Essen-Bochold. . Die Friedrich-Lange-Straße in Bochold ist architektonisch nicht attraktiv. Und doch gilt sie als ein Ort, der das Leben im Stadtteil prägte.

Die Friedrich-Lange-Straße ist kein architektonisches Schmuckstück. Das nasskalte Januar-Wetter passt irgendwie zu ihrer tristen Erscheinung. Diese kurze Straße ist zweimal unter die Räder gekommen: das erste Mal durch den Bombenkrieg, das zweite Mal durch den modernen Autoverkehr.

Dennoch lohnt ein intensiver Blick, „denn hier ist ein Ort voller Geschichte und Geschichten“, sagt Andreas Koerner. Er wohnt seit 1970 in Borbeck und kennt auch Bochold wie seine Westentasche.

Das Kulturzentrum Kreuzer war früher eine Kirche
Das Kulturzentrum Kreuzer war früher eine Kirche © Stefan Arend

Die Geschichte seines Stadtteils ist sein Hobby, das der 75-Jährige nicht missen möchte. Von 1984 bis 2008 leitete Andreas Koerner die Stadtteilbibliothek, den Kultur-Historischen Verein Borbeck hat er mitbegründet. Nun steht er vor dem „Kreuzer“, einem Kulturzentrum unter Trägerschaft der Evangelischen Kirchengemeinde Essen-Borbeck-Vogelheim. „Früher war dies das Mirjamhaus“, sagt er. „Der hebräische Name steht für Maria.“

Heute lernen im Kreuzer Russen die deutsche Sprache

Anfangs bot das Mirjamhaus eine neue Heimstatt, als die alte evangelische Kirche an der Bottroper Straße von der Bruderschaft St. Pius übernommen wurde. Doch irgendwann wurde dort der regelmäßige Gottesdienst eingestellt. Heute lernen im Kreuzer Menschen aus Russland die deutsche Sprache.

Auch ein russischer Chor trifft sich dort regelmäßig, ebenso wie ein afrikanischer Verein. „Es ist ein Haus, in dem Pionierarbeit für Ausländer und deren Integration geleistet wird“, lobt Koerner. Wenn er Zeit findet, hört er sich dort gerne die großartigen Gitarrenkonzerte an.

Es qualmte ganz gewaltig in der Hochzeit des Eisenwerks. Hochöfen wurden auch am Bahnhof Bergeborbeck angeblasen. Das Bild stammt aus dem Jahr 1855.  
Es qualmte ganz gewaltig in der Hochzeit des Eisenwerks. Hochöfen wurden auch am Bahnhof Bergeborbeck angeblasen. Das Bild stammt aus dem Jahr 1855.   © Archiv Kulturhistorischer Verein Borbeck

Auf dem Gelände, wo heute neben dem Kreuzer auch das behindertengerechte Wohnheim zu finden ist, stand früher die Phönix-Eisenhütte, die 1851 als erste im Ruhrgebiet erfolgreich Eisen mit Koks verschmolz. Eine revolutionäre Technik des belgischen Industriepioniers Charles Détillieux, der die Hütte errichtet hatte.

Friedrich Lange war einer der Hüttendirektoren

Koerner ist in seinem Element, hat selbst einen akribischen Aufsatz über die Hütte in den Essener Beiträgen veröffentlicht. „Friedrich Lange war einer der Hüttendirektoren und leitete auch die andere Phönix-Eisenhütte in Kupferdreh.“ Nebenbei war er von 1876 bis 1907 ehrenamtlicher Beigeordneter der Bürgermeisterei Borbeck.

Zum Ende seiner Dienstzeit in Borbeck wurde die Straße an der Eisenhütte nach ihm umbenannt. „Zu Lebzeiten“, betont Koerner. „Eine hohe Auszeichnung, um sein großes Engagement zu würdigen.“

Kurze Straßennamen sind in Borbeck die Regel

Die Belegschaft der Schlosserei der Eisenhütte Phönix anno 1909: Der erste Hochofen wurde im Mai 1851 angeblasen.
Die Belegschaft der Schlosserei der Eisenhütte Phönix anno 1909: Der erste Hochofen wurde im Mai 1851 angeblasen. © Archiv Kulturhistorischer Verein Borbeck

Die kleine Straße war früher einmal ein Teil der Hochstraße, die seit der Eingemeindung am 1. April 1915 Bocholder Straße heißt. Doch der Name Friedrich Lange hat noch immer Bestand. Was ungewöhnlich ist, „denn im sparsamen Borbeck waren eher kurze Straßennamen die Regel, weil diese besser auf die kleinen Straßenschilder an den Häusern passten.“

In der Nähe gibt es noch heute die Lehrstraße, weil diese zur Schule führte. Die End-straße verwies auf den Friedhof, also auf das Ende des Lebens. „Und die Zollstraße führte zum Zoll“, schließe ich, doch so einfach ist es dann doch nicht. „Nein, da wohnte damals jemand mit dem Namen Zöller“, grinst Andreas Koerner.

Eisenhütte musste 1923 den Betrieb einstellen

Wie dem auch sei. Die Phönix-Eisenhütte musste im Jahr 1923 ihren Betrieb einstellen. „Durch die Ruhrbesetzung war sie von der Versorgung mit dem nötigen Kalkstein abgeschnitten.“ In den 1930er Jahren wurde das Gelände der Hütte planiert und das sogenannte Gaufeld des Reichsgaus Essen geschaffen.

„Dort marschierten die NS-Häuptlinge auf, um Propaganda vor bis zu 20 000 Menschen zu betreiben.“ Noch im Sommer 1939 hielt Joseph Goebbels dort eine bedrohliche Rede und kündigte an, Deutschland wolle künftig kein Zaungast mehr sein, sondern auf der Weltbühne aktiv mitwirken. Kurz danach begann der Zweite Weltkrieg.

Krupp erwarb das Gaufeld

Später erwarb Krupp das Gelände und ließ Baracken aufstellen, um dort Zwangsarbeiter einzuquartieren. „Während sonst überall die Baracken nach Kriegsende schnell verschwanden, dienten diese noch bis etwa ins Jahr 1960 hinein Wohnungslosen als Unterkunft.“ Erst als diese Baracken abgerissen wurden, nutzte die Stadt, die das Gelände nach Kriegsende erworben hatte, das Areal anderweitig. Mittlerweile hat dort auch eine große Tennishalle ihren Sitz gefunden.

© Stefan Arend

Unser Rundgang durch das Quartier nähert sich dem Ende und Andreas Koerner begleitet uns zum Kreuzer zurück. „Genau hier, wo heute das Kulturzentrum steht, befand sich früher die Dienstvilla von Friedrich Lange“, sagt er. Damit schließt sich der Kreis. Der Name des Hüttenwerk-Direktors Lange bleibt wohl stets mit dem Stadtteil verbunden. „Aber da war doch noch viel mehr, was heute eher im Verborgenen bleibt“, sagt Koerner. „Vielleicht sollte man genau hier mal eine Info-Tafel aufstellen.“

>> Zu unserer Serie„Essener Straßen“

In unserer Serie schreiben wir über historische, große, kleine, schöne und skurrile Straßen unserer Stadt. Viele Geschichten ranken sich um sie, die von Menschen aus den Stadtteilen erzählt werden.

Wenn Sie Ihre Straße einmal vorstellen möchten, dann nehmen wir Ihre Anregungen gerne auf. Schreiben Sie uns ihre Vorschläge per E-Mail an redaktion.stadtteile-essen@waz.de

Eine Übersicht aller bislang erschienenen Folgen der Serie gibt es hier zu sehen.

Die Friedrich-Lange-Straße in Bochold

Die Friedrich-Lange-Straße in Essen-Bochold verläuft zwischen der Haus-Berge-Straße und der Bottroper Straße. Vorne rechts ist das Gemeindezentrum samt Altenheim zu sehen. Oberhalb befindet sich das Kulturzentrum Kreuzer.
Die Friedrich-Lange-Straße in Essen-Bochold verläuft zwischen der Haus-Berge-Straße und der Bottroper Straße. Vorne rechts ist das Gemeindezentrum samt Altenheim zu sehen. Oberhalb befindet sich das Kulturzentrum Kreuzer. © WAZ FotoPool
Die Friedrich-Lange-Straße  gilt nicht als architektonisches Schmuckstück.
Die Friedrich-Lange-Straße gilt nicht als architektonisches Schmuckstück. © FUNKE Foto Services
Die Friedrich-Lange-Straße  gilt nicht als architektonisches Schmuckstück.
Die Friedrich-Lange-Straße gilt nicht als architektonisches Schmuckstück. © FUNKE Foto Services
Andreas Koerner zog schon 1970 in den Essener Westen und kennt sich bestens in Bochold aus.
Andreas Koerner zog schon 1970 in den Essener Westen und kennt sich bestens in Bochold aus. © FUNKE Foto Services
Heute ist das Kulturzentrum Kreuzer ein wichtiger Bestandteil des sozialen Lebens.
Heute ist das Kulturzentrum Kreuzer ein wichtiger Bestandteil des sozialen Lebens. © FUNKE Foto Services
Das Kulturzentrum Kreuzer war früher eine Kirche. Heute trifft sich dort regelmäßig ein russischer Chor.
Das Kulturzentrum Kreuzer war früher eine Kirche. Heute trifft sich dort regelmäßig ein russischer Chor. © FUNKE Foto Services
Auf diesem Gelände stand früher jedoch die Phönix-Eisenhütte. Sie war die erste im Ruhrgebiet, die Eisen mit Koks verschmolz. Friedrich Lange war einer der Hüttendirektoren.
Auf diesem Gelände stand früher jedoch die Phönix-Eisenhütte. Sie war die erste im Ruhrgebiet, die Eisen mit Koks verschmolz. Friedrich Lange war einer der Hüttendirektoren. © Archiv Kulturhistorischer Verein Borbeck
Die Belegschaft der Schlosserei Eisenhütte Phönix anno 1909: Der erste Hochofen wurde im Mai 1851 angeblasen. 1923 war Schluss, die Hütte musste ihren Betrieb einstellen.
Die Belegschaft der Schlosserei Eisenhütte Phönix anno 1909: Der erste Hochofen wurde im Mai 1851 angeblasen. 1923 war Schluss, die Hütte musste ihren Betrieb einstellen. © Archiv Kulturhistorischer Verein Borbeck
In den 1930ern wurde das Gelände planiert und das Gaufeld erschaffen. Dort gab es Aufmärsche der Nationalsozialisten. Auch Joseph Goebbels hielt dort kurz vor Kriegsbeginn seine Reden.
In den 1930ern wurde das Gelände planiert und das Gaufeld erschaffen. Dort gab es Aufmärsche der Nationalsozialisten. Auch Joseph Goebbels hielt dort kurz vor Kriegsbeginn seine Reden. © Archiv Kulturhistorischer Verein Borbeck
Früher war die kleine Straße ein Teil der Bocholder Straße.
Früher war die kleine Straße ein Teil der Bocholder Straße. © FUNKE Foto Services
Ein bunt verziertes Straßenschild in der Friedrich-Lange-Straße.
Ein bunt verziertes Straßenschild in der Friedrich-Lange-Straße. © FUNKE Foto Services
Ein Kiosk auf der Friedrich Lange Straße.
Ein Kiosk auf der Friedrich Lange Straße. © FUNKE Foto Services
Die Friedrich Lange Straße in Essen-Bochold.
Die Friedrich Lange Straße in Essen-Bochold. © FUNKE Foto Services
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