Essen. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann bietet jedem jungen Arzt 50.000 Euro, wenn dieser seine Praxis in der Provinz eröffnet. Ärzte und Krankenkassen unterstützen die Idee. Doch die Kassen nehmen beim Thema Ärztemangel auch die Kassenärztlichen Vereinigungen in die Pflicht.

10.000 Einwohner hat die Gemeinde Kranenburg an der holländischen Grenze. 10.000 Einwohner und nur noch eine einzige Hausarztpraxis.

„Wir hatten immer zwei Arztpraxen in Kranenburg“, erzählt der Kämmerer und stellvertretende Bürgermeister Ferdinand Böhmer. Doch dann, im Juli 2008, hat sich die andere Praxisgemeinschaft aufgelöst. Zwei Ärzte gingen nach Baden-Württemberg, einer in den Nachbarort Kleve. Seitdem sucht die Gemeinde nach einem Arzt, der sich in Kranenburg niederlassen möchte. Die Stadtverwaltung hat Anzeigen geschaltet, mit den Krankenkassen gesprochen und mit der Kassenärztlichen Vereinigung. Bislang vergeblich.

In 59 Kommunen droht Unterversorgung

Ärztemangel ist nicht nur in Kranenburg ein Problem. Zwar sind in den beiden Ärztekammern des Landes insgesamt 89.000 Ärzte zugelassen, doch in 59 Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen droht in den nächsten Jahren trotzdem ein medizinischer Versorgungsengpass (siehe Karte). Viele Ärzte gehen bald in den Ruhestand und haben Schwierigkeiten, einen Nachfolger für ihre Praxis zu finden. Deshalb hat die Landesregierung jetzt ein Aktionsprogramm gestartet, das junge Ärzte, die ihre Praxis in einer „Problemregion“ eröffnen, mit 50.000 Euro belohnt. Die Prämie wird als Darlehen ausgezahlt, nur wer seine Praxis mindestens zehn Jahre lang behält, muss das Geld nicht zurückzahlen.

Eigentlich ist die Ärzteversorgung Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen. "Sicherstellungsauftrag" heißt das im Gesetzestext. Dass die Landesregierung in dieses System eingreift, ist nicht vorgesehen. Das Gesundheitsministerium rechtfertigt die die drei Millionen Euro teure Unterstützung als notwendige Vorbeugungsmaßnahme. „Es liegt in der Verantwortung der Landesregierung, sich hier einzumischen“, sagt ein Sprecher, „wir müssen den drohenden Versorgungsnotstand verhindern.“ Das operative Geschäft, also beispielsweise Ärzte bei der Nachfolger-Suche zu unterstützen, bleibe aber allein die Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen.

"Der Landarzt-Beruf ist out"

Zum heutigen Zeitpunkt ist in den beiden nordrhein-westfälischen Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen Lippe der Ärztemangel noch nicht akut. In Nordrhein gibt es in vielen Fachbereichen sogar noch eine Überversorgung, doch Christopher Schneider, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe ist skeptisch: „In fünf bis zehn Jahren kann die Situation in einigen Regionen bei uns schon sehr angespannt sein.“

„Der Beruf Landarzt ist gewissermaßen ‚out’“, sagt Christopher Schneider. Fehlende Infrastruktur und die hohe Arbeitsbelastung seien die Hauptgründe, warum sich junge Ärzte kaum noch in ländlichen Bereichen niederlassen. „Ein junger Arzt mit Familie möchte halt nicht unbedingt dort leben, wo es keine weiterführenden Schulen gibt und der Bus nur zweimal am Tag fährt“, vermutet auch Karin Hamacher, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.

Die Landärzte verdienen nicht schlechter

Hinzu kommt die höhere Arbeitsbelastung. „Als Dorfarzt ist man für die Menschen immer der Ansprechpartner“, sagt Hamacher. Egal ob sonntags oder spätabends. Das wollen sich viele junge Mediziner nicht mehr antun. Die geregelten Arbeitszeiten einer Stadtpraxis sind ihnen lieber.

Schlechter bezahlt ist der Arbeitsplatz auf dem Land hingegen nicht. Die Regelsätze, nach denen Ärzte die Behandlung gesetzlich versicherter Patienten abrechnen, sind zwar von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, doch innerhalb einer Kassenärztlichen Vereinigung sind die Tarife identisch. „Wer mit einer Praxis auf dem Land viele Gemeinden abdeckt, kann sogar mehr Geld verdienen als ein Stadtarzt“, sagt Hamacher. Das bestätigt Klaus Reinhardt, Landesverbands-Vorsitzender des Hartmannbundes in Westfalen-Lippe: „Ärzte auf dem Land haben höhere Patientenzahlen und dadurch ein höheres Einkommen.“ Doch auch er weist auf die schwerer Arbeit hin: „Auf dem Land muss man mehr Hausbesuche machen, das bedeutet mehr Stress.“

Krankenkassen fordern mehr von den Kassenärztlichen Vereinigungen

Die Krankenkassen begrüßen das Aktionsprogramm der Landesregierung als „prophylaktische Maßnahme“. „Doch die gesetzliche Verantwortung für die Versorgung einer Region mit Ärzten bleibt bei den Kassenärztlichen Vereinigungen“, erklärt der Vorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg, Wilfried Jacobs. Wenn es tatsächlich Regionen gibt, in denen heute schon Ärztemangel herrscht, dann müssten die Kassenärztlichen Vereinigungen den jungen Ärzten dort höhere Honorare zahlen.“

Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe hat ein anderes Programm entwickelt, um junge Ärzte in wenig beliebte Regionen zu locken: Weil Ärzte in kleinen Gemeinden mit wenig Medizinern häufig einmal im Monat Wochenend-Dienste leisten mussten, wurde jetzt der Notfall-Dienst reformiert. „Jetzt teilen sich mehr Ärzte den Notfall-Dienst in einer größeren Region. So muss jeder nur noch alle drei Monate Wochenendschichten übernehmen“, erklärt Schneider. Seine Kollegin Hamacher nimmt auch die Kommunen in die Pflicht: „Die Gemeinden können zum Beispiel bei der Suche nach günstigen Grundstücken helfen“, sagt sie.

Das versucht die Stadtverwaltung in Kranenburg. Sie hat sogar schon mit lokalen Investoren verhandelt, die vor Ort Wohnhäuser bauen wollten. Die Einrichtung einer Praxis könnte mit einem Wohnungsbauprojekt kombiniert werden, war die Idee. Doch bislang ist nichts Konkretes dabei herausgekommen. Kämmerer Böhmer gibt aber nicht auf: „Es ist nur eine Frage der Zeit.“