Essen. . Etwa 8,6 Prozent der 65- bis 74-Jährigen arbeiten in NRW, die Quote hat sich seit dem Jahr 2005 verdoppelt. Viele wollen arbeiten, manche müssen.

  • Quote der Erwerbstätigen zwischen 65 und 74 hat sich in Nordrhein-Westfalen verdoppelt
  • Viele Menschen wollen heute länger arbeiten, weil sie sich fit fühlen
  • Gewerkschaften kritisieren hingegen: Viele Ältere müssen ihre Rente aufbessern

Ans Aufhören will Jürgen Müller-Goldkuhle einfach nicht denken. „Dann fehlt doch etwas“, sagt der Steinmetzmeister. Man merkt ihm an, er liebt seinen Beruf. So sehr, dass er auch mit 80 Jahren weiter seinen Familienbetrieb an der Steeler Straße in Huttrop leitet. In der dritten Generation führt er die kleine Firma, seit 1973 ist er der Chef. Selbst zum Werkzeug greift Müller-Goldkuhle nur noch selten, für die Grabmal- und Bildhauerarbeiten sind seine beiden Mitarbeiter zuständig. Er kümmert sich überwiegend ums Kaufmännische.

Mit 80 Jahren nicht mehr in der Arbeitsmarkt-Statistik erfasst

Menschen, die wie Jürgen Müller-Goldkuhle auch dann noch arbeiten, wenn sie längst in Rente hätten gehen können, gibt es immer mehr. Mit seinen 80 Jahren gehört der Steinmetz zwar bereits zu einer Generation auf dem Arbeitsmarkt, die statistisch nicht mehr erfasst wird, fest steht jedoch: Gerade der Anteil der 65- bis 74-jährigen Berufstätigen steigt.

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Die Erwerbstätigkeitsquote in dieser Altersgruppe hat sich laut statistischem Landesamt seit 2005 verdoppelt und lag im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen bei 8,6 Prozent. Die Gründe für die Arbeit im Alter sind unterschiedlich: Viele wollen, manche müssen.

Die meisten älteren Angestellten arbeiten nur noch in Teilzeit

„Die Menschen sind heute im Alter viel fitter und gesünder“, sagt Reinhold Schnabel, Rentenexperte an der Uni Duisburg-Essen. Im Jahr 2016 fühle sich ein 70-Jähriger vom Körpergefühl im Durchschnitt so, wie 1990 ein 60-Jähriger. „Viele Menschen wollen deshalb auch im Alter aktiv bleiben und arbeiten.“

Mehr als ein Drittel der älteren Berufstätigen sind Selbstständige wie Jürgen Müller-Goldkuhle, hat das statistische Landesamt kürzlich veröffentlicht. Wer angestellt ist, arbeitet nur in Ausnahmefällen in Vollzeit, die meisten Arbeitnehmer sind in Teilzeit beschäftigt – oder noch häufiger geringfügig Beschäftige mit einer Verdienstgrenze von 450 Euro im Monat. Das zeigen auch die Zahlen der Essener Arbeitsagentur. Im Dezember 2015 waren 1784 Menschen ab 65 aufwärts in Vollzeit oder Teilzeit angestellt, 6894 hatten einen „Minijob“.

Die Entwicklung wird von den Gewerkschaften kritisiert

D ie Menschen arbeiten als Aushilfe im Büro, als Sekretärsvertretung oder als Verkäuferin. Während Finanzwissenschaftler wie Reinhold Schnabel oder Ulrich Kanders, der Vorsitzende des Essener Unternehmensverbands, den Trend begrüßen und vor allem auf den hohen Anteil derjenigen verweisen, die gerne im Alter weiter arbeiten wollen, sehen Gewerkschaften die Entwicklung hingegen kritisch.

„Die durchschnittlichen Renten sind stark gesunken“, sagt Dieter Hillebrand, Geschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Essen. Demnach habe ein männlicher Rentner in Essen im Jahr 1993 noch eine durchschnittliche Rente von 1106 Euro erhalten, 2013 seien es dagegen nur noch 991 Euro gewesen. „Viele arbeiten nicht, weil sie Spaß daran haben, sondern weil sie sonst nicht über die Runden kommen würden.“

Für viele Ältere ist der Beruf mehr als nur ein Broterwerb

Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hatte allerdings schon im vergangenen Jahr berechnet, dass vor allem der Teil der älteren Generation noch einer Arbeit nachgeht, der ohnehin schon über ein höheres Einkommen verfügt.

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Ulrich Kanders vom Unternehmensverband sieht einen weiteren Trend: Gerade kleinere Mittelständler seien immer häufiger auf Fachkräfte im Rentenalter angewiesen: „überall dort, wo Unternehmen Probleme haben, einen qualitativ gleichwertigen Ersatz zu finden.“ Die Firmen hätten deshalb ein Interesse, ihre erfahrenen Kräfte noch etwas länger zu halten – etwa als Berater oder in einer Teilzeitstelle.

Jürgen Müller-Goldkuhle hat sich noch kein Datum für seine Rente gesetzt. „Solange ich gesundheitlich noch dazu in der Lage bin, will ich weiter machen“, sagt der 80-Jährige. „Die Arbeit ist für mich mehr als nur ein Broterwerb.“ Seine Frau jedenfalls hat nichts dagegen. Sie hilft mit 76 Jahren selbst öfter in der Buchhaltung der kleinen Firma aus.