Essen. Die Bundespolizei hat keinen leichten Job. Die Beamten müssen sich mit Taschendieben und Drogendealern rumschlagen - und Provokationen aushalten.

Ist das ein trauriger Blick oder sprechen aus den Augen die Drogen? Beinahe teilnahmslos nimmt der 29-Jährige sein Schicksal hin, sagt kein Wort. Ein Haftbefehl liegt gegen ihn vor, Urteil: 750 Euro Geldstrafe wegen Betrugs. Er kann nicht zahlen und geht deshalb ersatzweise für 50 Tage in den Knast.

Es ist drei Uhr morgens auf der Bundespolizeiwache am Hauptbahnhof und ziemlich voll gerade. Der gesuchte Betrüger steckte bis eben in der linken Zelle, zwei Taschendiebe in der rechten. Den Kumpel des 29-Jährigen registrieren zwei Kommissare noch im System. Drogen haben die Polizisten in seiner Bauchtasche entdeckt: Gras, Amphetamine, Ecstasy, Crystal Meth.

Vollgedröhnt sind die beiden von einem Konzert aus Köln gekommen. Zivilfahnder haben die Taschendiebe aufgegriffen, als sie gerade versuchten, einen Betrunkenen zu bestehlen.

Hauptbahnhof ist in den Nachtstunden ein Schmelztigel der Gesellschaft

Alltag für die Bundespolizei. Der Hauptbahnhof ist in den Stunden der Nacht ein Schmelztiegel der Gesellschaft. Hier kommen alle zusammen: Spätschichtler auf dem Heimweg, Feierwütige, Asylbewerber, Drogenjunkies, Alkoholiker, Kleinkriminelle, Obdachlose. Es sind die da, die fest im Leben stehen und nur ihr Wochenende genießen – mit und ohne Drogen. Aber auch die Hoffnungslosen, die um 4.30 Uhr mit einer Flasche Bier in der rechten und einer Plastiktüte in der linken Hand durchs Empfangsgebäude schlurfen.

Die Bundespolizei auf Streife

In kleinen Gruppen gehen die Bundespolizisten auf Streife durch den Bahnhof.
In kleinen Gruppen gehen die Bundespolizisten auf Streife durch den Bahnhof. © FUNKE Foto Services
"Mütze zeigen" heißt das in der Polizeisprache. Auch wenn niemand eine Mütze auf hat. © FUNKE Foto Services
Wer auffällig erscheint, wird von den Polizisten angesprochen.
Wer auffällig erscheint, wird von den Polizisten angesprochen. © FUNKE Foto Services
Die Beamten kontrollieren die Personalien eines Verdächtigen.
Die Beamten kontrollieren die Personalien eines Verdächtigen. © FUNKE Foto Services
Die meisten Leute haben sich nichts zu Schulden kommen lassen.
Die meisten Leute haben sich nichts zu Schulden kommen lassen. © FUNKE Foto Services
Pause in der Wache.
Pause in der Wache. © FUNKE Foto Services
Viel Zeit bei einer Nachtschicht geht fürs Berichte schreiben drauf.
Viel Zeit bei einer Nachtschicht geht fürs Berichte schreiben drauf. © FUNKE Foto Services
Einen jungen Mann hat die Polizei mit Drogen erwischt.
Einen jungen Mann hat die Polizei mit Drogen erwischt. © FUNKE Foto Services
Ein paar Gramm Marihuana. Eigentlich keine große Sache...
Ein paar Gramm Marihuana. Eigentlich keine große Sache... © FUNKE Foto Services
...doch weil sich der Jugendliche aggressiv verhalten hat, unterziehen die Beamten ihn dennoch einer sogenannten erkennungsdienstlichen Behandlung.
...doch weil sich der Jugendliche aggressiv verhalten hat, unterziehen die Beamten ihn dennoch einer sogenannten erkennungsdienstlichen Behandlung. © FUNKE Foto Services
Fotos, Fingerabdrücke, Körpermaße bleiben zehn Jahre lang im System gespeichert.
Fotos, Fingerabdrücke, Körpermaße bleiben zehn Jahre lang im System gespeichert. © FUNKE Foto Services
Die Beamten versuchen, während der Nacht so oft es möglich ist, Präsenz zu zeigen.
Die Beamten versuchen, während der Nacht so oft es möglich ist, Präsenz zu zeigen. © FUNKE Foto Services
Am Bahnsteig greifen sie einen Mann aus, der angibt, ohne gültige Papiere unterwegs zu sein.
Am Bahnsteig greifen sie einen Mann aus, der angibt, ohne gültige Papiere unterwegs zu sein. © FUNKE Foto Services
Die Beamten wollen ihn genauer unter die Lupe nehmen...
Die Beamten wollen ihn genauer unter die Lupe nehmen... © FUNKE Foto Services
...und bringen ihn in die Wache.
...und bringen ihn in die Wache. © FUNKE Foto Services
Dabei kommt heraus, dass er als Asylbewerber in der Region gemeldet ist.
Dabei kommt heraus, dass er als Asylbewerber in der Region gemeldet ist. © FUNKE Foto Services
Am Computer werden die Einsätze koordiniert und Personalien abgeglichen.
Am Computer werden die Einsätze koordiniert und Personalien abgeglichen. © FUNKE Foto Services
Wieder zurück auf Streife.
Wieder zurück auf Streife. © FUNKE Foto Services
Erneut nimmt die Polizei die Personalien auf.
Erneut nimmt die Polizei die Personalien auf. © FUNKE Foto Services
Manche Menschen wollen am Bahnhof auch einfach nur schlafen.
Manche Menschen wollen am Bahnhof auch einfach nur schlafen. © FUNKE Foto Services
Andere wiederum müssen zwangsläufig hier übernachten: in der Ausnüchterungszelle.
Andere wiederum müssen zwangsläufig hier übernachten: in der Ausnüchterungszelle. © FUNKE Foto Services
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Die Bundespolizei arbeitet im Bahnhof vor allem vorbeugend. In kleinen Grüppchen laufen die Beamten durch und um das Gebäude, zeigen sich auf den Gleisen und in den Treppenaufgängen. „Mütze zeigen, heißt das bei uns“, sagt Gruppenleiter Matthias Pahmeier. Bei ihren Rundgängen sprechen die Polizisten auffällige Personen offensiv an.

Mal lässt die Bundespolizei Gnade walten, mal muss sie hart durchgreifen

Wie die beiden offensichtlichen Alkoholiker, die ihre Zigarettenkippen statt in den Mülleimer auf den Boden daneben werfen. Ausweiskontrolle, kurzes Gespräch, ein Mal Hosentaschen herzeigen, dann gehen die Beamten weiter. „Die beiden sind bekannt wie bunte Hunde, aber heute sauber“, sagt Oberkommissar Oliver Dömer. Bei einer Gruppe von jungen Männern, die durch ihr aggressives Verhalten aufgefallen sind, greifen die Polizisten hingegen zu.

Der Essener Hauptbahnhof in Zahlen

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Minuten dauert die Fahrt vom Hauptbahnhof zum S-Bahn-Halt Essen West. Kein Bahnhof ist näher dran am Hauptbahnhof. 609 Minuten im ICE sind es hingegen zum Hauptbahnhof in Wien, dem am weit entferntesten von Essen ohne Umsteigen erreichbare Ziel.

6

Eisenbahnverkehrsunternehmen fahren den Hauptbahnhof derzeit an: DB Regio, Abellio und die Nordwestbahn im Regionalverkehr, DB Fernverkehr, Thalys und der Hamburg-Köln-Express (HKX) im Fernverkehr. In diesen Markt kommt in den nächsten Jahren ordentlich Bewegung.

5700

Quadratmeter Vermietungsfläche gibt es insgesamt im Hauptbahnhof. Im Vergleich mit Köln (11.500 Quadratmeter), Düsseldorf (9928 Quadratmeter) und Dortmund (9693 Quadratmeter) steht Essen deutlich zurück.

40

Mieter hat der Bahnhof derzeit – von der Bahnhofsbuchhandlung über mehrere Bäcker bis zum Schnellrestaurant. Mit Starbucks, McDonalds oder Subway findet man die typischen Gastronomie-Ketten, zu den Besonderheiten gehört die Filiale des Discounters Lidl, auch die Drogeriekette DM hat dort eine Niederlassung. 

12

Kassen gibt es in der Lidl-Filiale, 54 Mitarbeiter arbeiten dort, 1600 Produkte sind im Angebot. Mehr will die Pressestelle des Unternehmens nicht über das Geschäft verraten.

0

Bahnhofskneipen gibt es im Hauptbahnhof. Die Traditionskneipe „Bierfass“ mit ihrer rustikalen Eichenholzeinrichtung überlebte den Umbau zur Kulturhauptstadt nicht, passte nicht mehr ins Konzept.

170 000

Besucher hat der Essener Hauptbahnhof am Tag. Gemessen an dieser Zahl gehört er zu den zehn größten in Deutschland. In Nordrhein-Westfalen zählen lediglich die zentralen Bahnknotenpunkte in Köln (280.000) und Düsseldorf (250.000) mehr Besucher.

81 Prozent

der Deutsche-Bahn-Kunden denken beim Stichwort Bahn zuerst an den Bahnhof. Das hat zumindest eine Kundenumfrage der Bahn ergeben. Demnach ist der Bahnhof der Identifikations-Faktor Nummer eins für Zugreisende, deutlich vor dem ICE.

55

Bahnhöfe werden insgesamt vom Bahnhofsmanagement Essen betreut. Dazu gehören insgesamt 26 Bahnhöfe auf Essener Stadtgebiet, zuvorderst der Hauptbahnhof. Hinzu kommen unter anderem die Hauptbahnhöfe in Bochum, Gelsenkirchen, Wanne-Eickel oder Witten. Das Bahnhofsmanagement kümmert sich um Organisation und Service.

57

Millionen Euro hat der Umbau des Hauptbahnhofes rechtzeitig zum Kulturhauptstadtjahr 2010 gekostet. Gearbeitet und saniert wurde insgesamt 16 Monate lang.  Zum Vergleich: Für die im kommenden Jahr beginnende Modernisierung des Duisburger Hauptbahnhofes sind rund 150 Millionen Euro veranschlagt.

24

Stunden am Tag ist der Bahnhof für die Öffentlichkeit zugänglich. Es halten auch die gesamte Nacht über Züge im Bahnhof. Wer mitten in der Nacht Hunger verspürt: Das McDonalds-Restaurant schließt seine Türen nie.

800

Züge im Linienverkehr halten durchschnittlich am Bahnhof – und das jeden Tag: 400 S-Bahnen, 220 Regionalzüge und 180 Fernverkehrszüge.

664

Meter misst der längste Bahnsteig in Essen - der Bahnsteig an Gleis 4. Essen ist damit in der Rangliste der längsten Bahnsteige in Deutschland weit vorne, angeblich hat Mainz den längsten mit über 700 Meter. Zum Vergleich: Der neue ICE 4 ist 346 Meter lang.

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Gleise gibt es im  Hauptbahnhof insgesamt. Gleis drei hat keinen Bahnsteig, acht Gleise sind Durchgangsgleise, außerdem gibt es fünf sogenannte Stumpfgleise. Diese Gleise enden am Hauptbahnhof. Die abgetrennten Seitenbahnsteige 21/22 weichen von der durchgehenden Nummierung ab. Die Bahnsteige 13 bis 20 fehlen deshalb komplett.

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Stellwerke im Stadtgebiet sind ständig besetzt. Neben dem am Hauptbahnhof  noch die in Steele und Altenessen. Vom großen Stellwerk aus wird nicht nur der Bahnhofsverkehr gesteuert, sondern unter anderem die S6-Strecke bis Ratingen.

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Jahre musste die Essener Bundespolizei darauf warten, wieder in den Bahnhof einziehen zu können. Während des Umbaus wurde die Wache 2009 an die Herkulesstraße verlegt, 800 Meter vom Ort des Geschehens entfernt. Eigentlich war der Rückumzug früher geplant, doch weil eine bei den Arbeiten beteiligte Firma pleite ging, verzögerte er sich bis Juli 2016.

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Die drei müssen mit in die Wache, werden dort durchsucht. Viel dabei haben sie nicht: Einer von ihnen – kurz rasierte Haare, weite Klamotten – hat anderthalb Gramm Marihuana in der Tasche. Eigentlich nicht groß der Rede wert, es wird zwar eine Anzeige geben – aber ob die Staatsanwaltschaft bei einer so geringen Menge ermittelt, ist fraglich.

Der Polizei ist der Junge zum ersten Mal aufgefallen. Vielleicht war es da nicht allzu schlau, freimütig zuzugeben, dass er sich öfters unter Drogeneinfluss hier rumtreibt. Als vorbeugende Maßnahme unterziehen ihn die Beamten jedenfalls der so genannten Erkennungsdienstlichen Behandlung: Fotos, Fingerabdrücke, Körpermaße bleiben zehn Jahre lang im System gespeichert.

Viele sind häufig bei der Polizei zu Gast

Einer, der alles andere als einen Erstkontakt mit der Polizei hat, muss gegen vier Uhr auf die Wache. Sein Begleiter ist mit Drogen erwischt worden. Der junge Mann, 30 Jahre alt mit Migrationshintergrund, hat wenig Lust auf die Autorität Polizei.

Fängt an zu diskutieren, versucht zu provozieren. In seinem Strafregister stehen 17 Einträge – von Diebstahl bis Körperverletzung. „Und ich bin stolz drauf“, ruft er in den Raum. Zu einer Gefängnisstrafe wurde der 30-Jährige nie verurteilt. In seiner Hosentasche finden die Beamten ein verbotenes Messer, nur eine Ordnungswidrigkeit. Danach schicken sie ihn aus der Wache.

Die Frühschicht übernimmt

„Frust verspüre ich in so einer Situation nicht“, sagt Polizeihauptmeister Uwe Hartz. „Wir fangen solche Jungs ein und schicken sie zum Staatsanwalt. Alles andere wird vor Gericht entschieden. Und wenn der gleich draußen verprügelt wird, beschützen wir ihn. Das ist halt unser Job.“ Ein Job, bei dem man lernen muss, mit Provokationen, Beleidigungen und Pöbeleien umzugehen. „Ich kann nicht alles anzeigen“, sagt Uwe Dömer. „Wenn mich ein Besoffener beleidigt, dann ist der halt besoffen.“

Erst wenn jemand richtig tief ins Persönliche geht, schreibt Dömer eine Anzeige. Nicht nötig in dieser Nacht. Am frühen Morgen machen sich die ersten Partygänger auf den Weg nach Hause. Es bleibt friedlich – die Tagschicht übernimmt.


Hinweise zu den Statistiken: Darin ist die Zahl der Anzeigen aufgeführt, die von der Bundespolizei an den Hauptbahnhöfen Mülheim und Essen und den Haltepunkten im Essener Stadtgebiet geschrieben wurden. Schwarzfahr-Delikte werden von der Bundespolizei nicht in absoluten Zahlen erfasst und tauchen nicht in der Statistik auf. Sie machen laut Bundespolizei rund 20 Prozente der angezeigten Straftaten aus.

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