Essen. Essens Kämmerer Lars Martin Klieve spricht im Interview über dumme Dividenden-Ideen, einen Hauptversammlungs-Putsch bei RWE und den wackelnden Etat-Ausgleich.

Herr Klieve, die neue Gemeinschaftskarte im RWE-Monopoly besagt: „Sie erhalten auf Stammaktien keine Dividende mehr.“ Was kostet uns das?

Lars Martin Klieve: Verglichen mit dem vergangenen Jahr 18,7 Millionen Euro, verglichen mit dem aktuellen Haushalt allerdings nur knapp 9,4 Millionen, denn wir haben für dieses Jahr nur 50 Cent pro Aktie veranschlagt – die Hälfte der Vorjahres-Wertes von einem Euro.

Was nicht unumstritten war.

Klieve: Keineswegs. Wir haben in der „kommunalen Familie“ dafür reichlich Ärger bekommen, weil insbesondere die Dortmunder sagten: Bringt doch den Vorstand nicht erst auf so dumme Ideen.

Der brauchte Ihre „dumme“ Idee aber gar nicht, sondern geht mit seinem Vorstoß noch viel weiter. Der Nachrichtenagentur dpa haben Sie gesagt, das übertreffe Ihre schlimmsten Albträume. So überrascht?

Auch interessant

Klieve: In der Tat. Die „kommunale Familie“ hatte sich auf 85 Cent verständigt, da war ich mit meiner Prognose von 50 bis 60 Cent pro Aktie schon in der Position des Außenseiters. Und liege jetzt doch noch hinreichend weit von der Realität entfernt. Das muss aber aus meiner Sicht noch nicht das letzte Wort sein...

...was bedeuten würde, dass...

Klieve: ...auf der Hauptversammlung ein anderer Beschluss herauskommt, als er von RWE jetzt vorgegeben wurde. Das wäre ein unübliches Verfahren, ich gebe das zu.

Unüblich oder fast undenkbar?

Klieve: Jedenfalls noch nicht dagewesen, soweit ich das überblicke. Keine Ahnung, wie wahrscheinlich das ist. Im Moment sind wir erst einmal dabei, die Nachricht zu verarbeiten. Aber ich denke mal, dass der Verband Kommunaler Aktionäre gut beraten ist auszuloten, welche Möglichkeiten wir auf der Hauptversammlung noch haben. Immerhin bringen wir ein Stimmenpaket auf die Waage, das nahe bei einem Viertel liegt. Und wir wissen, dass die Präsenz auf Hauptversammlungen auch schon mal nur bei rund 50 Prozent landet. Da ist man dann schon nahe an der Mehrheit. Und wer weiß, vielleicht will ja mancher andere Aktionär auch eine Rendite sehen.

Sie sehen keinen Grund, das Unternehmen zu schonen? RWE hat schließlich massivste Probleme. Wir reden ja womöglich nicht nur darüber, dass die Dividende 2016 ausfällt. Fürs kommende Jahr stehen die Ertrags-Erwartungen noch schlechter. Können wir die 9,4 Millionen für 2017 auch schon abschreiben?

Klieve: Abschreiben ist das richtige Stichwort: Das jetzige Ergebnis leidet ganz massiv unter einer Sonderabschreibung von 2,1 Milliarden Euro auf den konventionellen Kraftwerkspark. Das kostet ja erst mal keinen Euro Liquidität, das heißt, das Geld wäre theoretisch durchaus für eine Dividende vorhanden. Die muss vielleicht nicht bei einem Euro liegen, aber zwischen null und einem Euro gibt es ja eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten.

Ist das denn mehr als Pfeifen im Walde, weil Sie Frust schieben und diese Hiobsbotschaft noch nicht so recht wahrhaben wollen?

Auch interessant

Klieve: Sie ordnen das schon richtig ein: Das ist im Moment von nichts gestützt außer dem Ausloten von Möglichkeiten. Damit fangen wir gerade erst an. So gesehen ist heute die erste Strophe gesungen worden. Das Lied ist erst spätestens in der Hauptversammlung zu Ende.

Aber die tagt erst am 20. April. So lange können Sie nicht warten.

Klieve: Natürlich müssen wir jetzt schon in andere Richtungen denken. Wir können uns nicht an einen Strohhalm klammern, von dem wir nicht wissen, ob er trägt. Für die Stadt Essen heißt das: Wir müssen überlegen, was passiert, wenn die 9,4 Millionen entgegen der Plan-Erwartung tatsächlich nicht fließen.

Und? Schon ein Ergebnis?

Klieve: Nein. Als wir den Nachtrags-Haushalt vor ein paar Tagen einbrachten, habe ich eingeräumt, dass ich mich noch nie in meinem Leben so an Grenzen gelegt habe. Dieses Bild vom atmenden Haushalt hat ja weiter seine Berechtigung, aber man kann eben nicht immer nur ausatmen. Ab und zu muss man auch mal Luft holen. Und wer sich so wie wir sehr stark an Grenzen legt, bei dem können auch kleinere Beträge als 9,4 Millionen Euro am Ende so einen Haushalt aus den Angeln heben.

Schon die eingepreiste Ersparnis von 16 Millionen Euro durch den schrittweisen Abbau der teuren Zeltdörfer für Flüchtlinge ist ausgesprochen ehrgeizig. Werden Sie bis zur Verabschiedung des Nachtrags-Etats am kommenden Mittwoch im Rat eine Deckungsvorschlag für die fehlenden RWE-Millionen präsentieren können?

Klieve: Zumindest arbeite ich daran. Wir verschaffen uns zuerst Klarheit darüber, ob wir den gerade vorgelegten Nachtrags-Etat nicht wieder ändern müssen. Ich gebe zu, das ist ein zweifelhaftes Verfahren, aber wir haben uns das nicht ausgesucht. Und ich fände es noch zweifelhafter, so zu tun, als wäre nichts passiert.

Immerhin steigt die bislang geplante Finanzlücke von 37,3 Millionen Euro noch einmal um ein Viertel auf 46,7 Millionen.

Klieve: So ist es. Nachdem wir zuvor wegen der Flüchtlings-Kosten das Defizit von 3 auf 33 Millionen Euro hochschrauben mussten. Irgendwann kann man nicht mehr sagen: Wir legen uns an Grenzen, irgendwann gehen wir darüber hinaus.

Den Etat 2017 so wie geplant ins Lot zu bringen, rückt damit noch weiter in die Ferne.

Klieve: Wir haben für 2017 eine Million Überschuss geplant. Auch weniger als 9,4 Millionen Euro wären schon in der Lage, uns unter die Wasseroberfläche zu drücken. So ist das leider.

Das Gespräch mit Stadtkämmerer Lars Martin Klieve führte Wolfgang Kintscher.