Essen. . Eingreifen, bevor es knallt: Nach dem Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen durch zwei Jugendliche wird es höchste Zeit für das Präventions-Projekt „Wegweiser“.

  • Ein Konzept wird in dieser Woche Vertretern des Innenministeriums vorgestellt
  • Zurzeit werden die möglichen Träger ausgesucht
  • Allein in Bochum werden 65 junge Frauen und Männer beraten

Erst eine 15-jährige Salafistin, die in Hannover unvermittelt einen Bundespolizisten niedergestochen hat. Nun zwei Teenager, 16 Jahre jung, aus Essen und Gelsenkirchen, die nach einem Bombenanschlag auf den Sikh-Tempel an der Bersonstraße wegen versuchten Mordes in Untersuchungshaft sitzen.

Fehlgeleitet oder ferngesteuert? Ob die mutmaßlichen Tempelbomber von Essen, Yusuf T. und Mohammed B., sich womöglich allein radikalisiert haben oder sogar im Auftrag Dritter handelten, als sie vor über einer Woche einen Sprengsatz an der Sikh-Gebetsstätte im Nordviertel zündeten, ermittelt zurzeit die Polizei.

Dass die beiden Kontakte zur gewaltbereiten salafistischen Szene haben, steht außer Zweifel, nachdem Innenminister Ralf Jäger nach der Festnahme des Duos betont hatte: „Die NRW-Polizei handelt entschlossen gegen salafistische Extremisten.“ Doch wer greift ein, bevor es knallt?

Fehlgeleitet oder ferngesteuert?

Zum Beispiel ein Modellprojekt des Landes, das noch in diesem Jahr auch in Essen seine Arbeit beginnen soll.

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Bochum, Bonn, Düsseldorf und Wuppertal wissen bereits, wo’s in Sachen Salafismus-Prävention lang geht, in Duisburg ging „Wegweiser“ am 25. Januar an den Start. Essen muss wohl noch einige Monate warten, bis das gleichnamige Präventions-Projekt gegen den Einstieg junger Menschen in den gewaltbereiten Salafismus vor Ort seine Arbeit aufnehmen kann.

Nach Informationen dieser Zeitung soll ein erstes Konzept in dieser Woche Vertretern des Innenministeriums vorgestellt werden. Bis dahin dürfte auch klar sein, welcher Träger die Aufgabe übernimmt. Zurzeit werden die Interessenten noch gesichtet, heißt es.

Gefährdete Jugendliche vor der Propaganda der Salafisten schützen

Bis zu 80.000 Euro stellt das Land für in der Regel zwei „Wegweiser“-Sozialarbeiter bereit, die junge Menschen ohne feste Lebensziele darüber aufklären sollen, was Salafismus ist und was sie den Anwerbeversuchen radikaler Rekrutierer entgegensetzen können. Sie stehen aber auch als Aufklärer in Schulen und Jugendheimen oder als Ansprechpartner für Lehrer und Eltern zur Verfügung, die sich ebenfalls an „Wegweiser“ wenden können, wenn sie das Gefühl haben, dass ein junger Mensch in die radikale Szene abzugleiten droht.

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Der Startschuss für das Projekt, das in NRW möglichst flächendeckend umgesetzt werden soll, ist vor über zwei Jahren in Bochum und Düsseldorf gefallen. Allein in der kleinen Nachbarstadt werden 65 junge Frauen und Männer beraten. Erklärtes Ziel der dortigen und der künftigen Essener Betreuer ist es, gefährdete Jugendliche möglichst früh zu erreichen, um sie vor der Propaganda der Salafisten schützen zu können, deren Ziel, so der Verfassungsschutz, „die vollständige Umgestaltung von Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als gottgewollte Ordnung angesehen wird“, ist. In letzter Konsequenz soll ein islamischer „Gottesstaat“ errichtet werden, in dem in Deutschland garantierte Grundrechte und Verfassungspositionen keine Geltung mehr hätten.

Besonders umstritten war und ist in Essen die nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes von der salafistischen Missionierungsorganisation „Die Wahre Religion“ betriebene „Lies!“-Kampagne, bei der Koranübersetzungen an Nicht-Muslime verteilt werden. Zu diesen Extremisten soll zumindest Yusuf T. Kontakt gehabt haben.

Verteilen kostenloser Koran-Exemplare ist nicht einfach zu verbieten

Das Verteilen kostenloser Koran-Exemplare mag noch so umstritten und für Kritiker der Beleg dafür sein, dass Radikal-Islamisten auf diese einfache Weise Nachwuchs rekrutieren wollen – so einfach zu verbieten ist diese Aktion mutmaßlicher Salafisten dennoch nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn es im Vorfeld keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten zu erwarten sind. Es gilt das hohe Gut der Meinungs- und Religionsfreiheit.

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In der Regel reicht für einen Koran-Stand etwa auf der Kettwiger Straße eine kostenpflichtige Genehmigung des Amtes für Straßen und Verkehr. Die Stadt kann damit gewisse Auflagen verbinden, etwa was die Größe der Sondernutzungsfläche und die Zahl der Koranverteiler angeht. Dass der Handlungsspielraum für eine Stadt wie Essen sehr eng ist, hängt auch zusammen mit einem Grundsatzurteil des Oberverwaltungsgerichts Münster. Nachdem Köln versucht hatte, die Glaubensbücher-Aktion zu verbieten, bekam der klagende Verteiler Recht. Dennoch will die Stadt Essen ihre Praxis noch einmal überdenken. Nach dem Anschlag auf den Sikh-Tempel „muss vieles auf den Prüfstand“, sagt Essens Ordnungsdezernent Christian Kromberg.