Duisburg. Der Kanute Michel Scheuer holte 1956 bei den Olympischen Spielen in Australien die erste deutsche Goldmedaille nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Sensation, nicht nur für den Sportler. Doch olympisches Flair sei damals nicht aufgekommen, sagt der heute 85-Jährige.

Herbert Zimmermann ist eine Reporter-Legende, „aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen...“, ist wohl sein berühmtester Satz. Nun hat sich der Mann nicht auf Fußballplätzen getummelt, sondern auch über Olympische Spiele berichtet. In Melbourne traf er 1956 auf Michel Scheuer vom hiesigen Verein Bertasee. Der Kanute mit Wohnsitz Krefeld war auf dem besten Weg, die erste deutsche Goldmedaille nach dem Zweiten Weltkrieg zu holen. Das Treffen und auch die Wochen in Australien, Scheuer erinnert sich noch sehr genau daran.

„Wir haben uns damals die aufgezeichnete Radioreportage vom Rennen angehört“, blickt der 85-Jährige zurück. „Endspurt, Scheuer kniet im Boot“, hatte Zimmermann in dem ihm typischen Enthusiasmus geschrien. „Das war falsch, Kanuten sitzen im Boot und knien nicht“, sagt Scheuer.

Ein Foto ging um die Welt

Den Fauxpas nahm Scheuer dem Reporter aber nicht krumm, schließlich sollte schon sehr bald eine Goldmedaille am Hals des damals 29-Jährigen baumeln. Zusammen mit Meinrad Miltenberger (gestorben 1993) hatte Michel Scheuer im Zweier-Kajak Gold für das damals gesamtdeutsche Team eingefahren.

Damals ging ein Foto um die Welt, es zeigt die beiden Olympiasieger, allerdings halten sie nicht ihre Goldmedaille in den Händen, sondern eine kleine Stoffpuppe. Der Koalabär war ihr Glücksbringer, sie hatten ihn immer bei sich. Auch im Wasser. Damit der Koala nach dem Rennen nicht aussieht wie ein begossener Pudel, hatten ihn Scheuer und Miltenberger fürsorglich in eine Plastiktüte gepackt.

Koalas in freier Wildbahn

An den Endlauf, den das Duo in 3:49,6 Minuten rund zwei Sekunden vor den beiden Sowjetrussen Anatoli Demitkow und Michail Kaaleste beendete, denkt er noch gelegentlich zurück. An die Spiele eher nicht.

Olympisches Flair war damals kaum aufgekommen. „Die Regattastrecke war 90 Meilen von Melbourne entfernt.“ Man sei da draußen eher für sich gewesen, ohne Kontakt zu den anderen Athleten. Sie hätten aber einen Fahrer gehabt, der ihnen unter anderem Koalas in freier Wildbahn gezeigt habe. „Das war schön, wir haben etwas vom Land gesehen, die lange Reise hatte sich sehr gelohnt.“

Im Alter fordert der Sport seinen Tribut 

Schafft man es heute mit einem Stopp ab Frankfurt in 25 Stunden bis Melbourne, so waren die Deutschen Olympioniken damals nahezu fünf Tage unterwegs. „Wir flogen von Deutschland über Kanada, Los Angeles, Hawaii und Fidschi nach Melbourne. Zurück machten wir die südliche Tour und hatten so den Planeten nahezu einmal umrundet.“ Jeweils nach etwa zehn Stunden war die Maschine gelandet, wurde aufgetankt, dann ging es weiter. „Wir sind nahezu an jedem Flughafen von deutschen Kanu-Fans empfangen worden, das war toll.“

Michel Scheuer – er ist in Luxemburg geboren, daher der französische Name Michel – ist einer der Großen seines Sports und der Stolz des Vereins Bertasee. In seinem Schrank stapeln sich Urkunden und Medaillen etlicher Weltmeisterschaften und Deutscher Titelkämpfe. Was fehlt, ist die Goldmedaille aus Melbourne.

Geld gab es nie

„Die liegt im Safe in der Bank. Sie darf nicht wegkommen.“ Hatte das IOC bei verschwundenen Medaillen aus dem Jahr 1936 noch eine Ausnahme gemacht, und nachgeprägt, so mussten alle folgenden Gewinner auf ihre Medaillen aufpassen. Wer sie verliert, hat Pech gehabt.

Bis 1963 war Michel Scheuer als Kanute aktiv, bis 1990 hatte er als Trainer am Bertasee gearbeitet. Geld gab es dafür nie, er habe bis zu seiner Pensionierung als Schlosser und später als Beamter bei der Deutschen Bahn in Krefeld-Oppum gearbeitet. Die 25 Kilometer jeden Tag zum Training in Wedau fuhr er mit dem Rad. „Hinter dem Werkstor links nach Hause und rechts Richtung Duisburg. Ich bin fast immer rechts abgebogen.“

Jede Menge Titel

Neben Talent, Willen und Ehrgeiz braucht man für ein solches Leben auch einen Partner, der das alles mitmacht. „Meine Frau Margret war immer dabei, sie hat sich sehr wohl gefühlt an der Regattastrecke“, sagt er. So konnte er jede Menge Titel sammeln, Titel auf die er stolz ist. „Das war eine tolle Zeit damals, keine Minute davon möchte ich missen.“

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Im Alter hat der Sport allerdings seinen Tribut gefordert. Die Schultergelenke sind derart verschlissen, „dass ich die Arme kaum noch heben kann.“ Zudem hat er ein neues Kniegelenk bekommen, Entzündungen machen dem 85-Jährigen zu schaffen. „Eigentlich müsste täglich eine Krankengymnastin kommen, sie schafft es aus Termingründen aber nicht immer“.

Michel Scheuer lässt sich aber nicht unterkriegen, so oft es ihm möglich ist, geht er zu Treffen des Vereins Bertasee. „Da kommt der alte Holzmichel, hat mal einer gesagt“, Scheuer mag diese Bezeichnung. Michel, ja, alt, naja und Holz, eher nicht. Oder doch? Moderne Kajaks sind inzwischen aus Kunststoff, Boote aus Holz gibt es aber nach wie vor...