Essen-Rüttenscheid. . Bevor die Siedlung in Essen Rüttenscheid den Neubauten von Vivawest weicht, werden nun die Gärten abgeräumt. Viele Mieter hängen an den Bauten.
Zwischen gepackten Umzugskisten, vor nackten Wänden und mit Blick in den kahlen Garten kommen bei Petra Prehn Erinnerungen auf. An Zeiten, in denen ihre Mutter für sie und alle anderen Kinder aus der Siedlung Marmeladenbrote schmierte, während sich die halbwüchsige Bande in den Gärten und auf der Köndgenstraße austobte.
Heute ist die 57-Jährige eine der letzten Mieterinnen in den Häusern, die demnächst der Abrissbirne zum Opfer fallen. Ende des Monats verlässt Petra Prehn das Haus, in dem sie Kindheit und Jugend verbrachte und in das sie als 30-Jährige zurückkehrte. Ihre Eltern, die bis vor Kurzem ebenfalls im Haus lebten, sind bereits umgezogen. „Ich wäre gern geblieben“, sagt sie.
Mietern wurde Kündigung im November geschickt
Die Wohnungsgesellschaft Vivawest will den alten Immobilienbestand, der 1922 errichtet wurde, durch fünf neue Häuser mit rund 70 Mietwohnungen ersetzen. Die Gärten, die das Herzstück der früheren Goldschmidt-Werkswohnungen bilden, sollen aller Voraussicht nach noch in dieser Woche abgeräumt werden. Es sind nicht die einzigen Wurzeln, die für immer gekappt werden. Den Mietern war bereits Mitte November gekündigt worden, viele haben längst ihre Sachen gepackt und sind ausgezogen.
Der Bauantrag sei im Sommer gestellt worden; mit einem Baubeginn rechne man noch in diesem Spätherbst, teilt Vivawest auf Anfrage mit. Mit Ausnahme einer Partei habe sich das Unternehmen mit allen Beteiligten einigen können. Der verbliebenen Mieterin seien mehrfach Unterstützungs- und Wohnungsangebote gemacht worden und man hoffe auf eine „einvernehmliche Lösung“.
Bislang keine Einigung zwischen Mieterin und Vivawest
Diese Hoffnung hat die 88-jährige Mieterin, die seit mehr als 40 Jahren an der Köndgenstraße lebt, jedoch aufgegeben. Die Seniorin mit beginnenden Demenzerscheinungen will ihre Wohnung nicht verlassen. Das beteuert ihre 63-jährige Tochter, die ebenso wie ihre Mutter namentlich nicht genannt werden möchte. Man habe zwischenzeitlich einen Platz in einem Pflegeheim gefunden, sich über eine finanzielle Beteiligung aber nicht mit Vivawest einigen können.
Noch sei keine Räumungsklage eingegangen, „darauf warten wir aber nun“, sagt die Tochter, und Trotz schwingt in ihrer Stimme mit: „Wir haben schon gegen die Kündigung Einspruch erhoben, da meine Mutter nicht mehr umzugsfähig ist. Der drohende Abriss macht sie völlig fertig, das war doch ihr Leben hier.“ Dabei seien der Familie zwar Angebote gemacht worden, wie die Tochter bestätigt: „Aber meine Mutter kann schlecht in eine Wohnung im zweiten Stock und mit Badewanne ziehen. Oder in eine Wohnung außerhalb des Stadtteils. Die Angebote waren allesamt nicht akzeptabel.“
Die Rüttenscheiderin bedauert, dass der anfängliche Protest der Nachbarn nicht weiter verfolgt worden sei. Dass vergleichsweise günstiger Wohnraum an gleich mehreren Stellen in Rüttenscheid durch höherwertige Neubauten ersetzt wird, hält sie moralisch für fragwürdig: „Es bereitet mir Sorge, dass alte Menschen, derart entwurzelt werden.“