Essen. In seinen Memoiren keilt der frühere Essener SPD-Ratsfraktionschef Willi Nowack gegen alte Weggefährten - und liefert Einblicke in eine verfilzte Kommunalpolitik.

Bis zum Druck sind es noch einige Wochen, rund 300 Vorbestellungen hat er registriert. Für ein lokal verortetes Sachbuch ist das nicht so übel. Willi Nowack, der einst allmächtige SPD-Fraktionsvorsitzende in Essen, spekuliert darauf, dass die leicht erhöhte kommunalpolitische Temperatur im OB-Wahlkampf der richtige Zeitpunkt für die Herausgabe seiner Memoiren ist. „Nachgetreten - ein Blick zurück im milden Zorn“ heißt das Werk, das der 64-Jährige gemeinsam mit dem Essener Journalisten Jürgen Hainke geschrieben hat. Und das Buch hält durchaus, was der halb ironische, halb aggressive Titel verspricht.

Denn Nowack und sein Ghostwriter ziehen ziemlich vom Leder, was Personen und Strukturen der politischen Szene angeht – so weit es ihm rechtlich vertretbar erschien, muss man einschränkend hinzufügen. Wegen Insolvenzverschleppung saß Nowack ab 2013 ein Jahr im Gefängnis, da ist die Neigung begrenzt, sich Scherereien einzuhandeln. „Ein renommierter Medienjurist hat drüber geschaut“, sagt er.

Paß müss über EBE-Internas gut Bescheid gewusst haben, behauptet Nowack

DemokratieVermutlich war das nötig. Mächtig auf dem Kieker hat Nowack zum Beispiel seinen langjährigen Stellvertreter im Amt des SPD-Fraktionschefs, den heutigen Oberbürgermeister Reinhard Paß. Ihm wirft er mehr als nur durch die Blume vor, über die personellen Interna bei den Entsorgungsbetrieben (EBE) gut bescheid gewusst zu haben - was Paß bis heute vehement bestreitet. „Reinhard Paß war mein treuer Adlatus in der Ratsfraktion der SPD“, und sei als solcher „über alle Vorgänge im Unternehmen bestens informiert“, schreibt Nowack im Buch nicht ohne süffiges Behagen.

Über 14 Jahre bis 2013 habe der heutige OB einen Sitz im EBE-Aufsichtsrat gehabt, davon immerhin zehn Jahre als Vorsitzender, während er, Nowack, nur vier Jahre dort tätig war. „Womit ich sagen will: Es ist falsch, nur mir im Nachhinein Filz, Vetternwirtschaft, Kungelei anzulasten bzw. mit meiner ,Amtszeit’ in Verbindung zu bringen.“

Auch im Nachhinein hat Nowack kein Unrechtsbewusstsein: „Warum auch?“

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Ihm als Aufsichtsratsvorsitzenden habe EBE-Geschäftsführer Klaus Kunze „bei Einstellungen von Familienangehörigen von Ratsmitgliedern“ stets „entsprechende Hinweise“ gegeben, bekennt Nowack. Dass Kunze diese Praxis beim Nachfolger Reinhard Paß geändert haben soll, schließt Nowack aus: „Klaus Kunze müsste sich in seinem Verhalten um 180 Grad geändert haben. Von daher halte ich es für weltfremd, ja unvorstellbar, dass der Sohn eines Fraktionsvorsitzenden einer Ratspartei ohne Wissen und Kenntnis des Aufsichtsratsvorsitzenden eingestellt wird.“ Das gelte auch für die auffallend häufigen Beförderungen dieses EBE-Angestellten, dessen Namen Nowack nicht nennt, bei dem es sich aber um den Sohn des heutigen SPD-Fraktionschefs Rainer Marschan handeln soll, der im Zuge der EBE-Affäre ins Gerede gekommen war.

Bei offenkundigen Verquickungen von privaten Interessen mit politischen Ämtern oder Funktionen lässt Nowack auch im Nachhinein kein großes Unrechtsbewusstsein erkennen. „Wir hatten alle kein schlechtes Gewissen. Warum auch? Schon damals war das kommunale Ehrenamt eine Illusion“, beschreibt der heutige Rentner die kommunalpolitische Praxis mehr fröhlich als zerknirscht. Die Aufwandsentschädigungen vor allem für Fraktionschefs oder die Vorsitzenden von Ratsausschüssen stünden in keinem „vernünftigen Verhältnis“ zur geleisteten Arbeit im Dienste der Allgemeinheit.

Ratsmitglieder wurden von der Stadt privat mit Aufträgen versorgt

„Vor diesem Hintergrund: wenig Kohle für viel Aufwand“ habe es keine ernsthafte Kritik gegeben, wenn Ratsmitglieder ihre Machtstellung und ihren exklusiven Zugang in die Stadtverwaltung ausnutzten, bekennt Nowack, Zitat: „So belieferten Ratsmitglieder in ihrer beruflichen Funktion die Rathauskantine, und bei Grundstücksübertragungen wurden selbstverständlich auch Politiker der beiden größten Parteien mit Notariaten bedacht.“

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Kommunalpolitiker, die selbstständige Handwerker, Ingenieure oder Architekten waren, wurden laut Nowack von der Stadtverwaltung oder städtischen Töchtern mit lukrativen „Werkverträgen“ versorgt. „Es gab Versicherungsabschlüsse und Finanzierungen, die von Ratsmitgliedern vorbereitet wurden und denen für eine entsprechende Beauftragung eine Provision zufloss.“

Bedacht worden seien damals auch Journalisten, „die mit der Stadt, der Messe und anderen schönen Töchtern auf Reisen gingen“. „Da war es nicht ungewöhnlich, dass ein Geschäftsführer die Journalisten nach getaner Arbeit ermunterte, bei einem Juwelier auf dem Flughafen ein ,Mitbringsel’ für die daheim gebliebenen Partner zu ,kaufen’, das dann aus der Schatulle des Pressereferenten bezahlt wurde.“ Nowack zufolge war dies „business as usual: Jeder wusste es, keiner redete groß darüber. Es gehörte einfach – nicht nur in Essen – zur kommunalpolitischen Normalität.“

„Ich war beim Geld ausgeben nicht gerade kleinlich“

Seine Enthüllungen ergänzt Nowack immer wieder auch mit Namen. Neben Reinhard Paß zähle etwa der frühere SPD-Fraktionsgeschäftsführer Hartmut Kütemann-Busch – heute Geschäftsführer der städtischen Sozialgesellschaft EABG – zu seinen „menschlich größten Enttäuschungen“. Auch die frühere SPD-Chefin Elke Esser und der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Hempelmann („grenzenlose Selbstüberschätzung“) geraten neben vielen anderen voll ins Nowack’sche Fadenkreuz.

Selbstkritik? Gibt’s hie und da auch. Nowack entwirft von sich das Bild eines „Jungen aus dem Essener Norden“, der im Immobilien- und Projektentwicklergeschäft zu Geld kam, wobei die politischen Funktionen vermutlich keine kleine Rolle spielten. „Ich trug teure, manche sagen auch: geschmacklose Designer-Klamotten und war auch sonst beim Geldausgeben nicht gerade kleinlich.“ Als da wären: reichlich Fernreisen, sechs Fußball-WMs, ein großes Haus „mit Schwimmbad und mehreren Saunen“, dicke Autos und Motorräder. „Im Nachhinein sind mir viele Eskapaden unangenehm und peinlich.“ Das gilt übrigens nicht für die Knast-Zeit, die aus seiner Sicht unberechtigt war, die er aber mit Anstand absolviert habe. Auch sie nimmt viel Platz im Buch ein.

Und eine Portion Selbstmitleid kann sich der durchtriebene Machtpolitiker ebenfalls nicht verkneifen: „Ich habe leider nicht realisiert, dass ich von manchen engen Wegbegleitern, die sich später als Schmarotzer herausstellten, nur ausgenutzt wurde.“