Essen. Nach dem Höhenflug bei der Essener Europawahl nehmen die Grünen ihre eigene OB-Kandidatur ernst wie nie. Die Kür selbst aber machen sie spannend.
Seit sie zur Europawahl in Essen um ein Haar stärkste politische Kraft geworden wären, erstrahlt die Welt der hiesigen Grünen ungewohnt hell. Wo früher ohne viel Bohei und gänzlich erwartungsfrei jemand für die OB-Kandidatur ausgeguckt wurde, hat die Kür plötzlich spürbar an Ernsthaftigkeit gewonnen: Man weiß ja nie. Am Dienstagabend fiel in der Mitgliederversammlung der Partei erstmal einstimmig ohne jedes Zögern oder Enthaltung die Entscheidung: Ja, wir treten an.
Was die Grünen zunächst nicht preisgeben: mit wem. Ein bisschen Spaß muss wohl sein und etwas künstlich erzeugte Spannung: Es können sich ja schließlich alle bewerben, heißt es, dabei pfeifen die grünen Spatzen den Namen des Favoriten schon lange vor der für den 23. November geplanten Nominierung von allen Dächern: Mehrdad Mostofizadeh.
In Düsseldorf für Rot-Grün gekämpft, in Essen Schwarz-Grün umgesetzt
Der 50-jährige Landtagsabgeordnete aus Burgaltendorf, Vater von drei Kindern, ist nicht nur grünen Stammwählern ein Begriff: Er war Bezirksvertreter auf der Ruhrhalbinsel und zog 1994 als jüngster Ratsherr ins Stadtparlament ein, arbeitete sich dort zum grünen Fraktionschef vor, wurde Vorstandssprecher seiner Partei, 2009 Landtagsabgeordneter mit Finanz-Expertise und später sogar Fraktionschef der Grünen im NRW-Landtag; derzeit ist er dort Vize.
Mostofizadeh, geboren im niedersächsischen Bad Gandersheim und als Kind nach Essen gekommen, ließ das Studium – erst Englisch und Sozialwissenschaften auf Lehramt, später Jura – einst zugunsten der Politik sausen. Er kämpfte für Rot-Grün in Düsseldorf – und verhalf Schwarz-Grün in Essen zu auskömmlichen Mehrheiten. Es ist diese Beweglichkeit, die auch die Grünen in diesen Tagen suchen, weil die Mehrheitsbildung wohl zunehmend schwieriger wird.
Bescheidenheit ist eine Zier, bestätigt wird gar nichts
Aber der Kandidat in spe ist natürlich auch dies: Erfahren genug, rein gar nichts zu bestätigen. Wer ihn auf (s)eine allseits diskutierte Kandidatur anspricht, erntet in diesen Tagen ein herzliches Lachen und den Satz: „Da sag’ ich jetzt nichts zu.“ Bescheidene Zurückhaltung kommt an, in den eigenen Reihen genauso wie bei denen, die ihn im Zweifel auf den Stimmzettel hieven sollen.
Mostofizadeh, wenn er die Kür denn hinter sich bringt, wäre neben Oberbürgermeister Thomas Kufen, dem die Grünen ein paar offene Flanken bescheinigen, und seinem SPD-Herausforderer Oliver Kern der dritte im Bunde der OB-Kandidaten, dem die politische Szene mehr als nur einen Achtungserfolg zutraut. Das übrige Feld überlegt es sich dreimal, ob man sich bei der Persönlichkeitswahl verkämpft.
Definitiv angekündigt ist nur die Konkurrenz von der AfD
So wollen sich die Freien Demokraten wie auch die Linkspartei erst im November festlegen, ob sie überhaupt einen OB-Bewerber ins Rennen schicken. Als noch unwahrscheinlicher gilt eine Kandidaten-Kür beim Essener Bürger Bündnis: „Wir werden wohl eher drauf verzichten“, lässt sich Fraktionschef Kai Hemsteeg zitieren.
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Dagegen hat sich bei der „Alternative für Deutschland“ Frontmann und EU-Parlamentarier Guido Reil schon selbst als OB-Kandidat ins Gespräch gebracht. Er macht keinen Hehl daraus, dass seine Bewerbung ums höchste Amt der Stadt zu einem Gutteil auch dazu gedacht ist, seiner Ex-Partei, der SPD, eins auszuwischen.
Gegen die Stichwahl zu Felde ziehen – womöglich in eigener Sache
Bei alledem ist noch unklar, ob die Oberbürgermeister-Wahl am 13. September des kommenden Jahres entschieden wird oder es zu einer Stichwahl zwei Wochen später kommt. Das vor einigen Monaten geänderte Gesetz sieht den Zweikampf der beiden Bestplatzierten zwar nicht mehr vor, allerdings ziehen SPD und Grüne noch juristisch dagegen zu Felde.
Dem Vernehmen nach will der NRW-Verfassungsgerichtshof in Münster das Thema Mitte November im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung erörtern. Mostofizadeh wird dann wohl dort sein, vielleicht ein bisschen auch in eigener Sache. Und für die Wahl im kommenden Herbst traute sich der grüne Ex-Bürgermeister Rolf Fliß am Dienstagabend schon mal eine Zahl in den Raum zu werfen, die keiner der 60 Mitglieder im Saal für gänzlich unrealistisch hielt: „Zwanzig Prozent plus X.“