Essen. . Gisela Borrmann-Heimannsberg bringt Flüchtlingen Deutsch bei und hilft ihnen. Ihr größter Wunsch: Mehr Unterstützung für Ehrenamtliche.
- Seit anderthalb Jahren betreut Gisela Borrmann-Heimannsberg (65) Flüchtlinge
- Die Lehrerin erlebt, dass manche von ihnen mit falschen Vorstellungen herkommen
- Behördengänge und Amtspost seien nicht nur für Flüchtlinge eine Hürde, sondern auch für Ehrenamtliche
Sie hat fast ihr ganzes Leben in der Schule verbracht: Erst als Schülerin, dann 37 Jahre lang als Lehrerin für Französisch und Russisch an Essener Gymnasien. Nun ist Gisela Borrmann-Heimannsberg (65) seit einigen Jahren pensioniert – und unterrichtet Flüchtlinge. Außerdem kämpft sie sich mit zwei jungen Syrern durch den deutschen Ämterdschungel. Viele Ehrenamtliche werden sich in ihren Schilderungen wiederfinden.
Als sie im August 2015 beim Runden Tisch Holsterhausen anfing, fragte sie sich etwa: Wie komme ich mit sehr fremden Kulturen klar? Werden die männlichen Flüchtlinge die meist weiblichen Ehrenamtlichen respektieren? „Wir stießen auf keins dieser Probleme. Die Teilnehmer waren freundlich, bedankten sich für den Unterricht“, sagt Gisela Borrmann-Heimannsberg. „Aber dann blieben sie weg. Oder schienen apathisch, wenig lernwillig.“
Mangelnde Kommunikation beklagt
Sie und ihre Mitstreiter rätselten, woran das lag und stellten fest, dass sie wenig vom Alltag im Zeltdorf an der Planckstraße wussten. „Es passierte, dass 30 Bewohner plötzlich Plätze im Intensivkurs an einer Sprachschule bekamen – und bei uns fehlten.“ Weder Stadt noch Heimleitung hätten sie informiert oder Listen der verbleibenden Teilnehmern weitergereicht.
Ehrenamtliche beklagen das oft: Während ihr Beitrag zur Integration in Sonntagsreden als unverzichtbar gelobt werde, fehle es im täglichen Miteinander an Hilfestellung, Information – und Wertschätzung. Auch daran mag es liegen, dass von 400 Helfern beim Runden Tisch Holsterhausen nach einem Jahr nur noch die Hälfte dabei war.
Ungewissheit über den Verlauf des Asylverfahrens
Gisela Borrmann-Heimannsberg nahm die Herausforderungen an: Als sie merkte, dass nie Frauen zu den Kursen kamen, organisierten sie und andere Lehrer einen Extra-Frauenkurs mit Kinderbetreuung. An Motivation habe es den Frauen nicht gemangelt, anders als vielen Männern. „Für die war es hart, dass ihr Beruf nicht anerkannt wurde, dass es unmöglich war, sofort zu arbeiten. Viele haben ihr Selbstvertrauen verloren, blieben dem Unterricht deshalb fern.“
Die Menschen kämen auch mit falschen Vorstellungen: „Die kennen keine feste Ausbildung und verstehen nicht, warum sie hier nicht als Handwerker arbeiten dürfen.“ Dass sie erst das Sprachniveau B1 benötigen, um einen Beruf zu erlernen, empfinden viele nur als Hindernis. Dazu komme die zermürbende Ungewissheit über den Verlauf des Asylverfahrens, über ihre Zukunft also. „Ich kenne jemanden, der seit über einem Jahr hier ist, und das Verfahren läuft noch immer – das lähmt.“
In der Wohnung fehlt vielen die Hilfe
Manchem gehe so in den Flüchtlingsunterkünften die Tagesstruktur verloren: Man lebe nachts, verschlafe den Morgen, verschlafe die Probleme. „Dabei fangen die richtigen Probleme erst mit der Wohnung an.“ Auch das ist eine Beobachtung, von der viele Helfer berichten: Sind die Flüchtlinge endlich anerkannt und ziehen ins eigene Zuhause, sind sie meist auf sich gestellt. Nur wenige erhalten sogenannte Projektwohnungen, die von Sozialarbeitern betreut werden. In anderen Fällen mühen sich Ehrenamtliche, den Job der Sozialarbeiter zu erledigen.
So wie es Gisela Borrmann-Heimannsberg für zwei syrische Brüder (26, 28) versucht, die mit ihrer Hilfe eine Wohnung fanden. Tagelang hetzte sie im Sommer mit den beiden von Amt zu Amt, um alle Dokumente für den Umzug zusammenzubekommen. „Immer in Panik, dass die Wohnung weg ist, bevor wir das schaffen.“ Wie solle sie einem Syrer, der nicht mal einen Job hat, erklären, dass er eine Rentenversicherungsnummer braucht, um sich in der Stadt anzumelden?
Verängstigendes Vokabular
Mit dem schließlich gelungenen Umzug endeten die Probleme keineswegs – sie weist auf einen sechseitigen Brief vom Jobcenter: Von „Aufteilung des Zahlbetrags“, „vorbezeichnetem Bewilligungszeitraum“, „Einkommens- und Vermögensverhältnissen Ihrer Bedarfsgemeinschaft“ ist da die Rede.
„Solches Vokabular verängstigt und zermürbt die Flüchtlinge, zumal es diesen amtlichen Briefverkehr in Syrien so nicht gibt.“ Auch für sie selbst sei bisweilen kaum nachzuvollziehen, warum die Miete für die beiden nicht oder verspätet angewiesen werde – bei den jungen Männern löse das eine existentielle Angst aus. Gisela Borrmann-Heimannsberg wünscht sich darum eine bessere Zusammenarbeit der Ämter und gut besetzte Schnittstellen, die den Überblick haben und den Ehrenamtlichen weiterhelfen.
Mit 65 Jahren lernt sie jetzt Arabisch
Ihre Schützlinge seien ja motiviert und gebildet: In Syrien habe der Jüngere als Arabisch-Englisch-Dolmetscher gearbeitet, der Ältere in der Tourismusbranche. Sie seien bereit, auf eine medizinisch-pflegerische Ausbildung umzusatteln. Sie besuchten ihre Sprachkurse und übten weiter Deutsch – „in meiner Sprach-Lern-Küche“. In der sie jetzt Arabisch lernt. Denn trotz allen Ärgers erlebe sie die Flüchtlingsbetreuung eben auch als bereichernd. So sind die jungen Syrer ihre Medien- und Musik-Berater: Sie habe Youtube und Whatsapp entdeckt, und festgestellt, dass der 26-Jährige begnadet Flamenco-Gitarre spiele: „Da hat sich eine musikalische Freundschaft entwickelt.“
Übrigens habe sie auch ein Flüchtlingsschicksal, sagt die 65-Jährige: Nach Kriegsende flohen ihre Eltern aus dem heute polnischen Breslau nach Deutschland: „Zu Fuß, meinen kleinen Bruder auf dem Arm. Ich bin die erste, die im Westen geboren ist. Aber wir blieben lange ,die aus dem Osten’.“
Zeitraubende Bürokratie
Gisela Borrmann-Heimannsberg rätselt, wieso die syrischen Brüder, denen sie hilft, beim Jobcenter verschiedene Betreuer haben und warum die beiden, obwohl sie sich eine Wohnung teilen, unterschiedlich hohe Mietzuschüsse erhalten.
Da die Brüder Angst haben, ihre Namen zu nennen, kann die Sprecherin des Jobcenters, Heike Schupetta, nur allgemein erklären, dass es Konstellationen gebe, in denen der Mietanteil unterschiedlich ausfalle. Beide lebten in einer WG – jeder für sich sei eine Bedarfsgemeinschaft (BG).
„Was die Miete betrifft, wird sie je nach Mietvertrag anteilig oder auf die tatsächlich bewohnte Quadratmeter-Zahl angerechnet.“ Wenn Geschwister eine Wohnung teilten, „reicht manchmal nur einer die Nachweise z.B. für Heizkosten ein und unterstellt, dass die Informationen automatisch auch für die andere BG gelten.“ Oft lasse sich das im Gespräch leicht klären. Viele Mitarbeiter seien sehr hilfsbereit, bestätigt Borrmann-Heimannsberg: „Aber viele Ämter sind knapp besetzt; das frisst Zeit.“