In einer Stellungnahme erklärt er, dass Haupt- und Ehrenamtliche die Arbeit mit den Flüchtlingen in vielen Fällen als „respektvoll und unterstützend“ erlebten.
„Natürlich kommt es immer wieder einmal zu Missverständnissen, wenn beispielsweise Ratschläge oder Hilfsangebote nicht angenommen werden“, räumt Hermans ein. Man müsse aber fragen, warum das so sei. So könne jemand durch Krieg und Flucht so traumatisiert sein, dass ihm konzentriertes Lernen nicht möglich sei. Was den unregelmäßigen Besuch der Deutschkurse angeht, gibt Hermans zu bedenken, dass viele Zuwanderer aus ihren Heimatländern kein oder kein verbindliches Schulsystem kennen.
„Ich komme in Essen doch mit Arabisch gut zurecht“
Jens Wientapper kennt diese Einwände, trotzdem fragt er, ob man nicht „einen kleinen Teil der Sozialleistungen ans Deutschlernen, an die Integration knüpfen kann?“ Caritasdirektor Hermans verneint das: Wer zu Hause alles aufgegeben und eine schwere Flucht gemeistert habe, „sollte auch das Recht haben, selbst entscheiden zu dürfen, welche Angebote er wahrnehmen und welche er eben auch ablehnen möchte“. Der Druck, schnell Deutsch zu lernen, könne auch bevormundend wirken. Wientapper wiederum mag nicht einfach hinnehmen, dass ihm Flüchtlinge achselzuckend sagen: „Ich komme in Essen doch gut mit Arabisch zurecht.“
Staat soll sicherstellen, dass jeder einen Deutschkurs macht
Der Artikel, in dem der Essener Jens Wientapper seinen Abschied aus der Flüchtlingshilfe erklärt, trägt den Titel „Schwere Lektion“. Er ist am Samstag, 23. November, in der Süddeutschen Zeitung (SZ) erschienen.
Schon im August 2017 hatte Wientapper in WAZ und NRZ kritisiert, dass der Spracherwerb der Flüchtlinge oft nur unzureichend gelinge. Er wünschte sich, dass die Verantwortlichen bei Stadt und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) noch größere Anstrengungen unternähmen, damit alle Flüchtlinge Deutschkurse besuchen und erfolgreich abschließen.
Die Erfahrung zeige, dass „wer sich zunächst willkommen und akzeptiert fühlt, dann auch die nötigen Sprachkenntnisse erwerben möchte“, hält Hermans dagegen. Bei der Caritas gebe es auch Flüchtlinge, die etwas zurückgeben, sich in Kleiderkammern, Kindergärten oder als Sprachmittler engagieren. Und schließlich mag der Caritasdirektor auch die Kritik an der Stadt nicht stehen lassen: „Die Essener Stadtpolitik hat das Engagement von Ehrenamtlichen in vielerlei Hinsicht gefördert und unterstützt.“ Etwa durch die Servicestellen oder die Runden Tische. Jens Wientapper zeichne ein Bild von der Situation, das sich mit dem vieler anderer Helfer nicht decke.
Bei aller Enttäuschung: Eine Erfolgsgeschichte gibt es doch
Das bestreitet der 77-Jährige auch gar nicht: Er schildere seine subjektiven Erlebnisse. Zu denen gehört übrigens auch die Erfolgsgeschichte einer jungen Frau aus Nordmazedonien. Sie hat in Essen einen Schulabschluss geschafft und macht nun eine Ausbildung.