Essen. . Gut 800 Eltern haben einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz in Essen angemeldet, deutlich mehr als in den Vorjahren. Dezernent:  Geburtenzahlen übertreffen alle Prognosen.

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  • Stadt hat Notprogramm beschlossen, das 800 überplanmäßige Plätze vorsieht

Seit 2012 wächst Essen wieder und darf sich über stetig mehr Geburten freuen. Trotz großer Anstrengungen gelingt es der Stadt nicht, die Kita-Landschaft im selben Tempo auszubauen. Viele Eltern suchen verzweifelt einen Betreuungsplatz für das Kita-Jahr, das im August beginnt.

Nach Auskunft von Sozialdezernent Peter Renzel haben derzeit 451 Mütter und Väter einen Rechtsanspruch für ein Kind ab einem Jahr angemeldet, weitere 352 haben ihr Recht auf einen Platz für ein Kind ab drei Jahren geltend gemacht. Insgesamt sind das 803 Rechtsansprüche – im März 2015 waren es 532, ein Jahr zuvor 381. Mit dem Zuzug der Flüchtlinge habe der aktuelle Bedarf übrigens nichts zu tun, betont Renzel. „Wir haben seit Jahren steigende Geburtenzahlen – das macht sich jetzt gnadenlos bemerkbar.“

„Mein Job steht auf dem Spiel“

Zwei Kita-Plätze sucht Nuran Sonay für Keyan und Maylal.
Zwei Kita-Plätze sucht Nuran Sonay für Keyan und Maylal. © FUNKE Foto Services

Als gnadenlos empfindet etwa Nuran Sonay (44) die Situation: Ihre Zwillinge Keyan und Mayla werden im Juli drei – ein prima Alter für einen Kita-Start. Doch die Eltern kassieren nur Absagen, und der Druck wächst. „Noch sind die beiden in der Kindertagespflege, aber das geht da nur bis drei Jahre.“

Die Familie ist auf eine verlässliche Betreuung angewiesen: Nuran Sonay arbeitet in Düsseldorf, ihr Mann pendelt 75 Kilometer nach Lüdenscheid; zur Arbeitszeit addieren sich die Fahrten. Zurzeit macht Ercan Sonay einen Tag Homeoffice, seine Frau arbeitet ohnehin oft von zu Hause. „Auf Dauer wird das als Personalleiterin so nicht weitergehen, mein Job steht auf dem Spiel.“ Dabei haben sie die ersten Kitas schon abgeklappert, als die Zwillinge ein halbes Jahr alt waren. Regelmäßig fragen sie bei den Einrichtungen nach, werden vertröstet. Auch einen Rechtsanspruch haben sie angemeldet, beim Familienpunkt des Jugendamtes seien sie Stammgäste.

Am liebsten wäre den Sonays, die im Univiertel wohnen, eine nahe Kita etwa im West- oder Nordviertel, am besten mit 35 bis 40 Stunden Betreuung. Nach ihren ernüchternden Erfahrungen sind sie zu Abstrichen bereit. „Wir nehmen auch 25-Stunden-Plätze, auch weiter weg. Nur trennen wollen wir unsere Kinder nicht!“ Den Vorschlag, die Zwillinge auf zwei Kitas zu verteilen, gab es bereits. Eine feste Zusage wäre auch damit nicht verbunden: Vielleicht gebe es die im Juli, vielleicht klappe es in diesem Jahr auch gar nicht, hieß es beim Jugendamt.

Stadt Essen beschließt Notprogramm

Denn die Stadt hat zwar dieser Tage ein Notprogramm beschlossen, das 800 überplanmäßige Plätze vorsieht; doch die entstehen erst nach und nach im Laufe des Kita-Jahres 2016/17. „Wir können nicht in ein paar Monaten neue Kitas aus dem Boden stampfen“, sagt Sozialdezernent Renzel. Tatsächlich geht es gar nicht um Neubauten, sondern um die Erweiterung bestehender Kita-Gruppen, um Container, die man neben Kitas aufstellen will oder um Spielgruppen, die als Kita-Ersatz dienen sollen. Schon befürchtet die Kinderbeauftragte in Borbeck, Erika Küpper, „eine Absenkung der pädagogischen Qualität“, wenn Gruppen von 25 auf 27 Kinder vergrößert werden. „Wir brauchen jetzt diese Provisorien“, hält Renzel dagegen. „Das Bevölkerungswachstum hat alle Prognosen übertroffen, mit dem Tempo konnten wir nicht rechnen.“

Wenn es so weiter geht, könnte sich das Bevölkerungswachstum freilich bald wieder verlangsamen. Andre Harms (38) etwa sucht für Sohn Linus seit mehr als einem Jahr einen Kita-Platz – bisher erfolglos. Linus ist jetzt 26 Monate alt, sein Platz bei der Tagesmutter läuft nur noch bis Juli, die Zeit drängt. Frühestens 2018 habe man ihm in einer Kita gesagt, erzählt Harms: „Bei dem Theater müssen wir über ein zweites Kind gut nachdenken.“