Essen. . Am 23. Dezember 1986 endet in Essen eine Ära. Mit der Schließung der Zeche Zollverein hat die einst größte Bergbaustadt Europas keine Zeche mehr.

Der 23. Dezember 1986 zählt zu den denkwürdigsten und zugleich beklemmendsten Tagen in der Chronik der Stadt Essen. Denn an diesem Dienstag vor Heiligabend endet vor genau dreißig Jahren eine ruhmreiche Ära.

Essen, ehedem größte Bergbaustadt auf dem europäischen Kontinent, hat keine Zeche mehr. Mit der Stilllegung der Zeche Zollverein ist das Zeitalter des schwarzen Goldes unwiderruflich vorbei.

Nach der Stilllegung entsteht dieses Bild. Bergleute räumen das riesige Gelände auf.
Nach der Stilllegung entsteht dieses Bild. Bergleute räumen das riesige Gelände auf. © Jochen Tack

Die „letzte Schicht“ auf Zollverein: Bloß kein „großer Bahnhof“. Werksleitung und Betriebsrat bemühen sich, sie so leise wie möglich über die Bühne gehen zu lassen. Ohne Knappenchor, ohne Bergmannskapelle, ohne den letzten Wagen.

„Zum Abschied passt kein großes Brimbamborium“

„Der Anlass ist traurig genug“, sagt Bergwerksdirektor Hans Peter Richter. Und auch Betriebsratschef Eberhard Masseida spricht Klartext. „Zu uns Zollvereinern passt beim Abschied kein großes Brimbamborium“, diktiert er WAZ-Reporter Thomas Rother in den Block.

30 Jahre danach: Heinz Geppert, der ehemalige Tagesbetriebsführer von Zollverein, steht Donnerstagmittag vor seinem alten Büro.
30 Jahre danach: Heinz Geppert, der ehemalige Tagesbetriebsführer von Zollverein, steht Donnerstagmittag vor seinem alten Büro. © Kerstin Kokoska

In 140 Jahren haben Generationen stolzer Bergleute 220 Millionen Tonnen Kohle gefördert. Plötzlich ist Schicht im Schacht. „Die Stimmung war gedrückt“, erinnert sich Heinz Geppert (85) heute, der damals als Tagesbetriebsführer der obersten Führungsetage angehört. „Wir schauten uns fragend an: Was wird aus uns? Wie geht’s weiter?“.

Aufgewachsen im Schatten von Schacht 6

Geppert ist im Schatten von Schacht 6 aufgewachsen, seit bald einem Vierteljahrhundert genießt der Zollvereiner den Ruhestand in seinem Domizil in Stoppenberg – nur einen Steinwurf vom Doppelbock Schacht XII entfernt, dem neuen Wahrzeichen des Ruhrgebiets.

Zollverein 1986 und 2014

Rückbau unter Tage: Bergleute waren auch ein Jahr nach der Schließung noch damit beschäftigt, die Abbautechnik aus den Strecken und Streben zu entfernen, soweit dies sinnvoll war.
Rückbau unter Tage: Bergleute waren auch ein Jahr nach der Schließung noch damit beschäftigt, die Abbautechnik aus den Strecken und Streben zu entfernen, soweit dies sinnvoll war. © Jochen Tack
Warum dieser Bergmann Schutt in eine Schubkarre schaufelt, kann auch Jochen Tack nicht mehr genau sagen. Schächte auf Zollverein mussten verfüllt und Strecken zugemauert werden.
Warum dieser Bergmann Schutt in eine Schubkarre schaufelt, kann auch Jochen Tack nicht mehr genau sagen. Schächte auf Zollverein mussten verfüllt und Strecken zugemauert werden. © Jochen Tack
Auf Zollverein wurde 1987 nicht nur abgerissen, sondern auch investiert. Diese neu eingebauten Maschinen auf der achten Sohle in 950 Metern Tiefe dienen bis heute der Wasserhaltung.
Auf Zollverein wurde 1987 nicht nur abgerissen, sondern auch investiert. Diese neu eingebauten Maschinen auf der achten Sohle in 950 Metern Tiefe dienen bis heute der Wasserhaltung. © Jochen Tack
Von oben sieht man, dass die Loren auch nach Schließung des Bergwerks noch im Einsatz waren und mit ihnen Material aus den Schächten abtransportiert wurde. Das Areal ist heute der Parkplatz vor dem Gebäude Designstadt Nummer 1.
Von oben sieht man, dass die Loren auch nach Schließung des Bergwerks noch im Einsatz waren und mit ihnen Material aus den Schächten abtransportiert wurde. Das Areal ist heute der Parkplatz vor dem Gebäude Designstadt Nummer 1. © Jochen Tack
Der Fördermaschinist steuert heute wie 1987 noch die Seilfahrt an Schacht XII. Die Seile an der Fördermaschine sind dick wie Oberarme. Heute sitzt hier Bergmann Markus Genzel aus Bochum.
Der Fördermaschinist steuert heute wie 1987 noch die Seilfahrt an Schacht XII. Die Seile an der Fördermaschine sind dick wie Oberarme. Heute sitzt hier Bergmann Markus Genzel aus Bochum. © Jochen Tack
Blick von Schacht 2 auf die Kokerei, die Gleisharfe (heute vielfach Spazierwege) und rechts wieder der jetzige Parkplatz an der Designstadt Nummer 1. Vor der Kokerei ist links der Portalkratzer zu erkennen, der eine Kohlehalde auftürmt. Über die Bandbrücke darüber gelangte früher die Kohle vom Wiegeturm in die Kopfstation der Kokerei-Mischanlage. Heute werden auf die gleiche Weise Museumsbesucher in kleinen Wagen gefahren.
Blick von Schacht 2 auf die Kokerei, die Gleisharfe (heute vielfach Spazierwege) und rechts wieder der jetzige Parkplatz an der Designstadt Nummer 1. Vor der Kokerei ist links der Portalkratzer zu erkennen, der eine Kohlehalde auftürmt. Über die Bandbrücke darüber gelangte früher die Kohle vom Wiegeturm in die Kopfstation der Kokerei-Mischanlage. Heute werden auf die gleiche Weise Museumsbesucher in kleinen Wagen gefahren. © Jochen Tack
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Eines Landstrichs, dem schon bald die nächste Zäsur bevorsteht. Wenn nämlich auch Prosper-Haniel in Bottrop 2018 stillgelegt wird, gibt’s im ganzen Revier keine einzige Zeche mehr. In dem ganzen Landstrich, der seinen Namen und seinen Aufstieg der Kohle verdankt.

Journalisten aus ganz Europa kommen nach Essen

Auf Zollverein geht die Rechnung der Direktion am 23. Dezember 1986 übrigens nicht auf. Von wegen stiller Abschied. Aus ganz Deutschland eilen Journalisten und Fotografen, Hörfunkreporter und Fernsehteams herbei.

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Selbst aus den Nachbarländern Niederlande, Luxemburg, Dänemark und Tschechoslowakei reisen Reporter nach Essen. Das bittere Ende von Zollverein wird nun doch ein Medienereignis.

Zwei Tage vor Silvester 1986 nehmen die Zollvereiner, ihre Angehörigen, aber auch Essener Bürger in einem ökumenischen Gottesdienst Abschied von ihrer Zeche. Nicht in einer der vielen Kirchen in unmittelbarer Nachbarschaft, sondern in der Mechanischen Werkstatt.

In der Mechanischen Werkstatt beten die Kumpel das Vaterunser

© Zollverein-Kumpel bei Raubarbeiten unter Tage. Foto: Jochen Tack

„Wir haben die Halle leer geräumt, die Drehbänke, das Schmiedefeuer, die Feilbänke, alles kam raus, dann wurde die Bühne aufgebaut“, erinnert sich Geppert. Der Kirchenchor von Heilig Geist singt, und mit Superintendent Heinrich Gehring und Stadtdechant Karl Zurnieden beten die Kumpel schließlich das Vaterunser.

Auch Günter Stoppa gehört zu den Betenden. Er ist damals Bauführer über Tage, schon seit 28 Jahren zeigt er Besuchern seitdem als Gästeführer seinen alten Pütt. „Es ging ruhig ab, verschiedene haben sich eine Träne abgequetscht.“

Zum Abschied wird allen eine deftige Erbsensuppe gereicht, die meisten trinken dazu eine kalte Flasche Bier.

Ehemalige treffen sich im Zollverein-Kreis

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Dieselben, die Jahrzehnte lang über Tage und erst recht unten vor Kohle im Streb zusammenhalten, machen auch nach dem Ende von Zollverein nicht Schluss. „Wir haben aus der Gruppe der Führungskräfte den Zollverein-Kreis gegründet“, berichtet Geppert.

Ein Traditionsklub, den es heute immer noch gibt. Von 35 sind 12 übrig geblieben, die beiden Ältesten sind 92. „Wir hatten in 30 Jahren 250 Veranstaltungen, darunter Radtouren, Wanderungen und mehrtägige Exkursionen.“

Männerwelt und Kameradschaft

An dieser Stelle wird spürbar, was der Bergbau seit jeher war: eine reine Männerwelt, sehr hierarchisch aufgebaut mit Werksleitung, Betriebsdirektion und Stabsstelle, mit Betriebsführern, Revier-, Fahr- und Obersteigern bis hin zur Mannschaft.

Und egal ob auf dem Pütt, in der Freizeit oder danach als Rentner: Kameradschaft ist der starke Kitt, der diese riesigen Verbände auf allen Ebenen stets zusammengehalten hat. „Wir geben uns bis heute gegenseitig Hilfe, das Zusammengehörigkeitsgefühl ist nie verschwunden“, sagt Geppert stolz.

Es ist ein anrührender Satz, den andere Zollvereiner übrigens fast genauso zu formulieren pflegen.

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