Essen. Stadtverwaltung hat bald keine Reserven mehr und muss dann improvisieren. Nächstes Dorf ist erst Ende Februar bezugsfertig.

Die Flüchtlingszahlen an den deutschen Grenzen sind witterungsbedingt zuletzt etwas gesunken, aber für die Aufnahmepflichten in Essen hat das bisher und wohl auch in naher Zukunft offenbar keine dämpfende Auswirkung. „Ende Januar werden alle unsere 4985 Plätze belegt sein“, sagt Sozialdezernent Peter Renzel auf Anfrage dieser Zeitung. Da erst Ende Februar an der Vaestestraße in Burgaltendorf ein neues Flüchtlingsdorf einzugsbereit sein werde, müsse die Verwaltung einen Monat lang improvisieren. „Was wir genau machen, um alle unterzubringen, wissen wir jetzt noch nicht“, so Renzel. Derzeit würden der Stadt im Schnitt täglich 35 Flüchtlinge zugeteilt, manchmal auch mehr. Für den heutigen Montag seien 69 angekündigt.

Zeltdorf in Karnap soll sehr bald auf 630 Bewohner wachsen

„Vom Tisch sind damit auch Bemühungen, die bereits bestehenden Zeltdörfer nicht bis zum Limit zu belegen“, sagt Renzel. Dies sei aber auch nie versprochen worden. Im Karnaper Zeltdorf - dort ist der Unmut schon jetzt besonders groß - würden bis Ende Januar rund 630 Menschen leben. Das Dorf ist derzeit zwar rechnerisch sogar auf 688 Betten ausgelegt, doch ließe sich dies aufgrund der unterschiedlichen Familienstände der Flüchtlinge (Familien, Paare, Einzelreisende) nicht vollständig ausschöpfen, so Renzel. Das gelte aber für alle Unterkünfte.

In Karnap leben nach Angaben des Rundes Tisches derzeit rund 500 Flüchtlinge. Immer wieder komme es zu Konflikten innerhalb des Zeltdorfes und zu Anwohnerbeschwerden.

Zeltdorf Karnap: „Mehr als 400 Bewohnern nicht verantwortbar“

Von manchen Flüchtlingsdorf hört man nie Negatives, in anderen liegen die Nerven blank. Karnap gehört zu letzterer Kategorie, und das schon weit, bevor die nun geplante maximale Belegung überhaupt erreicht ist. Michael Schwamborn, Vorsitzender des Runden Tisches, der im Flüchtlingsdorf hilft wo er kann, hat deshalb eine klare Forderung an die Stadtverwaltung: „Mehr als maximal 400 Bewohnern sind nicht verantwortbar.“ Es können nicht alle Unterkünfte gleich behandelt werden, so Schwamborn, der auf „Versprechungen“ der Stadt und namentlich auch von OB Kufen pocht.

FlüchtlingeSozialdezernent Peter Renzel sieht für eine solche Begrenzung jedoch keine Chance mehr: „Wir haben in Karnap auch nie etwas versprochen, sondern immer nur gesagt, dass wir uns bemühen werden, die Zahl der Bewohner zu begrenzen.“ Und das funktioniere nun eben nicht mehr.

Schwamborn zufolge gibt es jetzt bereits 500 Bewohner, und er warnt vor den Folgen dieser und weiterer Belegungen: „Die ehrenamtliche Betreuung ist bei so vielen Menschen nicht mehr zu schaffen.“ Schon jetzt sei die Stimmung unter den Flüchtlingen schlecht, die Zahl der Ungeduldigen, die schnell Wohnung, Arbeit und Familiennachzug wollten, sei hier sehr groß.

Guido Reil (SPD): „Die Ehrenamtlichen sind am Limit angelangt“

Der Karnaper SPD-Ratsherr Guido Reil macht für die Unruhe, die am 6. Januar zu einer Spontan-Demonstration führte, auch den ständigen Streit zwischen den unterschiedlichen Ethnien in der Unterkunft verantwortlich: „Der Runde Tisch leistet tolle Arbeit, aber die Ehrenamtlichen sind an ihrem Limit angelangt.“ Zudem hätten sich die Bedenken und Sorgen vieler Bürger und Nachbarn bewahrheitet, so Reil. Es gebe berechtigte Beschwerden über Lärm, Abfall und ständige nächtliche Polizeieinsätze.

Immerhin hat es der Karnaper Runde Tisch geschafft, mit einer privaten Initiative die Beschulung der Flüchtlingskinder an jedem Vormittag zu erreichen. Entscheidend beteiligt waren dabei der türkischstämmige Karnaper Bürger Turgay Tahtabas und seine Initiative „Zukunft Bildungswerk“. Die Resonanz sei sehr gut, so Schwamborn, der gerne einräumt, es habe ihn zu Tränen gerührt zu sehen, wie groß die Sprachfortschritte seien, die die Kindern in kurzer Zeit gemacht hätten. Das ändere aber nichts daran, dass Karnap an der Grenze seiner Möglichkeiten sei. „Wir pochen deshalb darauf, dass Zusagen der Stadtverwaltung eingehalten werden.“