Essen. . Bettelei, Urinieren in aller Öffentlichkeit, Schlägereien: Stadt und Polizei reagieren mit häufigeren Kontrollen, Bußgeldern und Platzverweisen.

  • Die Trinkerszene ist vom Willy-Brandt-Platz verdrängt worden, jetzt hat sie sich zur Südseite des Hauptbahnhofs verlagert
  • Stadt und Polizei reagieren auf die Verlagerung mit häufigeren Kontrollen, Bußgeldern und Platzverweisen
  • Trotz der jüngsten Berichte über Schlägereien verzeichnet die Bundespolizei keine Zunahme an Gewaltdelikten

Ein Vierteljahr nach der erfolgreichen Verdrängung der Drogen- und Trinkerszene vom Willy-Brandt-Platz verfestigt sich die Gewissheit: Die Szene hat sich nicht aufgelöst, sondern nur auf die Südseite des Hauptbahnhofs verlagert – zum Kummer von Bundespolizei, Evag und Essener Ordnungsbehörden, aber auch von Passanten und Reisenden.

„Wir beobachten dieselben unschönen Begleiterscheinungen wie auf dem Willy-Brandt-Platz“, zieht Polizeisprecher Ulrich Faßbender Bilanz. Gemeint seien „Bettelei, Urinieren in aller Öffentlichkeit, Schlägereien“.

Treffpunkt der Szene sind jetzt die überdachten Treppen vor dem gläsernen Evag-Kundencenter. Wie in einem antiken Amphitheater füllen zu Spitzenzeiten mehrere Dutzend Personen die Ränge – die meisten mit der obligatorischen Pulle Bier an der Lippe.

Weggeworfene Kippen, Scherben und Gewalt

„Unsere Kunden finden die Zustände unmöglich, wir werden oft darauf angesprochen“, sagt der Leiter des Kundencenters. Als neulich jemand gegen die Glasscheibe urinierte und Kunden angewidert zuschauten, sei bei seinen entsetzten Kollegen der Geduldsfaden gerissen. Die Beschwerde des ganzen Teams reichte er nach oben weiter. „Ich habe den Eindruck, dass die Polizei und die Ordnungsstreife der Stadt energischer eingreifen“, fügt der Evag-Mann hinzu. „Heute morgen haben sie Bußgelder wegen Vermüllung verhängt.“

Achtlos weggeworfene Kippen, Scherben zerborstener Bierflaschen und sonstiger Unrat sind noch das geringste Problem. In den letzten Tagen häuften sich Meldungen der Bundespolizei über Gewalttätigkeiten. Vergangenen Dienstag etwa kam es zu einer Schlägerei in der Szene. Als Bundespolizisten eingreifen wollten, hätten sich die Vier jedoch solidarisiert und seien gemeinsam auf die Beamten losgegangen. Die vier Angreifer seien zur Wache gebracht worden, dort hätten Alkoholtests Promillewerte zwischen 1,4 und 2,2 ergeben.

Bundespolizei meldet Schlägereien

Am nächsten Abend schlugen sich erneut alkoholisierte Essener (40 und 43 Jahre alt) am Südausgang – dabei wurden Erinnerungen an den Revierkultfilm „Bang Boom Bang“ wach. Denn der 43-Jährige sagte den Bundespolizisten: „Ich saß acht Jahre im Knast, der hat in dieser Zeit mit meiner Frau geschlafen.“ Und am 14. August meldete die Bundespolizei vom Schauplatz Südausgang dies: „1,8 Promille – Frau Bierflasche auf den Kopf geschlagen. Bundespolizei ermittelt gegen 47-jährigen Essener“.

Haben die Schlägereien also zugenommen? „Nein“, erwidert Bundespolizeisprecher Volker Stall. „Eine Häufung von Gewaltdelikten kann ich nicht bestätigen.“ Die Situation sei identisch mit der zuvor am Willy-Brandt-Platz.

Ordnungsdezernent Christian Kromberg hat bald drei Jahre dafür gebraucht, um die Szene vom Willy-Brandt-Platz zu verdrängen. Jetzt hat er die Südseite des Hauptbahnhofs im Blick. „Wir werden unsere Präsenz beibehalten oder sogar noch erhöhen.“ Seine Lehren aus dem Ringen am Willy-Brandt-Platz: Nur durch die massive Anwesenheit der Sicherheitskräfte lasse sich das unsoziale Verhalten der Trinkerszene erfolgreich unterbinden. Wer den Platz vermülle, begehe eine Ordnungswidrigkeit, werde mit einem Bußgeld belegt und im Wiederholungsfall des Platzes verwiesen. Gleichzeitig warnt Kromberg vor Illusionen. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass sich die Szene allenfalls nur verlagert, aber nicht vollständig auflöst.“

In der DB-Lounge beschweren sich Kunden regelmäßig

Evag-Marketing-Chef Nils Hoffmann honoriert das wahrnehmbare Engagement der Ordnungskräfte. Ordnungsamt und Polizei seien massiv präsent – bis jetzt allerdings noch ohne durchschlagenden Erfolg. „Sobald die Ordnungskräfte abziehen, versammeln sich die Leute wieder.“ Mit anderen Worten: ein Katz-und-Maus-Spiel. Kromberg fügt hinzu: „Wir können nicht acht Stunden lang dauerpräsent sein.“

Die Frage, ob die Szene am Südausgang ein Ärgernis darstellt, polarisiert die Menschen. Das gehöre zum Erscheinungsbild einer Metropole, sagen die einen. Aber die Service-Kraft in der schicken DB-Lounge direkt über dem Evag-Kundencenter schüttelt genervt den Kopf, nein, die Szene sei kein schöner Anblick. Sie sagt: „Hier passiert jeden Tag etwas, unsere Kunden beschweren sich regelmäßig.“

>>> HOHEITSGEBIETE AM HAUPTBAHNHOF

Der Hauptbahnhof ist das Hoheitsgebiet von Bundespolizei und DB-Security. Weil sich die Treppe vor dem Evag-Kundencenter auf Stadtgelände befindet, müssen sie hier eigentlich nicht einschreiten.

Da sich die Wache der Bundespolizei aber direkt nebenan im Bahnhof befindet, springen Bundespolizisten im Notfall für die Essener Polizei ein.

Ordnungsdezernent Christian Kromberg betont, wie wichtig die Kooperation mit Bundespolizei und Evag (ab 1. 9. Ruhrbahn) sei.