Der einst so mächtige Sozialdemokrat geht unter die Buchautoren. Müssen politische „Nullen“, „Verräter“, und „Volkshochschulhirne“ in Essen jetzt um ihren Ruf fürchten? Der 63-Jährige macht’s ein bisschen spannend.

Sechzig Seiten sind schon fertig, DIN A4, knapp beschrieben. Geschichten über ein Leben, das ganz unten begonnen hat, „so weit unten, wie man nicht weiter runter kann“. Das in dieser Stadt nach ganz oben führte, mit dickem Bankkonto, Protzkarrosse vor der Tür und Fotos vom Kanzler an seiner Seite. Und bei dem er tiefer fiel, als er sich das selbst je hätte vorstellen können.

Sechzig Seiten. Bis 2005 ist er damit gekommen, „dabei kommen ja jetzt erst die spannenden Jahre“, sagt Willi Nowack und kriegt einfach dieses Grinsen nicht aus dem Gesicht. Er hat sich gut gehalten, die 63 Jahre und die bitteren Monate im Gefängnis sieht man ihm beileibe nicht an. Aber vielleicht liegt das auch an diesem Projekt, das ihn schon seit Monaten beflügelt: sein Leben aufzuschreiben, so wie er es in Erinnerung hat, seine Sicht der Dinge zu schildern, für die sich auf Parteitagen und in der Presse, so sagt er, niemand interessierte.

Er weiß, was jetzt alle von ihm erwarten, erst recht, seit das Kohlsche „Vermächtnis“ in der Welt ist.

Dass er auspackt. Dass er seinen Giftschrank mit dem toxischen Material öffnet. Dass er ein letztes Mal, sozusagen aus dem politischen Jenseits, Karrieren befördert oder beendet, so wie das früher jederzeit in seiner Macht stand. Dass er über die „Nullen“ unter seinen Genossen plaudert, über „Verräter“ und „Volkshochschulhirne“ und solche, die nicht mit Messer und Gabel umgehen konnten, stadtpolitisch gesehen.

Und? Tut er‘s? Ach, sagt er da und setzt ein besonders leutseliges Gesicht auf: „Ich will ja gar keine Skandale aufdecken.“ Und keinen Kohlschen Stil pflegen. Und er habe ja, obwohl er sich so manches Mal ungerecht behandelt fühlte, mit der Vergangenheit seinen Frieden gemacht. Keine Abrechnung? Er weiß, dass er damit manchen enttäuscht. Und andere sehr erleichtert.

Obwohl, nun ja, „dass ich, wenn ich das alles aufarbeite, genauso anecken könnte, wie mir das in der Vergangenheit gelungen ist, das ist nicht auszuschließen“. Von „Volkshochschulhirnen“ werde im Buch nicht die Rede sein, „ich drücke mich eben anders aus, aber auch deutlich“.

Wer unfähig ist und wer nicht, wird man lesen; wer ein politischer Kopf war; wer wo welche Seilschaften bildete; wie die Stadtpolitik in den 1990er Jahren fortfolgende funktionierte, sowas halt. „Ich werde am einen oder anderen Denkmal schon kratzen.“ Also doch?

Seine Verquickung von politischem Mandat und privaten Geschäften mit lukrativen Beraterverträgen bleiben, so scheint’s, eher unterbelichtet. Dafür darf sich die Leserschar auf die eine oder andere Selbstkritik („als ich eine zu große Fresse hatte“) freuen – und auf sein Gefängnistagebuch aus der Justizvollzugsanstalt Herzebrock-Clarholz vor den Toren Güterslohs nach einer Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung.

Zwanzig Jahre nach „Willi Nowaks Knastnotizen“, einem Essener Buch über das KPD-Verbot und den Kalten Krieg, das mancher mit Blick auf den SPD-Zampano einst gern augenzwinkernd verschenkte, gibt es dann also tatsächlich „Willi Nowacks (mit „c“) Knastnotizen“ in einem eigenen Kapitel. Und wenn es auch am Ende dank Halbstrafen-Regelung und Weihnachts-Amnestie nur knapp acht Monate im Bau waren – es reichte ihm für die Erkenntnis, dass es für Straftäter „in Deutschland keine zweite Chance gibt“. Das würde der Mann aus Altenessen seinem Genossen Justizminister aus dem Ortsverein Schönebeck gerne sagen. Dicht gefolgt von der beruhigenden Gewissheit, dass gute Fußballer auch hinter Gittern einen besseren Stand haben. In die Knastmannschaft wurde Willi Nowack – obwohl einer der ältesten Gefangenen – nämlich bevorzugt gewählt, er kann was am Ball.

Heute spielt er wieder beim FC Landtag und kokettiert damit, dass er bei einem Freundschaftsspiel am Rande des NRW-Tages in Bielefeld neulich auch auf die Ministerpräsidentin traf: „Ich kann mich über die freundliche Begrüßung nicht beklagen.“ Auch sonst ist Willi Nowack wieder im alten Leben angekommen, wird nach eigenem Bekunden „überall im Norden nett und freundlich begrüßt“, gibt sich „tiefenentspannt“ und hat nur noch diesen einen Ehrgeiz: sein Leben, in dem er „nichts ausgelassen“ hat, zwischen Buchdeckel zu pressen.

Ein Verleger ist gefunden, bis zum Jahresende soll der Text im Wesentlichen fertig sein. Der Titel? Noch unklar. „Ein Blick zurück im milden Zorn“, so wird der Untertitel heißen, das klingt arg betulich, defensiver allemal, als man es von Nowack einst gewohnt war. Es muss hie und da wohl doch ein wenig Altersmilde eingeflossen sein. Groß Kasse machen wird er eh nicht, schätzt Nowack, „wer soll denn das groß lesen – über Essen hinaus?“

Auf jeden Fall jene, die hoffen oder fürchten, drin vorzukommen. Die Journaille gehört selbstredend dazu, für die hat er sich sogar die Zuarbeit von Co-Autoren gesichert und Alias-Namen ausgedacht, sicherheitshalber, man weiß ja nie. Der Autor dieser Zeilen soll auch Erwähnung finden, viel Lobendes dürfte da nicht zu lesen sein. Schon in seinem alten Firmen-Büro am Waldthausenpark hatte Willi Nowack bei Interviews schließlich gern vielsagend an die Wand gedeutet, wo ein Spruch von Krimi-Autorin Agatha Christie hing: „Ich habe Journalisten nie gemocht, und ich habe sie in all meinen Büchern qualvoll sterben lassen.“

Mein lieber Schwan, da steht uns was bevor.