Essen. Mehrdad Mostofizadeh ist offiziell OB-Kandidat der Grünen. Verkehr und Bildung sind Hauptthemen, Clan-Kriminalität sei als Wort stigmatisierend.

OB-Kandidaten haben die kleineren Parteien in Essen bei Kommunalwahlen schon einige aufgestellt, keiner von ihnen konnte ernsthaft auf den Chefsessel im Rathaus hoffen. Die Frage war nur, ob man am Wahlabend jemanden von der CDU oder der SPD gratulieren musste. Seit der Europawahl und einigen spektakulären OB-Siegen in anderen Großstädten ist zumindest bei den Essener Grünen die Zeit der Zählkandidaten vorbei. Der Landtagsabgeordnete Mehrdad Mostofizadeh, am Samstag von einer grünen Mitgliederversammlung mit 90 Prozent offiziell zum Kandidaten gewählt, hat eine klare Losung für die Oberbürgermeister-Wahl am 13. September 2020 ausgegeben. „Ich trete an, um zu gewinnen.“

Die 500 lange Umweltspur auf der Schützenbahn empfindet der OB-Kandidat als Witz

In seiner Bewerbungsrede und im Pressegespräch danach machte Mostofizadeh klar, mit welchem Thema er im Wahlkampf vor allem zu punkten gedenkt: „Essen braucht eine echte Verkehrswende. Sicheres Radfahren muss wieder Spaß machen im Herzen des Ruhrgebiets.“ Die 500 Meter Umweltspur auf der Schützenbahn, die die Rathaus-Koalition aus CDU und SPD zustande brachte, sei ein Witz und werde den Problemen nicht gerecht.

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Statt solcherart Kleinklein will der 50-Jährige klotzen, wobei niederländische Städte als Vorbild dienen sollen. Geld sei letztlich kein Problem, von der Stadt würde bei der Realisierung von Radspuren oder großen Fahrradparkhäusern lediglich ein Anteil von 20 Prozent erwartet, den Rest steuere das Land NRW bei. Mit öffentlichen Mitteln kennt sich der Landtagsabgeordnete tatsächlich gut aus, schon in seiner Zeit als Mitglied des Essener Stadtrates galt seine finanzpolitische Kompetenz über Parteigrenzen hinweg als beachtlich.

Mostofizadeh möchte möglichst Konsens, will aber Konflikte mit Autofahrern nicht scheuen

Der grüne OB-Kandidat möchte die Essener Verkehrswende nach Möglichkeit im Konsens schaffen - „mit den Leuten reden“ lautet hierfür die gängige Formel. Mobilitätsberater, die er bei der Stadt anstellen will. sollen hierbei helfen. Auf Nachfrage räumt der gelernte Altenpfleger ein, dass bei einer radikalen Neuverteilung des Verkehrsraums Konflikte etwa mit Autofahrern notfalls eben auch einmal durchzuhalten sind. „Am Ende muss es Entscheidungen geben.“

Zum Experiment in Düsseldorf, wo mehrere neue Umweltspuren seit Wochen für lange Staus und böses Blut sorgen, mag sich Mostofizadeh nicht detailliert äußern, nur soviel: „Es wäre klüger gewesen, im Frühjahr damit zu beginnen.“ Dann sei die Bereitschaft aufs Rad umzusteigen wetterbedingt größer, der Protest womöglich geringer.

Essener Bürger seien mehr als früher bereit, sich auf grüne Themen einzulassen

Nicht nur die 22,8 Prozent bei der Europawahl in Essen – das war der zweite Platz dicht hinter der CDU –, auch die klimapolitische Debattenlage in Deutschland macht den Grünen Mut zu ambitionierten Plänen. Und in Essen selbst habe sich eben auch viel verändert in den letzten Jahren: „Ich glaube, dass viele Menschen Veränderungen inzwischen entspannter sehen, offener sind für grüne Themen“, sagt Mostofizadeh. Und auch der Essener Grünen-Vorstandssprecher und Bundestagsabgeordnete Kai Gehring – am Samstag fest an der Seite des OB-Kandidaten – sieht grüne Programmatik mittlerweile ein gutes Stück enthoben von politischen Konjunkturen, die mal dieses, mal jenes Thema nach oben spülen.

Seit vielen Jahren ist Mehrdad Mostofizadeh (li.) bei den Essener Grünen politisch aktiv. Die Mitstreiter auf diesem Bild (v.re.): Ratsfrau Hiltrud Schmutzler-Jäger, Ratsherr Rolf Fliß, NRW-Fraktionschef Arndt Klocke, Vorstandssprecherin Gönül Eğlence, Ratsfrau Christine Müller-Hechfellner, Vorstandssprecher Kai Gehring, Landtagsabgeordneter .
Seit vielen Jahren ist Mehrdad Mostofizadeh (li.) bei den Essener Grünen politisch aktiv. Die Mitstreiter auf diesem Bild (v.re.): Ratsfrau Hiltrud Schmutzler-Jäger, Ratsherr Rolf Fliß, NRW-Fraktionschef Arndt Klocke, Vorstandssprecherin Gönül Eğlence, Ratsfrau Christine Müller-Hechfellner, Vorstandssprecher Kai Gehring, Landtagsabgeordneter . © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Die Suche nach „offenen Flanken“ beim amtierenden OB

So wie bisher dürfe es jedenfalls mit dem Verkehr in Essen nicht weitergehen, das könne auch nicht im Interesse von Autofahrern sein, erklärt Mostofizadeh. Oberbürgermeister Thomas Kufen wollte erklärtermaßen den Anteil des Radverkehrs von jetzt sechs auf 25 Prozent steigern, habe aber nie deutlich gemacht, wie er das schaffen wolle. Dies sei eine der „offenen Flanken“, die Gehring dem Amtsinhaber attestiert und die ihn optimistisch stimmten für die grünen Chancen bei der Wahl.

Neben Verkehrs- und Umweltthemen im allgemeinen, will der OB-Kandidat auch sein bildungspolitisches Profil schärfen: „Wir müssen Konzepte für einen Ausbau der Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur schaffen und dabei vor allem die Stadtteile mit besonderen sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen in den Blick nehmen.“ Kinderarmut sei ebenfalls etwas, das ihm sehr nahegehe, betont der Vater dreier erwachsener Kinder.

„Am Ende wollen Leute mit so komischen Namen wie ich OB werden“

Beim Thema Integration liegt es Mehrdad Mostofizadeh erkennbar fern, eine persönliche Aufstiegsgeschichte zu inszenieren, auch wenn sein Name dies nahelegen könnte. Der Sohn eines iranischstämmigen Ingenieurs und einer deutschen Mutter witzelt lieber über seinen Geburtsort Bad Gandersheim in Niedersachsen, den er als Sechsjähriger Richtung Essen verließ – mehr „Migrationshintergrund“ habe er aus seiner Sicht nicht zu bieten. Allenfalls noch dies: „Integration ist anstrengend, und am Ende kommen Menschen mit so komischen Namen wie ich auch noch auf die Idee, Oberbürgermeister unserer Stadt werden zu wollen.“ Selbstironie ist im politischen Leben eher selten, kann aber auch hier etwas Sympathisches entfalten.

Seit 30 Jahren bei den Grünen politisch aktiv

Mehrdad Mostofizadeh lebt in Burgaltendorf, ist verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder. Ein Studium – erst Englisch und Sozialwissenschaften auf Lehramt, später Jura – brach er ab. 18 Jahre war er nach eigenen Angaben beruflich in der Altenpflege tätig.

Bei den Grünen ist er seit 30 Jahren aktiv, war Bezirksvertreter auf der Ruhrhalbinsel und zog 1994 als jüngster Ratsherr ins Stadtparlament ein, arbeitete sich dort zum grünen Fraktionschef vor, wurde Vorstandssprecher seiner Partei. Seine Kompetenz in der Finanz- und Sportpolitik war über die Parteigrenzen hinweg anerkannt.

Im Jahre 2009 wechselte er als Landtagsabgeordneter in die Berufspolitik, wurde später Fraktionschef der Grünen im NRW-Landtag und ist derzeit dort Vize.

Die Themen Ordnungspolitik und städtische Sicherheit sind nicht grüne Lieblinge, aber Mostofizadeh will sich auf Nachfrage „nicht wegducken“. Er sei für klare Spielregeln, deren Einhaltung notfalls erzwungen werden müssten. „Wenn die Polizei klare Kante zeigt, dann muss das nicht bedeuten, dass sie Bürgerrechte missachtet.“

Das Wort „Clan-Kriminalität“ stemple Familien in Gänze zu Kriminellen

Andererseits missfällt ihm die Fokussierung auf die libanesischen Clans, die dauernden Razzien in Essener Shisha-Bars, die bei hohem Aufwand nur bescheidenen Ertrag brächten. „Hier werden Leute stigmatisiert“. Und Mostofizadeh geht noch weiter: „Das Wort Clan-Kriminalität lehne ich ab.“ Es sei falsch, Familien in Gänze zu Kriminellen zu stempeln, den Ausdruck „organisierte Kriminalität“ ziehe er vor. Nachvollziehen kann er auch das Argument, dass der Duldungsstatus vieler Betroffener ihre Kriminalitätsneigung erkläre, diese zumindest wahrscheinlicher mache. Das ist nicht allzu weit weg von jenen Parteifreunden, die die Anti-Clan-Politik als Rassismus zu bezeichnen pflegen.

Und dann wiederum ein Andererseits aus seiner Bewerbungsrede in einem Abschnitt, in dem es um Integration geht: „Bildung, faire Chancen und das Einhalten und Überwachen der gleichen Spielregeln und ernsthafte eigene Anstrengungen aller Beteiligten sind der Schlüssel für eine gemeinsame Zukunft.“ Wer mag da widersprechen?