EMG-Chef Richard Röhrhoff über seine Marketing-Strategie, die zu geringe Attraktivität der Innenstadt und Essens draußen oft unbekannte Stärken.

Herr Röhrhoff viele sagen, die Essen Marketing GmbH ist eine ziemlich große Baustelle. Was machen Sie als erstes?

Kurzfristig muss die EMG ihr Defizit bei der Digitalisierung beheben. Es gibt keine klare Marketingstrategie in Medien wie Facebook, Instagram, Youtube. Es gibt etwas für den Weihnachtsmarkt, es gibt was für „Essen Original“, doch die Touristikseite ist schwach. Die neuntgrößte Stadt Deutschlands muss auf diesem Feld gut aufgestellt sein.

Warum gibt es diese Defizite?

Da sind vor Jahren die Weichen nicht gestellt worden. Allerdings muss man zugeben, dass das auch etwas zu tun hat mit der katastrophalen finanziellen Ausstattung der EMG. Gerade aber wenn man wenig Geld hat, sind die sozialen Medien ein guter Kanal, um Aufmerksam zu generieren. Die Wahrnehmbarkeit zu stärken wird eines meiner Hauptziele sein. Dafür brauchen wir keinen großen Strategieprozess, sondern wir machen uns jetzt einfach auf den Weg. Ich würde allerdings auch gerne einmal etwas Positives über die EMG sagen.

Bitte.

Die EMG wird für alle Defizite verantwortlich gemacht, die es im Marketingbereich gibt. Das ist nicht fair. Immerhin 62 Prozent ihrer Erlöse erwirtschaftet die Gesellschaft selbst, das ging nur durch viele Events. Jetzt muss es aber einen Paradigmenwechsel geben: Diese Stadt braucht mehr Marketing.

„Wie packst du eine Stadt mit fast 600 000 Einwohnern in einen unverwechselbaren Satz? Das geht eigentlich gar nicht.“
„Wie packst du eine Stadt mit fast 600 000 Einwohnern in einen unverwechselbaren Satz? Das geht eigentlich gar nicht.“ © Ulrich von Born

Eine Ihrer Aufgaben wird sein, eine Dachmarke für Essen zu finden. Nicht ganz einfach, oder?

Wie packst du eine Stadt mit fast 600 000 Einwohnern in einen unverwechselbaren Satz? Das geht eigentlich gar nicht. Die Menschen draußen sollen Essen mit Bildern verbinden. Welche das genau sein werden, weiß ich jetzt noch nicht. Aber wenn sie jemanden nach rationalen Gründen fragen, um nach Essen zu kommen, da kommt nicht so viel. Auf die Bilder in den Köpfen wird es also ankommen. Wir stehen da im Wettbewerb mit vielen anderen Städten ähnlicher Größe, die zum Teil deutlich mehr Profil haben, obwohl sie nicht mehr bieten, oft sogar weniger.

Was also tun?

Wir müssen ganzheitliches Stadtmarketing machen. Dafür ist die EMG laut Gesellschaftervertrag da, auch wenn es jahrelang Diskussionen gab, ob wir zuständig sind oder die Essener Wirtschaftsförderung. Und Marketing ist sehr viel mehr als ein Event zu veranstalten oder eine Wüstchenbude aufzubauen. Da hätte die EMG längst vor Jahren die Führung übernehmen müssen. Ich kann zwar leider nicht zaubern, aber ich bin sicher, dass wir als Stadt Essen den Pelz nicht weiterhin nach innen tragen sollten, das ist im Stadtmarketing kontraproduktiv.

In Sachen Kultur etwa trägt Essen den Pelz doch durchaus nach außen.

Sind Sie da sicher? Aus meiner Sicht sind da bei weitem nicht alle Potenziale ausgeschöpft, das haben mir die Verantwortlichen unserer großen Player bestätigt. Hier macht jeder sein Ding mit sehr bescheidenen Mitteln, da hilft allen eine gemeinsame Strategie. Schließlich haben wir ein erstklassiges Angebot. Das Museum Folkwang ist europäische Spitzenklasse, mit Zollverein haben wir ein tolles Welterbe und unsere Theaterlandschaft ist ebenfalls erstklassig. Das muss man sich mal vorstellen: Die Kulturhauptstadt 2010 hat kein unmittelbares digitales Produkt ihrer drei kulturellen Highlights hervorgebracht.

Warum ist das so wichtig?

Um die Wertschöpfung zu verlängern. Wir müssen dafür sorgen, dass ein Tourist auf Zollverein auch ins Folkwang-Museum geht und in eines der Theater. Die Leuchttürme Kulturhauptstadt und waren super für das Image der Stadt, aber das allein reicht nicht, was wir brauchen ist eine Verstetigung. Nur Wiederholung derselben Botschaft sorgt für einen bleibenden Imagewandel.

Sie haben mal gesagt, Sie wollten Essen großstädtischer verkaufen. Was meint das genau?

Thema Innenstadt: Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Marke Essen außerhalb positiv wahrgenommen wird. In Essen wird mir aber zu viel über immer dieselben Dinge geredet: fehlende Toiletten etwa, Bettelei oder die Trinkerszene am Willy-Brandt-Platz.

...alles Probleme, die es nun mal gibt und die viele Leute stören.

Klar, aber dann muss man die Probleme lösen, statt zehn Jahre darüber zu reden. Das ist nicht großstädtisch. Jeder will Toiletten, aber keiner will dafür bezahlen, dabei ist das überall so. In Essen wollen wir immer sehr viel, aber wir haben kein Geld. Da muss man eben kreativer sein. Wir zerreden viel, weil wir uns nicht entscheiden können. Und weil wir Angst davor haben, auch mal Fehler zu machen.

Die Innenstadt empfinden viele Bürger als zunehmend unsicher.

Nicht nur die Innenstadt. Aber das trifft ja viele Großstädte. Wenn es in Berlin zum Beispiel kriminelle Ereignisse gibt, dann ist das natürlich unschön, aber dort wird das dennoch unter Weltstadt abgebucht. In solchen Städten ist das nun mal so. Bei uns ist das immer gleich eine Katastrophe, die Stadt zweifelt an sich selbst, plötzlich wird alles in Frage gestellt, anstatt sich darauf zu konzentrieren, das Problem zu lösen. Es wird höchste Zeit, dass wir den provinziellen Mief, der dieser Stadt anhaftet, einmal ablegen. Wenn Essen damit zufrieden ist, besser als Herne zu sein, dann werden wir nicht vom Fleck kommen. Wir haben in Essen zu wenig Ziele, an denen muss man dann auch mal einige Jahre beharrlich arbeiten. Wer keine Ziele hat, kann auch keine erreichen.

Sie wollen ein kaufkräftiges Publikum in die Stadt locken. Wie?

Wir brauchen mehr und bessere Anlässe. Attraktive Menschen ziehen nun mal andere attraktive Menschen an. Der Weihnachtsmarkt ist da ein positives Beispiel. Auch der Handel in einer Großstadt muss ganz nah am Kunden sein, muss Erlebnisse schaffen. Ich muss fühlen, anfassen, Gastronomie genießen können. Alles was es im Internet eben nicht gibt. Anders kann man in digitalisierten Zeiten als Innenstadt nicht bestehen. Wir müssen viel mehr lernen über den Konsumenten von morgen und die Digitalisierung. Der Zombie-Walk, um mal ein aktuelles Negativbeispiel zu nennen, hat ein unerwünschtes Publikum in die Innenstadt gelockt, das einen Anlass suchte, Ärger zu machen. Es gibt in einer Großstadt viel Platz, solche Formate können an Orten stattfinden, wo die Krawallmacher nicht hinfahren.

Sie setzen aber dennoch weiter auf Events?

Ja, aber mir geht es dabei nicht um reine Bevölkerungsbespaßung.

Wie meinen Sie denn das?

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Nehmen wir das das an Bedeutung verliert, weil die Mittel nicht mehr da sind. Dem müssen wir uns stellen. Wenn ich jetzt sagen würde, wir können das nicht mehr leisten, würde es einen Aufschrei geben. Aber keiner würde helfen, die Probleme zu lösen, da machen sich zu viele vom Acker. Es reicht doch nicht, nach innen zu wirken damit zufrieden zu sein oder nur in Essen selbst attraktiv zu sein. 83 Prozent der Essener leben gerne oder sehr gerne hier. Da brauche ich nicht mit dem Geld, das ich nicht habe, eine durchschnittliche Party machen, sondern die Party muss so super sein, dass tausende Leute von außerhalb kommen und Geld in die Stadt bringen.

Sie wollen mit Ihrer Arbeit ausschließlich draußen überzeugen?

Wenn wir für auswärtige Leute attraktiv sind, sind wir es doch für Essener ganz bestimmt. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass das Folkwang-Museum mal wieder ein tolles Bild kaufen kann, für das die Leute extra nach Essen kommen. Ich würde mir wünschen, dass es auf Zollverein endlich eine Veranstaltung gibt, die das Welterbe über Essen und das Ruhrgebiet hinaus wahrnehmbar macht. Oder dass wir uns bei Essen Original mal einen tollen Headliner leisten können. Wir brauchen diese Leuchttürme.

Dafür brauchen Sie Geld, das Sie doch auch künftig gar nicht haben.

Der Rat hat die Mittel um 200 000 Euro aufgestockt. Das ist sicherlich nicht viel, aber ich bin kein Typ, der erst mal viel Geld fordert. Wenn wir unsere Relevanz erhöhen, wenn wir zeigen, dass wir mehr leisten für die Stadt, dann wird es am Geld nicht scheitern. Wir sind jetzt erstmal konzeptionell gefordert, das habe ich mit den größten Ratsfraktionen so besprochen.

Es gab auch in Essen Überlegungen die Mittel für mehr Tourismusförderung per Bettensteuer einzutreiben.

Ich finde gut, die Profiteure finanziell zu beteiligen, dann kommt einfach mehr Power in die Sache. Eine Steuer kann aber nur das letzte Mittel sein, wenn hier einige Betriebe nur abgreifen wollen. Zunächst plane ich einen Gipfel mit den Hotels, um einen Aktionsplan für eine Produktoffensive zu entwerfen. Ich setze darauf, dass wenn wir hier gemeinsam Produktivität schaffen, die Betriebe in die EMG von selbst investieren wollen.

Ihr erstes Projekt war das Essen Light Festival parallel zu den Lichtwochen. Nicht allen hat gefallen, was zu sehen war, etwa der „Curtain of Light“ am Willy-Brandt Platz.

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Moment mal, der Handel ist zufrieden, die Schausteller sind zufrieden, die Stadt war deutlich belebter als im Vorjahr und das Event hat ein sehr gutes Publikum angezogen. Das sind Fakten, die mich erst mal glücklich machen. Das Light Festival ist in erster Linie ein touristisches Produkt, aber natürlich freue ich mich, wenn es auch den Essenern gefällt. Aber allen gefallen? Das kann Kunst doch gar nicht.

Viele Essener wünschen sich die alten Lichtwochen zurück. Nostalgie spricht doch auch Gefühle an, kann markenbildend sein.

Und warum haben wir dann in den letzten Jahren schrittweise an Bedeutung verloren? Weil andere Städte aufgeholt haben. Die Lichtwochen waren in den 20er und 50er Jahren eine Innovationsschau für Lichttechnik. Daher haben wir uns bewusst entschieden, mit dem Light Festival zurück zu den Wurzeln zu gehen. Besonders jungen Leute gefällt es nach meiner Wahrnehmung, und von denen brauchen wir mehr in der Innenstadt. Ich verstehe, dass es ältere Menschen gibt, die hier immer wieder die Bilder ihrer Kindheit sehen wollen. Aber damit locke ich kein neues Publikum an.

Das Gespräch führte Frank Stenglein.