Essen. Etwa 2700 Kitaplätze fehlen in Essen. Trotzdem klagen derzeit nur 59 Eltern vor dem Gericht. Denn meistens reicht schon die Klage-Ankündigung.

Schätzungsweise 2700 Kitaplätze fehlen derzeit in Essen – trotzdem klagen im Moment nur stadtweit 59 Eltern einen Platz beim Verwaltungsgericht ein, obwohl für Kinder ab einem Jahr ein gesetzlicher Rechtsanspruch besteht.

Das hat zwei Gründe: Viele Mütter und Väter schrecken davor zurück, juristische Schritte einzuleiten, weil sie befürchten, dass das ihrem Kind in der Kita schaden könnte. Der zweite Grund: Oft ist eine Klage gar nicht nötig, sondern allein die anwaltliche Ankündigung einer Klage reicht schon aus.

Die Kita-Misere in Essen ist seit Jahren ein Problem: „Die Stadt unternimmt größte Anstrengungen, um die Zahl der Betreuungsplätze zügig auszubauen“, berichtet der städtische Jugenddezernent Muchtar Al-Ghusain. Ob wirklich 2700 Plätze fehlen, sei „schwer auszumachen“: „Diese Zahl ergibt sich, wenn man von Versorgungsquoten von 100 Prozent bei Kinder über drei Jahren und 40 Prozent bei jüngeren Kindern ausgeht.“ Womöglich sei gerade bei den jüngeren Kindern eine niedrigere Versorgungsquote ausreichend. Fest steht jedoch: Aktuell 1900 Eltern haben ihren Rechtsanspruch gegenüber der Stadt geltend gemacht.

Den Rechtsanspruch geltend zu machen, reicht nicht

Was heißt das? Schritt eins bei der Kitaplatz-Suche ist obligatorisch: Das Kind im Online-Vormerk-System „Little Bird“ anmelden. Schritt zwei: Den Rechtsanspruch geltend machen. Dies ist reine Formsache. Eltern müssen dafür ein Formular ausfüllen, das man auf der Internet-Seite der Stadt herunterladen kann. Dabei handelt es sich noch nicht um eine anwaltliche Klage-Androhung (das wäre Schritt drei) oder tatsächlich eine Klage (Schritt vier von vier).

„Mit der Geltendmachung des Rechtsanspruchs zeigt man der Stadt, dass man es ernst meint mit dem Betreuungsbedarf“, erklärt Matthias Neufeld vom Jugendamtselternbeirat (JAEB) der Stadt, einem Gremium, das sich besonders um die Bedürfnisse von Kindern im Kindergartenalter kümmert. Sozialdezernent Al-Ghusain hält die Zahl von 1900 Rechtsansprüchen für den wesentlich realistischeren Wert, wenn man sich fragt, wie viele Kitaplätze in Essen wirklich fehlen.

Nach dem ersten Schreiben des Anwalts ging es ganz schnell

Doch Mütter berichten, dass die bloße Geltendmachung des Rechtsanspruchs bei der Suche nach einem Betreuungsplatz nicht hilft: „Ich habe meinen Sohn bei 21 Kitas angemeldet und den Rechtsanspruch geltend gemacht“, berichtet Michaela Plax (42) aus Freisenbruch. „Dann habe ich nie mehr etwas gehört.“ Ihr Sohn war zwar bei einer Tagesmutter untergekommen, doch dort waren vor allem wesentlich jüngere Kinder. „Er entwickelte sich zurück.“ Mittlerweile ist das Kind drei, und Michaela Plax beauftragte einen Anwalt, eine Klage einzureichen: „Der schrieb nur eine Ankündigung an die Stadt, klagen zu wollen, und drei Tage später hatte ich einen Platz in meinem Stadtteil.“

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Ähnlich ging es Juliane Röhricht aus Steele: „Bei der Suche nach einer Betreuung für meinen jüngsten Sohn habe ich den Rechtsanspruch geltend gemacht, doch ein Jahr lang passierte nichts.“ Auch ihr Sohn, derzeit betreut von einer Tagesmutter, ist mittlerweile drei Jahre alt und soll in eine Kita. „Eine Freundin empfahl mir, den Klageweg zu beschreiten, was ich jetzt mache.“ Die Angst, dass das Kind in der Einrichtung als „Klage-Kind“ abgestempelt wird und vom pädagogischen Personal schlechter behandelt wird als andere Kinder, hat man ihr genommen: „Die Leitung meiner Wunsch-Kita empfahl mir sogar, zu klagen. Die Stadt muss endlich aufwachen. Man muss zeigen, dass man es ernst nimmt.“

Sorgen, dass das Kind nach einer Klage Nachteile erfährt, sind unbegründet

Das sagt auch Matthias Neufeld vom JAEB: „Wir raten allen Eltern dringend, einen Anwalt mit einer Klage-Ankündigung zu beauftragen. Die Erfahrung zeigt vielerorts, dass es dann meistens ganz schnell geht mit einem Kita-Platz.“

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Eine weitere Sorge vieler Eltern: Wer klagt und einen beliebigen Platz im Stadtgebiet zugewiesen bekommt, muss diesen nehmen. Doch das stimmt so nicht: „Beim Thema Entfernung gibt es Gerichtsurteile, die sagen, dass eine zumutbare Entfernung zwischen Wohnort und Kita nicht mehr als fünf Kilometer betragen darf“, berichtet Stefanie Kutschker, Sprecherin des Jugendamtes. Vorgaben gibt es auch für das Stundenkontingent: „Wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten und ein 25-Stunden-Kontingent angeboten bekommen, ist die bedarfsgerechte Erfüllung nicht gegeben.“ Grundsätzlich bemühe sich das Jugendamt stets, passende Plätze anzubieten und prüfe im Gespräch mit den Eltern jeden Einzelfall.