Duisburg-Hochheide. Bei Ernestine Hartmann wurde die Sprengung des „Riesen“ gemeinsam angeschaut. Dabei kamen schlimme Erinnerungen hoch. Und Gedanken an früher.
Als es knallt und der Weiße Riese in die Knie geht, schießen Ingrid Moll die Tränen in die Augen. Da sind sie wieder, die Kriegsbilder, die sich ihr als Vierjährige beim Bombenangriff eingebrannt haben. „Damit hab’ ich überhaupt nicht gerechnet“, sagt die 81-Jährige weinend zu ihrer Nachbarin. Dabei wollte sie sich doch nur die Sprengung des Hochhauses angucken, zu dem sie überhaupt keine Beziehung hat. Denn sie wohnt erst seit vier Jahren an der Ecke Duisburger Straße/Lauerstraße in Hochheide. Sie selbst ist fassungslos über ihre eigene Reaktion.
Bilder wie damals bei 9/11
Ihre Nachbarin Ernestine Hartmann (71), die das Großereignis mit Enkelkind und Freundin von ihrem Schlafzimmer aus verfolgen konnte, reicht ihr ein Taschentuch. Es habe ihr plötzlich die Kehle zugeschnürt, als es knallte und das gigantische Haus zusammensackte. Die 81-Jährige ist von ihrer eigenen Reaktion überwältigt, ringt minutenlang um Fassung. Eigentlich wollte sie nur zum Schwätzchen über die Sprengung zu ihrer Nachbarin kommen.
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Im Grunde sind sie ja froh, dass das ungeliebte Hochhaus, auf das die beiden jahrelang von ihren Häusern aus guckten, endlich dem Erdboden gleich gemacht wurde. „Wie viele Jahre das gedauert hat, bis es heute endlich realisiert wurde“, stellt die 71-Jährige fest. Sie ist froh, dass alles gut gegangen ist. Aber auch sie hatte nicht gerade nur gute Gefühle, als der verkommene Kasten fiel, gesteht sie. „Ich habe eine Gänsehaut bekommen, weil ich sofort wieder die Bilder von 9/11vor Augen hatte, als die Flugzeuge in die Twin Towers gekracht sind.“
Ihr Leben ist eng mit der Geschichte des Hochhauses verbunden
Ernestine Hartmanns Leben ist eng mit der Hochhaus-Geschichte verbunden. 1998 bezog sie an der Lauerstraße/Ecke Duisburger Straße mit ihrer Familie ihr neues Haus. Da standen die Weißen Riesen ja schon. „Gestört haben die mich nicht. Wir hatten Freunde, die in dem Hochhaus wohnten, das gerade gesprengt worden ist. Damals fehlte ja jede Menge Wohnraum und das Hochhaus war sehr schön ausgestattet, die Wohnungen wirklich gepflegt. Sogar einen Hausmeister gab es.“
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Das sei lange Zeit völlig in Ordnung gewesen, bis die Stadt auf die Idee gekommen sei, sozial Schwache und Menschen unterschiedlichster Nationen und Kulturen dort unterzubringen. „Von da an ging’s bergab.“ Und dann gab es ja auch noch Josef Kun, der die Rheinpreußensiedlung ganz in der Nähe abreißen wollte, erzählt die Duisburgerin und erinnert sich an viele Details.
Stolz auf den Kampf um dieRheinpreußensiedlung
„Ich bin heute noch dankbar für den Widerstand, den es damals gab“, sagt die 71-Jährige, die zwei Legislaturperioden lang für die CDU in der Bezirksvertretung war. Und der Kampf um die Siedlung ruft bei ihr wieder die Bilder von damals ins Gedächtnis. „Bauunternehmer Kun wollte die schönen Bergarbeiterhäuser ja auch plattmachen, um da das nächste Hochhaus zu bauen.“ Aber das haben die Bewohner nicht zugelassen, sind vors Rathaus gezogen und über 18 Tage in den Hungerstreik getreten. „Und sie haben geschafft, die Siedlung zu erhalten“, sagt sie voller Stolz.
Aufregende Zeiten und harte Kämpfe in Hochheide
Die politisch aufregende Zeit damals, ist ihr bestens in Erinnerung geblieben. Sie kann gar nicht mehr sagen, wie oft das Thema Abriss und Hochhaus-Neubau auch in ihrem politischen Gremium diskutiert wurde. Aufregende Zeiten und harte Kämpfe seien das damals gewesen. Die negativen sozialen Auswirkungen der Schrottimmobilie auf das Zusammenleben hat sie selbst am eigenen Leib gespürt. Vor anderthalb Jahren war sie mit dem Rad unterwegs und hatte einen Termin am Hochheider Markt.
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Weil sie noch Zeit hatte, setzte sie sich in der Nähe des Hochhauses auf eine Bank und wollte die Sonne genießen. „Neben mir saß eine Frau im Bademantel, schrie plötzlich irgendwas, und sofort kam eine Horde von Kindern, die mir drohten“, schildert sie ihre Erfahrungen. Sie stieg auf ihr Fahrrad und ergriff die Flucht. Seitdem hat sich sich da nicht mehr blicken lassen.
Wird der geplante Bürgerpark der nächste Angstraum?
Ob der Park, der jetzt dort entstehen soll, wo am Sonntag kurz nach Zwölf die letzte Stunde für den Weißen Riesen schlug, eine gute Idee ist? Sie weiß es nicht. In einer Bürgerbefragung hat sie vorgeschlagen, dort bezahlbaren Wohnraum für junge Familie entstehen zu lassen. Aber jetzt hat man sich ja auf den Park festgelegt. „Ich hoffe nicht, dass das dann wieder der nächste Angstraum wird“, sagt sie.
Während Ernestine Hartmann ihre Erinnerungen erzählt, zeigt das Fernsehen alte Bilder über den Kampf der Menschen in der Rheinpreußen-Siedlung. Die Hombergerin ist elektrisiert. „Sehen Sie, so war das damals. Bin ich froh, dass der Schandfleck Hochhaus jetzt weg ist.“
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Die Rheinpreußensiedlung ist immer sofort Thema, wenn es um die Hochhäuser in Hochheide geht. Die damaligen Pläne der Politik und des Bauunternehmers Josef Kun, dessen Name vielen Hombergern spontan einfällt, sind ein Synonym für die Weißen Riesen. Auch heute noch löst die Idee Mitte der 70er Jahre, die Siedlung dem Erdboden gleichzumachen, Kopfschütteln und Entsetzen aus.
„Wenn der verstorbene CDU-Ratsherr Alois Fischer, der so sehr dafür gekämpft hat, dass keine Hochhäuser entstehen, die Sprengung heute erlebt hätte, er würde sich riesig freuen“, sagt Ernestine Hartmann. Widerstände gegen die Weißen Riesen habe es auch damals schon genügend gegeben.