Essen-Holsterhausen. Viele Vermieter wollen ihre Wohnungen nicht an Tageseltern vermitteln. Die Gruppe „Holsterhauser Knirpse“ geht in einem Ladenlokal neue Wege.
- Viele Vermieter lehnen die Vermittlung an Tagespflegeeltern ab: Aus Sorge vor Lärm und höheren Auflagen
- In Holsterhausen und anderen Stadtteilen ziehen immer mehr Tagesmütter in leerstehenden Ladenlokalen ein
- Eine Tagesmutter aus Steele sucht noch immer - und erlebt dabei Haarsträubendes
Lange haben Lena Güragac und ihre Kollegin Silke Langhaus nach Räumen für ihre „Holsterhauser Knipse“ gesucht. Jetzt sind die beiden Tagesmütter mit ihrer Pflegestelle in ein ehemaliges Ladenlokal an der Gemarkenstraße gezogen.
Wo früher eine Modeboutique war, werden heute neun Kleinkinder unter drei Jahren betreut. Kinderbetreuung in Schaufensterlage: Eine Entwicklung, die auch anderenorts zu beobachten ist, etwa an der Rellinghauser Straße. Denn Platz für Kinder ist in der Stadt, die sich als Großstadt für Kinder bezeichnet, offenbar rar.
Angst vor Lärm und hohen Auflagen
„Wir haben uns viele Wohnungen in Holsterhausen angeguckt, die geeignet gewesen wären. Die meisten Vermieter haben aber abgesagt, wenn sie erfahren haben, dass wir dort Kleinkinder betreuen wollen“, schildert Lena Güragac. In einem Fall hätte der Garten nicht mitgenutzt werden dürfen – Kinder machten schließlich Lärm, so die Befürchtung des Vermieters.
Mit dem Ladenlokal an der Gemarkenstraße hatten die beiden Frauen Glück: Vermieter Thorben Petersen war von der Idee sofort angetan und unterstützte die Frauen bei der aufwendigen Sanierung. So ließ er zum Beispiel eine Brandschutztür einbauen. Zurzeit wird noch der kleine Garten im Innenhof kindgerecht in Schuss gebracht.
Für Thorben Petersen sind eine Kindertagespflege und wirtschaftliche Interessen kein Gegensatz: „Ich war an einer langfristigen Lösung interessiert: Und da der Bedarf für Kinderbetreuung auch in Holsterhausen wächst, bin ich überzeugt, dass sich die Investitionen rentieren.“ Auch im Umfeld kommen die Holsterhauser Knirpse gut an, sagt Silke Langhaus: „Viele Passanten freuen sich, dass wir etwas Farbe und Leben hierher bringen.“ Selbst direkte Nachbarn hätten sich bislang nicht beschwert.
Allbau investiert lieber in den Kita-Ausbau
Dass nicht der Lärm, sondern auch die hohen Auflagen ein Grund für die Abneigung vieler Vermieter sein könnte, schildert Dieter Remy, Sprecher des städtischen Wohnungsunternehmens Allbau: „Für Tagespflegestellen gelten die gleichen Vorschriften wie für gewerblich genutzte Räume. Außerdem müssen hohe Brandschutzauflagen erfüllt werden.“
Entsprechend müssten zuvor als Mietwohnungen genutzte Räume meist umgebaut werden, ehe dort Kinder betreut werden dürfen. Zehn Tagespflegeprojekte beherbergt der Allbau aktuell in seinem Wohnungsbestand. Eine verstärkte Nachfrage kann Remy nicht bestätigen. Deswegen konzentriere sich der Allbau eher auf den Ausbau von Kindertagesstätten: Aktuell vermietet der Allbau Räume an 21 Kitas, in denen 1200 Kinder betreut werden.
Tagesmutter aus Steele sucht seit einem Jahr Räume
Auch Tagesmutter Nicole Ludwig verzweifelt mittlerweile bei der Suche nach geeigneten Räumen für ihre Kindertagespflege. Gerne würde sie sich gemeinsam mit ihrem Partner im Bereich Steele vergrößern, um neun Kindern einen Betreuungsplatz anbieten zu können. Aktuell kümmert sich die 38-Jährige in ihrer Wohnung um vier Kinder. „Wir möchten eine Tagespflegestelle eröffnen, aber so langsam gebe ich die Hoffnung auf“, sagt Nicole Ludwig, die seit einem Jahr sucht.
Was sie dabei erlebt hat, ist haarsträubend. „Ein Vermieter hat uns klipp und klar gesagt, dass ihm eine Hundeschule lieber sei als eine Kindertagespflege. Leider habe ich mich nicht verhört“, ist Nicole Ludwig noch immer fassungslos. Auch aus den Plänen, die Räume der ehemaligen Sparkassenfiliale an der Krayer Straße anzumieten, sei in letzter Sekunde nichts geworden. „Viele Vermieter nennen die Lärmbelästigungen und hohe Auflagen als Grund, wenn sie uns absagen“, bedauert Nicole Ludwig. Auch Makler seien meist nicht bereit, sich des Themas anzunehmen, ist sie enttäuscht: „Mittlerweile fühle ich mich persönlich angegriffen.“
Wer der Tagesmutter helfen möchte, erreicht sie unter Tel.: 01575 188 14 11 und per E-Mail an nicoleludwig1@gmx.de.
Zahl der Plätze in Essen hat sich verdreifacht
>>> Wie stark die Kindertagespflege nachgefragt ist, zeigt ein Vergleich zwischen 2006 und 2016: Wurden vor zehn Jahren noch 605 Kinder in Essen von Tageseltern betreut, so waren es am 1. März des vergangenen Jahres mit 1984 Kindern mehr als drei Mal so viele.
>>> Entsprechend angestiegen ist die Zahl der Tageseltern, von 329 im Jahr 2006 auf 549 im vergangenen Jahr. In Essen läuft die Kindertagespflege über die Awo, das Diakoniewerk, den Sozialdienst katholischer Frauen und den Verband allein erziehender Mütter und Väter.