Essen. . Bei der Salafismus-Debatte im Grillo-Theater wird eine Studie vorgestellt, die für Essen eine Beratungsstelle und mehr Islamunterricht empfiehlt.

  • Salafismus-Debatte im Grillo-Theater wirft die Frage auf: Warum radikalisieren sich junge Muslime?
  • Befragung von 15 Essener Moscheen: Studie empfiehlt eine Beratungsstelle und mehr Islamunterricht
  • Starke lokale Bezüge wegen der Sikh-Tempelbomber und der Terrorwarnung kürzlich am Limbecker Platz.

Was treibt junge Muslime in die Arme von Salafisten und was kann die Stadtgesellschaft dagegen tun? Hochaktuelle Fragen, auf die eine Expertenrunde im Café Central International des Grillo-Theaters jetzt nach Antworten suchte.

Allein zwei spektakuläre Essener Ereignisse – der Bombenanschlag auf den Sikh-Tempel und der Terroralarm am Limbecker Platz vor einer Woche – verleihen dem Thema Salafismus einen dramatischen lokalen Bezug.

„Der Gesprächsbedarf über Radikalisierung ist groß“, betonte deshalb die CDU-Bundestagesabgeordnete Jutta Eckenbach. Sie, die Initiatorin der Salafismus-Diskussion, warnte davor, friedliche Muslime mit gewaltbereiten Salafisten gleichzusetzen. Letztere würden die Religion nicht kritisch hinterfragen und sich deshalb schnell radikalisieren.

Der Imam, der einen Koran ohne Gewalt predigt

Halit Pismek, Imam der Katernberger Aya Sofya Moschee, steht für einen Koran ohne Gewalt. Schon seit geraumer Zeit versucht er, gefährdete junge Menschen vor dem Abdriften in den Salafismus zu bewahren. „Möglichkeiten der Prävention, Zusammenarbeit und Stärkung gegen gewaltbereiten Salafismus“ – so ist eine Studie überschrieben, die der Theologe im Grillo vorstellte.

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15 Essener Moscheen und eine libanesische Frauengruppe seien dafür befragt worden. Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Die Moscheen würden sehr wohl von Islamisten besucht, allerdings nur in Einzelfällen. Und: Die Imame würde solche religiösen Extremisten durchweg ignorieren.

Die Moscheen hätten ein „hohes Interesse an einer Mitarbeit“, so die Studie. Sie empfehle eine engere Zusammenarbeit mit städtischen Einrichtungen, eine Ausweitung des Islam-Unterrichts und die Einrichtung einer Beratungsstelle, um über den Salafismus aufzuklären. Als wesentliche Gründe fürs Abdriften nannte Pismek Perspektivlosigkeit und Diskriminierung.

Integrationspolitiker sieht „Potenzial für Radikalisierung“

Sadik Cicin vom Integrationsrat bestätigte, dass die Essener Moscheen radikal-fundamentalistische Strömungen ablehnen würden. Doch er bezweifelte, dass sie die Kraft und die Ressourcen hätten, um wirksam dagegen zu steuern.

„Wir müssen das ernst nehmen. Das Potenzial zur Radikalisierung ist da, wie wir am Beispiel Limbecker Platz sehen konnten.“ Sein Appell an die Moscheen: „Raus aus den Hinterhöfen, rein in die Öffentlichkeit. Moscheen müssen transparent für alle sein.“

Charakteristisch für den gewaltbereiten Salafismus seien der gesellschaftliche Ausstieg und der Bruch mit der eigenen Familie, so Professor Haci-Halil Uslucan vom Zentrum für Türkeistudien.

Professor: „Glaubensbrüder als Ersatzfamilie“

„Als Ersatzfamilie gelten dann die Glaubensbrüder.“ Besonders enthusiastisch seien junge Konvertiten, doch Religion spiele für die ganz jungen nur eine Nebenrolle. „Die Spitze der Gewalthandlungen liegt bei Jugendlichen zwischen 14 und 16 Jahren. Das religiöse Bewusstsein hingegen bildet sich erst im Alter zwischen 16 und 18 Jahren.“

Der Professor warb für rechtzeitige Vorbeugung, aber auch für Sprach- und Argumentationstrainings. Ferner regte er an, salafismusgefährdete Jugendliche mit ungefährdeten Jugendlichen zusammenzubringen.

Gefahr weiterer Radikalisierung in der Gefängniszelle

Es war ein gemischtes Publikum, das die sehr sachliche Diskussion verfolgte. Ein älterer Herr aus dem Publikum fordert Uslucan auf, seinen Vortrag an den Richter zu schicken, der am Dienstag die mutmaßlichen Sikh-Tempelbomber verurteilen wird.

„Einer von ihnen hat immer nur Zurückweisung von der Gesellschaft erfahren, jetzt drohen ihm sieben Jahre Haft.“ Die lange Zeit im Gefängnis, so seine Prophezeiung, werde ihn erst recht noch mehr radikalisieren.

>>> IN GOTTES NAMEN - RADIKALISIERUNG IM GLAUBEN

In Gottes Namen – Radikalisierung im Glauben“ lautete das Thema des Expertengesprächs, das die Essener CDU-Bundestagsabgeordnete Jutta Eckenbach angestoßen hat.

Sie diskutierte mit Ordnungsdezernent Christian Kromberg, Imam Halit Pismek, Sadik Cicin (Integrationsrat) und Haci-Halil Uslucan (Wissenschaftl. Leiter des Zentrums für Türkeistudien).