Essen. „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“ heißt ein Buch von 1928, das ungeschminkt das alte Ruhrgebiet schildert. Ein Verlag hat es neu aufgelegt.
Mit dem Jahr 2018 kommt das endgültige Ende des Bergbaus im Ruhrgebiet, ein Einschnitt, der zumindest unter Traditionalisten und Nostalgikern noch einmal erhebliche emotionale Wucht entfalten dürfte. Da trifft es sich gut, dass der Kleinverlag Henselowsky-Boschmann jüngst einen nahezu vergessenen Klassiker der Bergbauliteratur neu aufgelegt hat, der Grubenarbeit und Bergmannsleben nüchtern und ohne romantischen Flitter beschreibt. Der Titel ist ebenso schlicht, wie der Autorenname aufmerken lässt: „Meine Erlebnisse als Bergarbeiter“ von Graf Alexander Stenbock-Fermor.
Ein Adeliger Anfang der 1920er Jahre im Pütt? Den Bergleuten war es ziemlich schnell egal, wer da neben ihnen bei latenter Lebensgefahr und unerträglichen Arbeitsbedingungen unter Tage schuftete, mochte er auch einem verhassten Stand entstammen. Hauptsache, er teilte aufrichtig ihren grauen Alltag. Das tat Stenbock-Fermor, der aus Geldnot und nach eigenem Bekunden „einer gewissen Abenteuerlust“ auf Zeche Friedrich Thyssen in Hamborn angeheuert hatte und über ein Jahr lang durchhielt.
Seine Motivation, das Erlebte aufzuschreiben, basierte auf zweierlei: dem tiefen Respekt, den er für seine lebenslang dem Schacht verhafteten Kollegen empfand, und dem Entsetzen über die Unfalltragödien, die damals an der Tagesordnung waren. „Ohne Beschönigung oder Übertreibung erzähle ich nur das, was ich mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört habe“, stellte er als Leitsatz seinem 1928 erstmals erschienenen Buch voran.
Mit großer literarischer Kraft die übermenschlich schwere Handarbeit im Streb geschildert
Genau dieses Authentische ist spürbar. Das Buch hat eine selten erreichte Dichte und liest sich in einem Rutsch wie eine packende Reportage. Berichtet wird mit hoher literarischer Kraft von der Härte des alten Ruhrgebiets, der übermenschlich anstrengenden Handarbeit im Streb, der Hässlichkeit der vom Bergbau geprägten Städte und der Dürftigkeit, oft auch Rohheit in den proletarischen Milieus.
Egal ob der Autor das strenge Regiment in den Wohnheimen oder die Charaktere seiner Kumpels schildert, ob wir mit ihm einen freien Sonntag erleben und dabei von seiner genauen Beobachtungsgabe profitieren oder er von den fahrlässigen Verhältnissen unter Tage berichtet, wo ein Menschenleben nicht viel zählte: Dieses Buch wühlt auf und liefert schonungslose Einblicke in das zähe Ringen der damaligen Zeitgenossen, ihre ohnmächtige Wut über ein Leben in Not und Gefahr, das irgendwie gemeistert werden musste, ohne viel Hoffnung auf echten Fortschritt.
Bergbau- und Ruhrgebiets-Romantik sind relativ neue Erfindungen
Man erkennt, dass Bergbau- und Ruhrgebiets-Romantik neue Disziplinen sind, die mit der früheren Realität nicht viel zu tun haben. Vor nicht einmal 100 Jahren tobten um die Kohle noch regelrechte Schlachten, die einen ganz bestimmten, heute ausgestorbenen Typus des Ruhrmenschen hervorbrachten. Das Buch ist insofern ein starkes Gegengift zum süßlichen oder bombastischen Kitsch, mit dem der Bergbau heute gern umrankt wird.
Noch in den Abschiedsworten eines Leidensgenossen wird deutlich, worum es wirklich geht: „Nun Gräflein, du willst fortgehen von uns? Das ist verdammt schade, wir mögen dich alle sehr gern. Aber an deiner Stelle, Gott verflucht noch mal, wäre ich schon längst über alle Berge.“
Tatsächlich ließ das Jahr als Schlepper und Hauer Stenbock-Fermor nie ganz los. Als Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor kam er immer wieder auf den Bergbau und das Schicksal der dort Arbeitenden zurück.