Duisburg-Homberg. Früher Falke, heute Staatssekretär. Warum Mahmut Özdemir jetzt das Steuer aus der Hand geben muss, verrät er beim Bummel durch Duisburg-Homberg.
Wenn nicht jetzt, wann dann? Dieses Treffen stand noch aus. Wir hatten schon vor längerer Zeit einen Spaziergang durch die Homberger Heimat von Mahmut Özdemir abgemacht. Damals war die freie Zeit des SPD-Bundestagsabgeordneten bereits rar. Dann kam im November 2021 für ihn nicht nur der Chefposten der Duisburger Sozialdemokraten hinzu, sondern Anfang Dezember auch die Ernennung zum parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Wer eins und eins zusammenzählen kann, der weiß: Verabredungen zum Stadtteilbummel mit Lokalredakteuren rutschen auf der Prioritätenliste des 34-Jährigen in Zukunft noch weiter nach hinten.
„Deal ist Deal“, sagt Mahmut Özdemir und spannt seinen knallroten Schirm auf. Trotz des Regens hat er nicht abgesagt. Er macht einen großen Schritt über die Pfütze vor dem Eingang zur Skateranlage an der Ottostraße. Bei so einem Wetter ist hier zwischen Weihnachten und Neujahr niemand außer uns. Die Pipe gehört dem Politiker. In braunen, nicht wirklich regentauglichen Halbschuhen steht er wie auf einem Siegertreppchen auf dem mit Graffiti gekrönten Betonsockel, der für ihn die Wiege seiner politischen Karriere symbolisiert.
Politisches Erweckungserlebnis als Elfjähriger
Wenn sich Mahmut Özdemir die Orte für ein Fotoshooting aussuchen darf, dann gehört der Platz in Hochheide immer dazu. Dieses Bild ist ihm wichtig, da der umzäunte Freiraum der Homberger Skater für sein politisches Erweckungserlebnis steht, das er als Elfjähriger hatte und das er gerne in folgende hübsche Geschichte verpackt: Als der junge Mahmut vor gut zwanzig Jahren mit seinen Inlinern vom Supermarktparkplatz vertrieben wurde, da landete er bei den Falken und lernte in der sozialistischen Jugendorganisation, dass es sich lohnt, für Ziele zu kämpfen. Und dass es Spaß machen kann, Kritiker und Skeptiker mit Fakten zu strafen. 2007 wurde „seine“ Skateranlage eingeweiht.
Der Politiker, der „Verbindlichkeit und Disziplin“ als Hauptzutaten seines Erfolgsrezeptes aufzählt, zieht eine Karteikarte im Din-A5-Format aus der Jacke. Regentropfen verwischen die Stichworte, die er schön ordentlich mit einem Füller notiert hat. Mein Zettel ist doppelt so groß und mit Kuli bekritzelt.
Wir haben höchst verschiedene Beweggründe für diesen Spaziergang. Natürlich. Mahmut Özdemir nutzt die Gelegenheit, seine politischen Erfolgsstationen abzuklappern und über Projekte zu sprechen, an denen er auch in Zukunft trotz des gewaltigen Amtes in Berlin in seinem Duisburger Stadtteil arbeiten will. Mir geht es darum, im Vorbeigehen ein wenig Persönliches und ein paar Neuigkeiten aus Berlin von dem Mann zu erhaschen, der es aus dem politischen Sandkasten der Homberger Falken an die Seite der neuen Bundesinnenministerin Nancy Faeser geschafft hat.
Der Wind treibt den Regen bis in den Mantelkragen
Der Regen wird an diesem Mittag unser treuer Begleiter sein. An der nächsten Station am Homberger Reinpreußenhafen treibt der Wind die Tropfen bis in den Mantelkragen. Mittlerweile bin ich ebenfalls Besitzerin eines roten SPD-Schirmes mit der Aufschrift „Mahmut Özdemir macht Mut für Duisburg“. Der Schreibblock wellt sich trotzdem und der Staatssekretär zieht die Schultern hoch und die Stirn kraus. Für den Fotografen marschiert er dennoch tapfer ohne Schirm an der Rheinfront entlang.
Da muss er durch, denn das Thema liegt ihm am Herzen. Er erzählt von der politischen Sisyphusarbeit, die ihm dieses Stück Homberg beschert. Dabei geht es nicht nur um die seit 2017 gesperrte Hubbrücke, sondern auch um ein Grundstück, auf dem ein Zentrum für Katastrophenschutz entstehen könnte, wenn denn der private Eigentümer die Fläche an die Stadt verkaufen würde.
Die ersten Anschaffungen für das neue Büro im Ministerium
Über die Probleme am Rheinpreußenhafen wurde schon viel geschrieben. Neues gibt es nicht, also Themenwechsel. Mich interessiert mehr, wie Özdemirs neues Büro aussieht – eines von insgesamt 1150 im Berliner Ministerium. „Ist eingerichtet!“, sagt er. Für ihn als Pragmatiker bedeutet das: Es ist alles vorbereitet, damit er arbeiten kann. Wohnliche Accessoires? Schnickschnack! Neuer Stifthalter, neue Ablage. Fertig. Ach, doch, eins noch: „Den Kaffee-Vollautomaten brauchte ich nicht.“ Bei ihm wird von Hand gefiltert.
Riesig ist sein Büro, erzählt er. Und schön weit oben. Viel Glas, gute Aussicht auf den Hubschrauberlandeplatz vom Kanzleramt. Und, das Beste: „Es ist nur 200 Meter von meiner Wohnung entfernt.“ Das hat ein Freund von ihm mit dem Satz kommentiert: „Du schaffst das bestimmt, selbst die paar Meter mit dem Auto zu fahren.“ Im Ernst? Der 34-Jährige grinst. „Freiwillig bewege ich mich eigentlich nur auf dem Fußballplatz.“ Das wird er demnächst häufiger tun, denn ein weiteres Amt hat ihm das Jahr 2021 beschert: Mahmut Özdemir ist jetzt Kapitän der Berliner Abgeordneten-Mannschaft FC Bundestag.
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Wir sind mittlerweile in der „Augusta Pizzeria“ gelandet. Auf einen Kaffee zum Aufwärmen „Beste Bude hier“, begründet Özdemir seine Wahl der Location. Die Süßigkeit auf dem Unterteller seines Cappuccinos rührt er anders als beim letzten Interview nicht an. Diät? „Ich muss aufpassen.“ Mehr Achtsamkeit beim Essen hat er, der Pommes Rot-Weiß und Burger liebt, aber keinen Fisch mag, sich für 2022 vorgenommen. „Ich möchte gesund bleiben.“ Weniger Fastfood und Kekse, mehr Zeit auf dem Fußballplatz.
Weniger Zeit für die alten Schätzchen in der Werkstatt
Zeit – ein gutes Stichwort. Wie viel wird ihm bleiben, bei all dem, was allein mit dem neuen Amt als Staatssekretär auf ihn zukommt? Wie wird der Bundestagsabgeordnete da auch noch den Parteivorsitz in Duisburg, seinen Wahlkreis und Privates unterbringen? „Ich werde alle meine Versprechen als Politiker einhalten“, sagt er mit entschlossener Miene und zitiert ein türkisches Sprichwort: „Das Wort verlässt den Mund nur einmal.“ Am Privaten wird er also noch mehr einsparen müssen. Zum Beispiel sein Hobby, an Autos zu basteln. „Als ich neulich eines meiner Schätzchen in der Werkstatt zerlegt habe, habe ich mir scherzhaft gesagt, dass das meine letzten Tage in Freiheit sind.“
Erst Staatssekretär, dann Minister – wie wär’s?
Was hat sich geändert seit der Amtseinführung als Staatssekretär? „Noch mehr Disziplin.“ Und ein Chauffeur, damit der Politiker während der Fahrt arbeiten kann. Das ist keine leichte Übung für ihn, der das Steuer lieber selber in der Hand hat. Nicht nur in Autos. Auch unser Gespräch hatte er eigentlich in eine andere Richtung gelenkt. Geredet haben wir auch über Themen wie das sozial gerechte Wohnviertel an der Halener Straße, auf das er stolz ist, das Trajektprojekt, die Augustastraße und seinen Vorsatz, Stadtentwicklung immer auch aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen zu denken.
Eine letzte Frage noch: Erst Staatssekretär, dann Minister – das haben schon andere vorgemacht. Wie wär’s? Mahmut Özdemir lacht und zeigt zum Himmel. „Das weiß nur der da oben, aber ich hätte nichts dagegen.“
>>> FÜR DIESE BEREICHE IST MAHMUT ÖZDEMIR IM INNENMINISTERIUM ZUSTÄNDIG:
Mahmut Özdemir, geboren 1987 in Homberg, studierte nach dem Abitur am Franz-Haniel-Gymnasium Jura in Düsseldorf. 2013 ging er mit 26 Jahren als damals jüngster Bundestagsabgeordneter nach Berlin, wo er im Oktober 2021 den Einzug in seine dritte Legislaturperiode feierte.
2021 kamen weitere Posten hinzu. Seit November ist er Vorsitzender der SPD Duisburg, seit Dezember parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Zuständig sein wird er für die Bereiche Verfassung, Staatsangehörigkeit, Sport, Migration und Luftsicherheit.