Essen. Rund 124 Millionen Fahrgäste zählen die Essener Verkehrsbetriebe EVAG jedes Jahr. Aber wie lange noch?

Rund 124 Millionen Fahrgäste zählt die EVAG jedes Jahr. Aber wie lange noch? Denn Georg Grindau, seit wenigen Wochen der neue Via-Leiter für Mobilitätsmanagement, befürchtet aufgrund der demografischen Entwicklung in Essen einen Rückgang der ÖPNV-Kunden.

„Wir gehen davon aus, dass wir Fahrgäste verlieren können“, betont er. „Und deshalb müssen wir mehr gegensteuern.“ Denn sonst verpasst die EVAG möglicherweise den Anschluss.

Die Essener Verkehrsgesellschaft hat es in den letzten Jahren immerhin geschafft, die Zahl der ÖPNV-Nutzer einigermaßen stabil zu halten. „Aber die Gesellschaft wird älter, die Schülerzahlen gehen zurück, und es gibt einen Sterbeüberschuss“, gibt Grindau zu bedenken. „Das macht sich auch bei uns bemerkbar.“

Chatten und im Internet surfen

Er hält deshalb weitere Strategien für nötig, um den ÖPNV attraktiver zu machen und hat zwei wesentliche Zielgruppen im Blick: Die Jüngeren, für die das Auto kein Statussymbol mehr ist, und die Älteren, von denen immer mehr auf Bus und Bahn angewiesen sind, weil sie nicht mehr Auto fahren wollen oder können.

Grindau ist überzeugt davon, dass sich viele junge Leute auch langfristig für den ÖPNV gewinnen lassen. „Ein Auto zu besitzen, ist in dieser Generation nicht mehr der Trend.“ Entscheidend sei stattdessen für viele, während der Fahrt im Internet surfen oder mit Freunden chatten zu können. Das geht am Lenkrad nicht, sehr wohl aber in Bahn und Bus. Diesen Vorsprung will die EVAG nicht verspielen und plant für nächstes Jahr ein Pilotprojekt. Sie will einen oder mehrere Busse auf einer ausgesuchten Linie mit WLAN-Anschluss ausstatten. Dann sind die Fahrgäste immer online.

248 Millionen Euro werden benötigt

Das wird in Zukunft auch bei den älteren Fahrgästen eine größere Rolle spielen. „Da wird es unter anderem um Fragen gehen, unsere Apps lesbarer zu machen, aber auch den Kauf von Fahrscheinen zu erleichtern“, berichtet Grindau im NRZ-Gespräch. Der Anteil der älteren Kunden wird zunehmen, so die Prognose. Schon jetzt (Stand. 30. September) zählt die Stadt Essen rund 125.700 Bürger, die älter als 65 Jahre alt sind. Das ist ein Anteil von 21,8 Prozent der Bevölkerung.

Ganz vorne auf der Prioritätenliste steht der barrierefreie Ausbau der Haltestellen, um betagten Kunden und Mobilitätsbehinderten das Ein- und Aussteigen zu erleichtern. Berlin verlangt die Umsetzung bis 2022. Doch die EVAG hat bereits durchblicken lassen, dies bis dahin nicht stemmen zu können. Denn für den Ausbau wären insgesamt 248 Millionen Euro nötig, derzeit werden aber lediglich weniger als zehn Millionen pro Jahr investiert. Von den hundert Straßenbahn-Haltestellen sind erst 20 Prozent barrierefrei, bis 2018 wird sich der Anteil immerhin fast verdoppeln. Im nächsten Jahr sind die Haltestellen Schwanenbusch, Kronenberg, Kronprinzenstraße und Herzogstraße dran, kündigt Matthias Brockmann von der Abteilung Infrastruktur an.

Barrierefreiheit bleibt ein wichtiges Thema 

Probleme gibt es auch an fünf U-Bahnhöfen. Dort fehlen die Aufzüge, um die Bahnsteige mühelos zu erreichen. Für die Haltepunkte Philharmonie, Universität und Planckstraße ist in den kommenden fünf Jahren eine Nachrüstung geplant. Für den Bismarck- und Hirschlandplatz kann noch kein Termin genannt werden.

Das Schlusslicht bilden die 600 Bushaltestellen, von denen erst 13 Prozent als barrierefrei bezeichnet werden können. Trotzdem können dort Gehbehinderte ein - und aussteigen, weil alle 191 Busse mit einer ausklappbaren Rampe ausgestattet sind.

Infrastruktur an Haltestellen verbessern

Die haben die 27 neuen Niederflur-Straßenbahnen NF2 (von denen erst einige im Linienverkehr eingesetzt werden) zwar auch, aber die nützen an vielen Haltestellen nichts. Die Straßenbahnen sind schmaler als die Busse, die Rampen entsprechend kürzer - zu kurz, um die Platte direkt auf die Fahrbahn ausklappen zu können, weil dann der Winkel zu steil wäre. Es lässt sich nur ein Höhenunterschied von bis zu 18 Zentimetern überwinden.

Im Klartext: Auf der Linie 109 (Frohnhausen-Steele) können die Fahrer der neuen Bahnen nur an zehn von 21 Haltestellen die Rampe verwenden. Auf den anderen Linien sieht es noch schlechter aus. „Die Rampe ist nicht das Allheilmittel“, räumt Christoph Lademann, zuständiger Via-Bereichsleiter für Verkehrsmanagement, ein. „Technisch sind wir da in der Falle“, sagt er. Weil es dafür keine technische Lösung gibt.

Der Verkehrsmanager sieht langfristig nur einen Weg: „Wir kommen nicht umhin, die Infrastruktur an den Haltestellen zu verbessern.“ Eine Klappe allein ist da zu wenig.