Essen. Ärztemangel ist ein Phänomen, das man gemeinhin in Entwicklungsländern verortet oder vielleicht in der sachsen-anhaltinischen Provinz. Tatsächlich fehlt es auch in einer Großstadt wie Essen an Ärzten, zumindest in bestimmten Stadtteilen.
In Essen fehlen Ärzte. In Altendorf etwa sind Fachärzte aller Richtungen Mangelware, eine Bürgerinitiative hat schon über 1000 Unterschriften gegen die Abwanderung der Mediziner gesammelt. Und weil davon ältere, weniger mobile Menschen besonders betroffen sind, befasste sich am Mittwochnachmittag der Seniorenbeirat mit dem Thema.
Kein Augenarzt in Altendorf
Wie es möglich ist, dass in einem dichtbesiedelten Bezirk wie Altendorf kein Augenarzt mehr ansässig ist, will etwa die Vorsitzende des Beirats, Ingeborg Schrader, wissen. Die Antwort soll Dr. Walter Dolff geben, der der Kreisstelle Essen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein vorsitzt. Dolff räumt ein, dass es einen „Sicherstellungsauftrag” der KV gebe, bloß beziehe sich dieser auf das gesamte Stadtgebiet. Ausschlaggebend sei also nur, dass es in Essen genügend Augenärzte gibt, selbst wenn diese sämtlich im Süden der Stadt praktizieren sollten.
Mehr noch: Wenn der Bedarf an Fachärzten einer Richtung um mehr als zehn Prozent überschritten ist, darf sich kein Kollege mehr in Essen niederlassen; egal wie groß der Bedarf in einzelnen Vierteln sein mag. Essen habe ein Überangebot an spezialisierten Medizinern, erklärt Dolff. Diese eigentlich „glückliche Lage” habe den Nachteil, dass die Stadt für weitere Fachärzte tabu ist.
Mit dieser Erklärung mag sich die Vorsitzende nicht zufrieden geben, es müsse doch andere Instrumente geben, um die Schieflage bei der Ärzteverteilung zu beheben, findet Schrader. Dolff verweist darauf, dass es der KV nicht möglich sei, Umsatzgarantien für ein paar Jahre zu geben, wenn ein Arzt seine Praxis nach Altendorf verlege. „Im ländlichen Gebiet wird das schon mal gemacht, aber dort gibt es dann ja auch eine allgemeine Unterversorgung.” Erfolgversprechender seien das persönliche Gespräch oder Anreize bei der Miet-Höhe.
Günter Blank hat die Grenzen solcher Überzeugungsarbeit kennengelernt. Er ist Miteigentümer eines Arzthauses an der Altendorfer Straße und musste erleben, wie in wenigen Jahren drei von fünf Praxen verschwanden, obwohl es genügend Patienten gibt und unten im Haus eine Apotheke. „Der Frauenarzt ging nach Rüttenscheid, der HNO-Arzt gab seine Zulassung nach 50 Jahren an zwei junge Kolleginnen, die schon drei Jahre später in eine eigene Praxis am Fliegenbusch zogen.” Und als sich die Hautärztin zur Ruhe setzte, sei ihre Zulassung in eine Altenessener Praxis gewandert. Blank selbst wohnt in Borbeck, wo es nicht an Ärzten mangelt, doch er fühlt sich Altendorf verpflichtet, hat darum andere Interessenten für die Räume abgewiesen: „Wir lassen die Bude leerstehen, bis wieder Ärzte hierherziehen.”
Um diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hat der Seniorenbeirat ein Schreiben an die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, das Bundes- und das Landesgesundheitsministerium aufgesetzt. Es sei bedenklich, wenn die Verlagerung von Arztpraxen in „lukrativere Stadtteile” unreguliert bleibe, heißt es da. Der Seniorenbeirat schlage daher vor, „den Ärzten und Fachärzten, die sich in benachteiligten Stadtteilen niederlassen, eine bessere Vergütung ihrer Tätigkeiten zukommen zu lassen”. Auf eine prompte Reaktion der Politik hofft Ingeborg Schrader nicht, sie sagt aber selbstbewusst: „Unser Beirat bohrt gern dicke Bretter, damit haben wir schon viel erreicht.”