Essen. Fast ein Jahr nach dem Sprengstoffanschlag auf den Essener Sikh-Tempel hat das Gericht am Dienstag das Urteil gegen die Angeklagten verkündet.
- Essener Jugendstrafkammer hat am Dienstag das Urteil gegen die Tempelbomber verkündet
- Zwei Jugendliche wurden unter anderem wegen versuchten Mordes verurteilt, einer wegen Verabredung zum Mord
- Sikh-Priester, der bei dem Sprengstoffanschlag verletzt wurde, findet den Richterspruch gerecht
Tumulte hinter verschlossenen Türen blieben aus. Äußerlich gefasst nahmen die drei jugendlichen Tempelbomber am Dienstag das Urteil der Essener Jugendstrafkammer für den hinterhältigen Sprengstoffanschlag auf den Tempel der Essener Sikh-Gemeinde auf. Wenig Regung sollen sie auch gezeigt haben, als Richter Volker Uhlenbrock ihnen vorwarf, sie seien herumlaviert, hätten kein offenes Geständnis abgelegt.
Sie hatten nämlich jede Tötungsabsicht verneint. Das Gericht nahm ihnen das nicht ab, sprach auch vom “Hass auf andere Religionen” als Motiv des versuchten Mordes.
Der Gelsenkirchener Yusuf T. (17) muss laut Urteil der Jugendstrafkammer sieben Jahre in Haft. Mohamad B. (16) aus Essen soll sechs Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Beide sollen die selbstgebastelte Bombe vor einer Eingangstür des Tempels gezündet haben. Das Gericht wertete das als versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung. Für Tolgan I. (17) aus Schermbeck hält die Jugendstrafkammer wegen Verabredung zum Mord sechs Jahre Jugendstrafe für erforderlich.
Sikh-Priester hat seinen Beruf verloren
Auf offene Worte gehofft hatte im nicht öffentlich geführten Prozess vor allem der 62 Jahre alte Priester der Sikh-Gemeinde. Als der Sprengsatz am 16. April 2016 gegen 19 Uhr detonierte und Metallteile durch die Luft flogen, zerfetzte es ihm das Bein. Seitdem geht er an Krücken.
Der 62-Jährige hat seinen Beruf in Deutschland verloren, erzählt sein Anwalt Jan Czopka, weil er den dafür erforderlichen Lotussitz nicht mehr beherrsche. So muss er zurück in seine Heimat Indien. Dennoch, so Czopka, habe er den Angeklagten vergeben: “Sie tun ihm leid. Er glaubt, dass in ihrer Entwicklung viel schiefgegangen ist.” Aber Antworten auf seine vielen Fragen habe auch er nicht erhalten.
Radikalisieren geht bequem per Internet, per WhatsApp
Drei im Ruhrgebiet aufgewachsene junge Männer, mittlerweile alle 17, sind es also, die sich im Jahre 2015 gegenseitig radikalisieren, sich als unterdrückte Kämpfer für den Islam sehen und ”Ungläubige” töten wollen. Das Radikalisieren geht bequem per Internet, per WhatsApp. Sie suchen Kontakt zur Islamistenszene in Niedersachsen, in Duisburg - und bleiben letztlich doch isoliert.
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Diese Kindertruppe, deren Mitglieder sogar heiraten und selbst Ehen schließen, gilt als unkontrollierbar, erzählt ein V-Mann im Prozess. Das Material für die Sprengsätze bestellen sie im Internet - bei Versandhändlern wie Amazon.
V-Mann: Tolgan I. liebäugelte mit Anschlag auf Essener Rathaus-Galerie
Es sind unterschiedliche Typen. Der Gelsenkirchener Yusuf T. ist der Kopf. Ein V-Mann beschrieb ihn als blutgierig. Mohamad B. aus Essen ist der Gefolgsmann, eher schlichten Gemütes, aber recht gut in der technischen Unterstützung. Und Tolgan I. aus Schermbeck schließlich, der sich im Prozess nicht so deutlich distanziert haben soll vom Islam und gefährlichen Gedanken. Er soll den Sikh-Tempel als Anschlagsziel ausgesucht haben.
Später, so erzählte ein weiterer V-Mann, soll Tolgan I. mit der Idee geliebäugelt haben, die Essener Rathaus-Galerie, ein Einkaufszentrum, in die Luft zu jagen. Ihm ist am wenigsten nachzuweisen, deshalb erhält er die geringste Strafe.
Für Aussteigerprogramme waren sie nicht mehr zu erreichen
Aufgefallen waren sie in der Jugend alle, weil sie aufsässig in der Schule waren, Frauen, Mitschülerinnen Gewalt androhten. Ihre Eltern sorgten sich zum Teil so um sie, dass sie die Behörden eingeschaltet hatten. Vergeblich.
Für Aussteigerprogramme waren die Jugendlichen nicht mehr zu erreichen. Ob das Urteil sie jetzt erreichen wird? Der Sikh-Priester findet den Richterspruch gerecht. “Er ist froh darüber. Auch, dass jetzt alles vorbei ist”, sagt sein Anwalt Jan Czopka nach 25 Verhandlungstagen.