Essen. . Schon vor 32 Jahren wurde in Essen die letzte Zeche geschlossen. Damals war die Stadt eher froh über diese Zäsur und stolz auf ihre Modernität.
Vor fast genau 32 Jahren schloss in Essen die letzte von einst über 20 Zechen, und der Abschied fiel an jenem 23. Dezember 1986 ziemlich nüchtern aus. Keiner konnte sich damals vorstellen, dass ihr eine zweite Karriere bevorstand, die an Bedeutung mit der ersten durchaus vergleichbar sein würde. Zollverein ist heute unter den industriegeschichtlichen Denkmal-Komplexen eines der eindruckvollsten der Welt, und viele Essener sind stolz darauf. Darunter sind auch einige, die dieser Vorstellung zunächst überhaupt nichts abgewinnen konnten, ja sie für eine Spinnerei hielten.
Allein das zeigt eindrucksvoll: Der Bergbau im Ruhrgebiet ist zwar in einigen Tagen mit der Schließung von Prosper-Haniel in Bottrop Geschichte, aber sein Nachleben ist enorm präsent. Das gilt auch für Essen, wo schon Menschen in den mittleren Alterskohorten sich kaum mehr an eine aktive Zeche erinnern können. Und vor allem: Es gab Zeiten, da wollte Essen auch gar nicht mehr wissen, wie sehr die Stadt eine Zechenstadt gewesen war.
Bis in die 1980er Jahre fielen Fördertürme und Schornsteine ohne viel Widerstand
Die Stadtväter der 1970er und 1980er Jahre taten im Gegenteil sogar alles, um dieses Kapitel vergessen zu machen. „Die Stadt hat sich den Kohlenstaub aus dem Gesicht gewischt“, war eine dieser blumigen Formulierungen, die darauf abzielten, Essen ein vollkommen neues Image zu geben. Fördertürme und Fabrik-Schornsteine fielen ohne Widerstand im Dutzend, mit Behagen und Stolz feierte man den Wandel zur Dienstleistungs-Metropole. Die damaligen Verantwortlichen hatten noch prägende eigene Erinnerungen, wie mäßig es sich im Schatten einer Zeche oft lebte und dass die Arbeit unter Tage vor allem eines war: hart. Von Romantik wussten sie nicht allzuviel.
Heute sind Romantik und ihre Schwester, die Nostalgie, positive Kategorien, die das Kohle-Thema etwas arg überzuckert haben. Der wachsende zeitliche Abstand zu den tatsächlichen Zuständen hat das maßgeblich befördert. Die Pflege der industriellen Vergangenheit geht zwar in Ordnung und ist Teil der Identität, auch dieser Stadt. Nicht untergehen darf aber, dass die Kosten dafür erheblich sind. Immerhin ist Industriekultur für einige ein recht gutes Geschäft, etwa für das Hotel-Gewerbe, das die Touristen aus aller Welt gerne unterbringt.
Mental muss genügend Kraft sein für die Gestaltung der Zukunft
Etwas anderes ist es, wenn die Grenze zum Kitsch großflächig überschritten wird, wie es zum Beispiel die WDR-Produktion „Der lange Abschied von der Kohle“ 2017 lustvoll zelebrierte. Der freundliche Blick zurück ist natürlich erlaubt, in einem Doku-Film sollten aber die kritischen Aspekte der Vergangenheit nicht so weitgehend vernebelt werden.
Vor allem muss mental, in den Köpfen, genug Platz und Kraft sein für die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft. Da sind im Ruhrgebiet hin und wieder Zweifel erlaubt. Um die zehn Prozent Erwerbslose, selbst in Boom-Zeiten und in einer ökonomisch relativ starken Stadt wie Essen: Das ist nur ein Indiz für einen leider weiterhin nur teilweise gelungenen Strukturwandel. Ein Ewigkeitsprojekt, ähnlich wie das Abpumpen des Grubenwassers, sollte daraus aber möglichst nicht erwachsen.
In Essen wurde das Bergbau-Zeitalter jedenfalls schon vor Jahrzehnten beendet, und zur Wahrheit gehört, dass die Stadt an Lebensqualität seither gewonnen hat. Das sollte, bei aller süßlichen Nostalgie, nicht in Vergessenheit geraten.