Essen. Die WAZ Essen öffnet in der Adventszeit Türen, die sonst oft verschlossen bleiben: Als erstes hat Bäckermeister Stefan Holtkamp die Tür zu seiner Backstube in Essen-Holsterhausen geöffnet. Der 49-Jährige ist Bäcker in der sechsten Generation und stolz auf diese Familientradition.

Stefan Holtkamp zeigt gerne, dass er ein traditionsbewusster Bäckermeister ist. „Der da ist mein Großvater Josef Holtkamp“, sagt der 49-Jährige und deutet stolz auf ein historisches Schwarz-Weiß-Bild. Es zeigt einen attraktiven jungen Mann – übrigens exakt an der Stelle, an der sie auch heute noch warme Kassler und Stuten, knusprige Brötchen und weiche Biskuits aus dem Ofen holen. Die Holtkamp’sche Backstube und der kleine Laden auf der Kahrstraße spiegeln ein gutes Stück Holsterhausener, ja Essener Stadtgeschichte wider.

Als Krupp und andere Magnaten Gußstahlfabriken und Hütten, Zechen und Kokereien aus dem Boden stampfen, ist die wundersame Vermehrung von Backstuben die logische Folge. Bis zu 400 Bäckereien werden zu Spitzenzeiten in Essen gezählt. Wer hart arbeitet, der hat eben großen Hunger auf eine dicke Stulle. 1869, mitten im Industrie-Rausch, legen auch die Holtkamps los. „Bäckerei und Colonialwaaren Franz Holtkamp“ steht auf einem Foto. Und der 49-Jährige sagt: „Ich bin Bäcker in sechster Generation.“

Ins Brot kommen Mehl, Wasser, Salz und Hefe

Vor gut zwanzig Jahren hat er das Geschäft von seinem Vater Klaus übernommen. Und wie alle seine Ahnen verrührt und knetet er in der bald 150 Jahre alten Traditions-Backstube dieselben Zutaten. „Unser täglich Brot besteht aus Mehl, Wasser, Salz und Hefe.“ Eine simple Formel, die genauso magisch klingt wie das Reinheitsgebot des deutschen Bieres. Doch die Bäckerblumen-Romantik täuscht gewaltig. In der Backbranche tobt ein ruinöser Wettbewerb, einer, bei dem immer mehr stolzen Bäckern das Mehl und die Puste ausgehen. „In Essen gibt’s heute nur noch 13 backende Betriebe.“ Zum Vergleich: 1970 waren’s noch 270.

So mancher in der Branche sucht sein Heil in schierer Gigantomanie und schafft durchindustrialisierte, seelenlose Backhallen. „Da arbeiten dann zehn Elektriker und nur zwei Bäcker, den Rest erledigen Maschinen.“ In Holtkamps Backstube wirken 14 Bäcker - von Mitternacht bis morgens sieben. Ihre wichtigste Zutat ist eine, die Mega-Backfabriken nicht kennen und auch nicht können: Zeit. Die Zeit, die die Teige brauchen, um in aller Ruhe Geschmack anzunehmen.

Präzisionsbacken mit “Winback“

Ganz hinten in der hellen, weiß gefliesten Backstube lagern im Mehllager Dutzende Roggen- und Weizenmehlsorten. Holtkamp: „Wir haben gute Rezepturen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden.“ Und die selbstverständlich ein streng gehütetes Geheimnis sind. Er zeigt auf den Monitor mit dem modernen “Winback“-Programm, das jede einzelne Zutat bis auf zwei Stellen hinter dem Komma genau auswirft. Das „Siegerländer“ etwa hat 80 Anteile Roggen und 20 Weizen, beim Kassler sind’s 30 Roggen und 70 Weizen. Zurzeit backt Holtkamp das DRK-Jubiläumsbrot, ein saftiges Mehrkorn.

Das Zeit-Magazin wirbt im aktuellen Spezialheft für die wenigen Bäcker, die noch selber backen. Die interaktive Deutschland-Karte zeigt Bäckereien, die Leser empfohlen haben – darunter auch die von Bäcker Holtkamp. Der sagt zufrieden und stolz: „Die Tradition, sie lebt.“