Essen. . An manchen Arbeitsplätzen in Essen läuft der Schweiß in Strömen, an anderen fröstelt es die Mitarbeiter. Ein Blick hinter die Kulissen.

Auch bei über 30 Grad Außentemperatur wird in Essen schwer geschuftet. Während die einen an ihrem Arbeitsplatz ordentlich ins Schwitzen kommen, können die anderen bei bis zu minus 80 Grad abkühlen. Wir haben drei heiße und drei kühle Arbeitsplätze besucht und erfahren, unter welchen Bedingungen die Essener arbeiten müssen.

In der Glashütte stehen Schweißperlen auf der Stirn

Glashütten-Mitarbeiter Stefan Scholte schaut, ob eine der Flaschen fehlerhaft ist. Während der Verarbeitung ist das Glas immer noch über 1000 Grad heiß.
Glashütten-Mitarbeiter Stefan Scholte schaut, ob eine der Flaschen fehlerhaft ist. Während der Verarbeitung ist das Glas immer noch über 1000 Grad heiß. © Socrates Tassos

Stefan Scholte läuft der Schweiß die Stirn herunter. In einem grünen Pullover und blauer Latzhose steht der Mitarbeiter der Gerresheimer Glashütte vor dem Förderband, das die noch glühend roten Flaschen transportiert. Mit geübten Blicken kontrolliert er das Glas und sortiert fehlerhaftes aus. Die Temperaturen, die momentan draußen herrschen, verdoppeln sich an seinem Arbeitsplatz in Steele-Horst gut und gerne.

Beim Gang aus der Umkleidekabine in die Glashütte schlägt Besuchern eine Wand aus warmer Luft entgegen. Überall glüht es, an manchen Stellen schlagen sogar Flammen in die Höhe. In der Schmelzwanne, in der die Glaszutaten Quarzsand, Kalk und Soda köcheln, sind es zwischen 1400 bis 1500 Grad. 365 Tage im Jahr messen die Sensoren solche Temperaturen, denn der Ofen geht nie aus.

Flaschen für die Pharmaindustrie und Glas-Deoroller

Über ein Rinnensystem gelangt die zähflüssige Glasmasse zu den hohlen Flaschenformen, wird maschinell in passende Portionen zerteilt und tropft von oben in sie hinein. „Bei der Verarbeitung hat das Glas immer noch circa 1100 Grad“, erklärt Geschäftsführer Dr. Jürgen Unruh und fügt hinzu, „im Winter friert man hier in der Produktion also nicht.“

An der Ruhrau in Steele-Horst werden überwiegend Flaschen für die Pharmaindustrie hergestellt. Sie stehen später mit Sirup gefüllt im Medizinschrank oder hängen als Infusion im Krankenhaus. Aber auch Glas-Deoroller laufen über das Förderband sowie kleine Schnaps- und Likörfläschchen. Dazu produziert das Essener Traditionsunternehmen (Gründung 1723) Flaschen für die Kosmetik-Industrie.

Mehrere Millionen Flaschen pro Tag werden in der Glashütte hergestellt – 1,2 Milliarden sind es im Jahr. Nicht ganz so viele stehen täglich für die Mitarbeiter parat. Denn die können gar nicht so schnell trinken, wie sie die Flüssigkeit ausschwitzen. „Das ist das A und O. Maschinenführer trinken bestimmt drei bis vier Liter. Die Mitarbeiter an der Schmelze noch mal einen mehr“, sagt Unruh.

Die Wärme ist reine Gewöhnung

Bevor Dr. Jürgen Unruh vor sieben Jahren als Werksleiter die Glashütte unter seine Fittiche nahm, arbeitete er als Bergmann unter Tage. „Ich kenn mich also mit Klima aus. Es ist alles eine Frage der Gewöhnung.“ Eintauschen möchte er die schweißtreibende Arbeit an der Ruhrau auch im Sommer nicht mehr. „Es ist Industrie-Romantik pur“, findet Unruh. Abends, wenn die glühenden Tropfen durch das Rinnensystem flitzen und die Hallen in ein warmes Licht tauchen, sei es am schönsten.

Doch auch jenseits seines Arbeitsplatzes wird der Werksleiter immer wieder an die vielen Stunden in der Glashütte erinnert. „Es gibt wahrscheinlich kaum ein Geschäft in Essen, in dem nicht unsere Produkte in den Regalen stehen. Ich freue mich jedes Mal, sie dort zu sehen“, sagt Unruh. Dann allerdings ohne Schweißtropfen auf der Stirn.

Erst bei 90 Grad kommt der Essener Saunameister ins Schwitzen 

Saunameister Frank Marking beim Aufguss in der Grugapark-Therme. In der Spitze kann es in der Sauna bis zu 90 Grad heiß werden.
Saunameister Frank Marking beim Aufguss in der Grugapark-Therme. In der Spitze kann es in der Sauna bis zu 90 Grad heiß werden. © Carsten Klein

Mit Hitze kennt sich Frank Marking bestens aus. Bis zu fünf Mal täglich kümmert sich der 53-Jährige in der Grugapark-Therme um die Aufgüsse in den Saunen – bei 35 Grad oder auch bei minus 5 Grad. Deshalb stellt der Saunameister klar: „Für mich ist es bei diesen Temperaturen nicht viel anstrengender als sonst.“

Einen großen Vorteil hat es auf jeden Fall, täglich mehrere Minuten bei 90 Grad in einer Sauna zu verbringen, berichtet der Sauna-Experte. „Wenn ich Feierabend habe, fühlen sich 30 bis 35 Grad Außentemperatur erfrischend an.“ Und gesund ist es für ihn auch noch, denn durch das ständige Schwitzen ist sein Schweiß flüssiger und sein Körper kann sich schneller an die hochsommerlichen Temperaturen anpassen.

Vorbereitung auf die Hitze

Aus diesem Grund rät Marking, auch bei Hitze unbedingt mal in die Sauna zu gehen. Denn während der Saunabesuch im Winter vor allem für die Gesundheit gut sei, könnten sich Besucher im Sommer bestens auf Hitzeperioden vorbereiten. Sorgen, wonach es im Sommer für den Körper in einer Schwitzstube gefährlich sei, könne er nicht teilen: „Wir hatten in dieser Saison noch keine Unfälle und niemand ist kollabiert. Gäste müssen sich also keine Sorgen machen.“

Ein Tipp vom Profi

Den hohen Temperaturen kann der Saunameister derzeit sogar etwas sehr Positives abgewinnen, denn die Aufheizphase vor dem Saunagang entfalle. Und auch die Gäste kommen weiterhin täglich vorbei, am Wochenende seien sogar viele neue Saunagänger dabei.

Für sie hat der Experte noch einen guten Tipp parat: „Wer sich gerne sonnen möchte, sollte das vor dem Saunabesuch tun. Denn danach ist die Haut dünner und empfindlicher für Sonneneinstrahlung.“

Im Imbiss „Zum Xaver“ wird es am Hähnchengrill gemütlich 

Wenn Thomas Hartweg an den Hähnchengrill muss, kann es im Imbiss „Zum Xaver“ schon mal heiß werden.
Wenn Thomas Hartweg an den Hähnchengrill muss, kann es im Imbiss „Zum Xaver“ schon mal heiß werden. © Veit Ellerbrock

„Ich brauche drei Grad und Nieselregen, das ist mein Wetter“, ruft Thomas Hartweg durch die Küche seines Imbisses und wirft eine Kelle voll Pommes in die Fritteuse. Sofort fangen die Fritten an zu brutzeln, Fett spritzt auf den Boden und es wird heiß im Raum. Die Luft steht förmlich – vor allem in diesen heißen Tagen.

Dass Imbissbuden bei 33 Grad Außentemperatur nicht unbedingt die beliebtesten Orte sind, um ein wenig Freizeit nach dem Feierabend zu verbringen, weiß auch Hartweg. Seit 28 Jahren leitet der Essener den Imbiss „Zum Xaver“ an der Gemarkenstraße in Holsterhausen. So eine Hitzeperiode wie aktuell hat er aber selten zuvor erlebt.

Die Kunden bleiben aus

„Mittlerweile kommen nur noch halb so viele Kunden wie üblich. Es muss endlich mal wieder richtig regnen“, resigniert der Imbiss-Besitzer.

Weil es zu warm ist, machen derzeit viele Menschen einen Bogen um seinen Imbiss. Fettiges und mächtiges Essen landet bei Hitze eben seltener auf den Tellern der Essener. Einzig auf seine Stammkunden kann sich der Gastronom verlassen. Doch auch sie hält es nicht lange im Imbiss. Sie kommen rein, geben schnell ihre Bestellung ab und verschwinden dann wieder, um vor der Tür zumindest ein wenig Abkühlung zu bekommen.

Vielleicht muss Hartweg für ein paar Tage schließen

Zwar muss Hartweg deshalb aktuell morgens weniger Essen für den Tag einkaufen, der Betriebsaufwand ist jedoch für die Anzahl der Gäste um ein Vielfaches höher. Nun überlegt der 50-Jährige, seinen Imbiss für ein paar Tage zu schließen, um Personal- und Betriebskosten zu senken. „Das habe ich früher auch schon mal gemacht. Aber so extrem war es noch nie.“

Zusätzlich zum Kundenschwund kommt noch die körperliche Belastung dazu. Tagtäglich ist der Koch ab vier Uhr morgens auf den Beinen, spätestens um halb sechs steht er in seiner Küche und bereitet das Essen vor. Um danach den ganzen Tag an der heißen Fritteuse und dem noch heißeren Hähnchengrill zu stehen.

Wie belastend das sein kann, zeigt auch sein Wasserverbrauch: „Ich trinke aktuell sechs bis sieben Liter pro Tag. Sonst würde ich das gar nicht aushalten.“ Angenehmer macht es ihm auch die Klimaanlage, die 16 Stunden am Tag läuft. Warm und stickig ist es in der Küche aber trotzdem, bemerkt Hartweg.

Nach der Arbeit geht’s mit Kleidung in den Pool

Das Lächeln in seinem Gesicht verschwindet dennoch nicht. Vielleicht weil er in Gedanken schon beim Feierabend ist. Denn wenn er den Laden abends um 20 Uhr schließt und nach Hause fährt, wartet endlich Abkühlung: „Wenn ich nach Hause komme, springe ich sofort mit meinen Klamotten in den Pool. Letztens war sogar noch mein Handy in der Hosentasche. Aber auch das braucht schließlich mal ein wenig Erfrischung“, scherzt er.

An der Natorpstraße bekommen Server eine Abkühlung 

Karsten Kümmerlein, Geschäftsführer der Firma Binary, sorgt dafür, dass die Server kühl bleiben.
Karsten Kümmerlein, Geschäftsführer der Firma Binary, sorgt dafür, dass die Server kühl bleiben. © Socrates Tassos

An jeder Tür lässt Karsten Kümmerlein die Finger über ein Zahlenfeld fliegen. Das Rechenzentrum des Essener IT-Systemhauses Binary ist bis in die letzte Ecke gesichert – und gekühlt. Kein Wunder, in den Räumen an der Natorpstraße produzieren hunderte von Servern Wärme.

In fünf Räumen reiht sich ein großer schwarzer Serverschrank an den nächsten. Ein lautes Brummen hallt Besuchern in den Ohren. Die einzelnen Kammern sind in zwei Bereiche unterteilt. Außen steigt aus kleinen Löchern im Boden kühle und vor allen Dingen trockene Luft in den Raum. Angenehme 20 Grad sind es dort.

„Die Kühlung ist nötig, sonst hätten wir in wenigen Minuten keine CPUs mehr“, erklärt Geschäftsführer Karsten Kümmerlein. Gekühlt werden die Räume des „Serverhotels“, in dem Menschen sich Serverplätze oder Server mieten können, mit Außenluft und einem Wärmetauscher.

Die empfindlichen Teile überhitzen

Die Mikroprozessoren, im Englischen CPU genannt, müssen kalte Luft ansaugen, sonst würden sie überhitzen. Das kann die empfindlichen Teile beschädigen und somit das Gehirn des Servers lahmlegen. „Im Sommer lässt es sich deshalb hier ganz gut aushalten. Innen ist das anders“, so Kümmerlein.

Das hintere Ende der Server ragt in den zweiten Bereich hinein. Dort landet die Luft, wenn sie einmal durch das Gerät geströmt ist und den Prozessor im Inneren gekühlt hat. Heiß und stickig ist es dort. Deshalb macht Karsten Kümmerlein schnell wieder die Tür hinter sich zu.

Zwischen tiefgekühlten Backwaren und Pizzen wird in Daunenjacke gearbeitet 

Das Lager der Firma Logistic Services Essen (LSE) beheimatet Tiefkühlprodukte verschiedenster Hersteller. Es herrschen dort -21 Grad.
Das Lager der Firma Logistic Services Essen (LSE) beheimatet Tiefkühlprodukte verschiedenster Hersteller. Es herrschen dort -21 Grad. © Carsten Klein

Als Thomas Jähn das Rolltor öffnet, wabern ihm weiße Nebelschwaden entgegen. Sofort gefriert seine Atemluft. Vor dem Geschäftsführer der Firma Logistic Services Essen (LSE) erstreckt sich ein riesiges Tiefkühllager. Rund 26 000 Backwaren und Pizza verschiedenster Hersteller warten hier bei -21 Grad auf ihren Weitertransport. Vollautomatisch geht es nur im Hochregallager zu, im sogenannten Kommissionierlager ist Handarbeit gefragt.

Rund 150 Lkw bringen und holen täglich Waren aus Essen Steele ab. Wenn einer von ihnen an der Rampe andockt, muss es schnell gehen. Die Kühlkette darf nicht unterbrochen werden. Mitarbeiter eilen zu den Paletten und ziehen sie aus dem Laster. Dann die Probe aufs Exempel: Ist die Ware noch kalt genug? Mit einem Thermometer wird die Temperatur zwischen den Kartons gemessen: -19,3 Grad. Alles in Ordnung, die Ware ist sogar kälter als vorgeschrieben und kann einsortiert werden.

Arbeit im Lager stärkt das Immunsystem

Im Kommissionierlager, wo die Ware in einzelne Portionen aufgeteilt wird, stehen normale acht Stunden Schichten auf dem Programm. „Die Mitarbeiter tragen eine Kälteschutzmontur. Hose, Jacke, Mütze, Handschuhe – Ohren und Gliedmaßen frieren besonders schnell“, erklärt Jähn.

Getränke mit an den Arbeitsplatz zu nehmen klappt übrigens nicht. Wasser und Saft wären in kürzester Zeit gefroren. Angesichts der frostigen Arbeitsbedingungen könne man glauben, dass die Mitarbeiter oft von Erkältungen heimgesucht werden, doch das Gegenteil sei der Fall: „Die Menschen bekommen ein gutes Immunsystem.“

Im Ultratiefkühllager des Uniklinikums schlummern Proben bei -80 Grad 

© Socrates Tassos

Mit einer schnellen Handbewegung zieht sich Ronny Steinert die Träger der Thermohose über die Schultern. Die dick gefütterte Jacke liegt auch schon parat. Der Wartungsspezialist der Firma Liconic hat einen der kältesten Arbeitsplätze der Stadt. Bei Temperaturen von 80 Grad unter dem Gefrierpunkt sieht er in dem Ultratiefkühllager des Uniklinikums nach dem Rechten.

In dem Lager schlummern momentan rund 350 000 Proben von Patienten des Klinikums. Blut, Urin, Rückenmarkflüssigkeit, Speichel – alles wird in kleinen Mengen eingefroren. „Das sind Reste von Proben, die übrig geblieben sind und uns zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt wurden“, freut sich Dr. Katharina Jockers, Leiterin der Biobank. Mit Hilfe der frostigen Schätze kann die Forschung für Medikamente, Prävention von Krankheiten oder Krebs unterstützt werden.

Umso schlimmer wäre es, wenn das Ultratiefkühllager plötzlich auftauen würde. „Genau aus diesem Grund werden mehrmals im Jahr Wartungsarbeiten durchgeführt. Mal kleinere und mal größere. Die Qualität der Proben muss gewährleistet werden“, sagt Jockers. Zurzeit stehen größere Arbeiten in der Biobank an und deshalb steht auch Ronny Steinert mit dem Schutzanzug bereit. „Trotz des Anzugs sollte man sich nur eine Viertelstunde in dem Ultratiefkühllager aufhalten“, erklärt er.

Ein Roboter hilft bei der Arbeit

Der Spezialist liegt auf einer Decke über den Gefrierschränken. Dort, wo Steinert seine Arbeit verrichtet, herrschen -35 Grad. Mit den Händen muss der Liconic-Mitarbeiter in manchen Fällen aber auch deutlich tiefer greifen: „Für eine gewisse Zeit lässt sich im Bereich von minus 80 Grad arbeiten, ich habe ja auch Handschuhe an.“

Drei Fragen an die Essener Biobank

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    Die Mitarbeiter der Biobank müssen natürlich nicht ins Kühllager greifen, um die Proben herauszuholen. Ihnen steht ein mechanischer Helfer zur Verfügung. Unter Ronny Steinert manövriert ein Roboter durch das Lager. „An jedem einzelnen Gefäß klebt ein Barcode“, erklärt Katharina Jockers., „nach diesen sucht der Roboter im Lager und holt die passenden Proben schließlich heraus.“

    Nichts darf auftauen

    Aus diesem Grund müssen nicht nur die Boxen mit den Proben gekühlt werden, sondern auch der Rest der Anlage. „Das kennt man von zu Hause. Wenn man immer wieder das Gefrierfach öffnet, um etwas herauszuholen, taut der Rest auch an“, beschreibt die Leiterin der Biobank.

    Die Proben landen an der Seite des großen schwarzen Kühlschrankes hinter einer kleinen Klappe. Dort können die Mitarbeiter sie dann herausnehmen ohne Frostbeulen zu bekommen. Wieder einfrieren geht übrigens nicht. „Das machen Sie ja auch nicht mit ihrem Schnitzel zu Hause.“