Ruhrgebiet. . Der Bergbau geht - seine Lieder bleiben: Eine Musikstiftung soll Ruhrkohle-Chor und -Orchester weiter fördern.
Sie haben es schon so oft gesungen, aber die Inbrunst nutzt sich nicht ab. Das Gefühl wird immer größer: Das „Steigerlied“ ist im letzten Jahr der deutschen Steinkohle der Soundtrack des Abschieds. Glück auf, der Steiger geht! Aber seine Lieder bleiben.
Der Knappenchor steht im Chorraum, wo er natürlich hingehört, aber den Schachthut haben die Sänger nicht abgenommen, statt Kerzen brennen Grubenlampen, und dann singen sie sogar die siebte Strophe: „Wir tragen das Leder vor dem Arsch“ – mit Betonung auf dem Hinterteil – „und saufen Schnaps.“ Das hier ist eine Kirche! Aber es gehört sich so, wird ein Tenor später sagen, „die Leute warten drauf“, und immerhin hätten sie heute ja nicht wirklich einen genommen. (Das machen sie später, ausnahmsweise.)
Knappenchöre traten einst bei Beerdigungen von Bergleuten auf
Außerdem, das hier ist mal wieder ein Abschied. Die Kirche steht in Hamm, die Stadt sagt „Danke, Kumpel“, und die werden das Steigerlied heute noch mehrmals singen. Mit der Hand auf dem Herzen und Tränen in den Augen. Männerchor, vierstimmig. Nicht nur der Ruhrkohle-Chor hat das über Jahre geübt; es war ja ein Sinn der alten Knappenchöre, dass sie auftraten, um Kumpel zu beerdigen. Jetzt aber – tragen sie ihre eigene Zunft zu Grabe, den Bergbau und ganz bald die allerletzte Zeche. Das Jahr 2018, ein einziger Abgesang.
„Dieses Jahr ist nur noch Abschied“, sagt in Hamm Josef Sachmann, einst einer von den letzten Knappen, „das ist wirklich schlimm.“ Drei Zechen hat der 58-Jährige schon zugemacht, für die vierte und letzte wird er im Dezember singen, es bewegt ihn immer noch. Und er singt ja jetzt jede Woche, so viele Termine hatten sie noch nie, Radio, Fernsehen, Bühnen überall im Revier. Wer auf sich hält in der Region, der engagiert 2018 den Ruhrkohle-Chor. Neulich trat er im Landtag auf, im Mai beim Marathon durchs Ruhrgebiet, und überall bestellen sie das Steigerlied. „Ade, Ade, Herzliebste mein“.
Mancher Bergmannschor hat sich damit schon selbst besungen. „Zeche tot, Chor tot“, hat mal einer gesagt. Ganz so schlimm ist es nicht, aber Nachwuchs gibt es nicht mehr, auf dem Pütt nicht und im Tenor auch nicht. Dem jungen Chor „Pro Prosper“ versagten die Stimmen, als die letzten Azubis die Zeche verließen. Nach einer Lehre übrigens, auf deren Plan das Steigerlied zwingend stand. Aus Altersgründen ist schon „Friedrich Heinrich“ für immer verstummt, zum Jahresende 2017 erklang für den Knappenchor Homberg der Schlussakkord – nach 135 Jahren! Auf dem Programm unter anderem: „Trösterin Musik“.
Es halten sich tapfer der Knappenchor Rheinland in Moers oder der Knappenchor Bergwerk Consolidation (Gelsenkirchen), der seinen Pütt inzwischen schon um 25 Jahre überlebt. Viele retteten sich durch den Zusammenschluss mit den Gesangvereinen der Nachbar-Schächte. Und mit neuem Repertoire: Zu „Knappengebet“ oder „Bergknappenlied“ kamen längst auch Volkslieder, Opern oder sogar Pop. Der Bergmann singt Beatles.
Längst stehen Ärzte, Bäcker, Polizisten mit auf der Bühne
Auch im Ruhrkohle-Chor. Und da tut es nicht nur der Bergmann: Mehr als die Hälfte der 114 Sänger war gar nicht mehr auf Zeche; Ärzte, Bäcker, Polizisten singen mit, in Bergmannskittel und mit Schachthut. „Und das immer professioneller“, sagt Volker Langhoff, Erster Tenor. Den Zahnarzt aus Bochum verbindet allenfalls noch dies mit dem Bergbau: „Als wir früher die Wäsche raushängten, wurde die schwarz.“
Der Chor selbst ist erst 31 Jahre alt, für ihn machte die RAG, was sie auch mit den Kumpels tat, als immer häufiger Schicht am Schacht war für immer: Sie holte die Männer von überall zusammen, sie kommen aus Dortmund, Dorsten, Dülmen nach Herten zur Probe. Vorbei die alten Zeiten, da nur Steiger in den Steigerchor durften.
Dieser Klangkörper der Kohle soll noch eine Zukunft haben, genauso wie das 30-köpfige Orchester. Für beide gründete die Ruhrkohle 2016 den „Ruhrkohle-Musik-Verein“, „damit die Tradition und das bergmännische Liedgut erhalten bleiben“. Man wolle „das Erbe bewahren“, sagt der Vorsitzende Andreas Artmann, habe „Verantwortung für die Bergbau-Kultur“. Nach 2018 wird der Verein als Stiftung weitergeführt. Die Bergmannsmusik als Ewigkeitsaufgabe.
Was nur geht, weil der Ruhrkohle- ein Auftragschor ist: „Wir singen nicht auf der Silberhochzeit“, sagt Artmann, die Arena auf Schalke muss es schon sein. Diesen Klangkörper der Kohle zu engagieren, kostet Geld, die Eintrittskarten für seine Konzerte sind so gefragt, dass sie unter den Mitgliedern schon Tickets verlosten. Beiträge zahlen die Sänger nicht; sie bekommen sogar eine Aufwandsentschädigung. Nach Hamm kamen sie mit dem Bus, aber auch nach Berlin sind sie schon gefahren: für viereinhalb Minuten Steigerlied.
Die Konzertreisen sind es auch, zum Papst oder nach Südafrika, die jüngere Leute anziehen. Und doch: Als sie dieses Jahr unter Tage sangen, siebte Sohle aus tiefster Seele, da waren alle noch bewegter als sonst. „Dies ist der Ort“, sagte der langjährige Dirigent Harald Jüngst, „wo der Chor hingehört.“ Überaltern wird dieser Knappenchor nicht, schon weil es eine Regel gibt: Wer 75 wird, gehört nach dem Weihnachtskonzert verabschiedet. 90. Geburtstage, wie bei Consolidation, werden im Ruhrkohle-Chor nicht gefeiert. „Wir haben schon schöne Stimmen verloren“, bedauert Alfons Buddner, der schon mit 63 Angst hat vor jenem fernen Tag.
Der Erste Bass war auf „Fürst Leopold“, Dorsten, „mein Großvater hat dort aufgemacht, und ich habe zugemacht“. Und jetzt: Steigerlied für Prosper Haniel in Bottrop, die letzte ihrer Art. Natürlich wird der Ruhrkohle-Chor singen, selbst „Pro Prosper“ tritt noch einmal auf. Aber nächstes Jahr, fürchtet Alfons Buddner, „spricht dann keiner mehr von der Zeche“.
Von ihr singen werden sie noch.