Duisburg-Rheinhausen. 1979 fing sie an – jetzt geht Nähreferentin Wiltrud Bartels in den Ruhestand. Hunderte erlernten bei ihr den Umgang mit Nadel und Faden.

Wiltrud Bartels geht nicht gern. 42 Jahre sind lang, ein halbes Leben. Um so schwerer fällt ein Abschied. Als Referentin der ersten Stunde hat die gelernte Schneiderin das Katholische Bildungsforum Duisburg-West von Anfang an begleitet und vielen hundert Frauen das Nähen beigebracht. Eine Institution mit Nadel und Faden. Jetzt hat sie Blumen bekommen, einen dicken Strauß. Über ein Jahr versuchte Fachbereichsleiterin Claudia Fuest, sie umzustimmen, um sich dann doch geschlagen zu geben. Wiltrud Bartels hört auf, der Entschluss steht fest. Der Rücken macht Probleme.

Kreuzstich, Plattstich, Kettenstich

Jetzt sitzt sie da, die elegante Dame aus Moers, das Herz voller Geschichten. 40 Jahre Nähreferentin - das sind immer neue Röcke, Kleider, Hosen. Das sind Plattstiche, Kreuzstiche und Kettenstiche über Kilometer hinweg - Bündchen, Krägen, Rüschen und Volants am laufenden Band. Viele tausend Kleidungsstücke.

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Und viele tausend Ratschläge. Ob eine Bekannte mit einer halb fertigen Bluse kommt oder eine frühere Schülerin mit dem Hochzeitskleid der Tochter - Frau Bartels kriegt das hin. Ein schwarz-rot-goldenes Abendkleid in Fußball-WM-Zeiten für die Enkelin? Kein Problem. Ein Tipp für ein Hosen-Umsäumen per Hand? Mit flottem Kniff wird die Tischdecke in Falten gelegt. „Schauen Sie: Da müssen Sie dann langnähen.“

Stillleben in Wiltrud Bartels Keller in Moers. Hier steht auch ihre Nähmaschine - für alle Fälle.
Stillleben in Wiltrud Bartels Keller in Moers. Hier steht auch ihre Nähmaschine - für alle Fälle. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Wie viele Teilnehmerinnen sie hatte, weiß sie nicht. Aber das Wichtigste: „Alle können perfekt nähen.“ Bartels hat in der ehemaligen Landfrauenschule Moers unterrichtet, in der Moerser VHS und in St. Marien, Rumeln. Sie gab Abendkurse und Tagesunterricht und ist dafür zig Kilometer mit dem Auto gefahren. Allein für das Katholische Bildungsforum an der Händelstraße in Rheinhausen war sie zweimal wöchentlich im Einsatz, montags und donnerstags, je 3,5 Stunden, zwölf Schülerinnen, konstant. Ein strammes, heiß geliebtes Pensum. „Ich habe das mit ganzem Herzen gemacht.“ Der Job hat auch ihr in schweren Zeiten Kraft gegeben.

Wiltrud Bartels war bei ihrem Antritt 1979 eine Idealbesetzung

Heute ist sie 83. Als sie anfing, 1979, ging der Katholische Bildungsträger an den Start und suchte unter anderem Nähreferentinnen. Wiltrud Bartels hatte vor der Familienpause eine Ausbildung in einer Rheinberger Damenschneiderei gemacht, außerdem eine zur Schnitttechnikerin.

Unterrichtserfahrung brachte sie mit, aus einer Zeit in der Nähschule Krupp. Eine Idealbesetzung also. Trotzdem war sie aufgeregt, als sie das erste Mal vor „ihren“ Frauen stand. „Alle gucken Sie an. Alle wollen was von Ihnen. Aber dann lief es einfach.“ Alle waren nett. Und bald lag das erste Ergebnis da, ein Glockenrock mit Weste, Karomuster. Nicht einfach, schmunzelt Bartels: „Die Karos müssen ja an der Seite aneinander passen.“

Es gibt immer eine Lösung!

Am Ende hat sie immer eine gute Lösung gefunden. Und dabei die Leben und Kleiderschränke der Region gleichermaßen bereichert. Markenzeichen wurden ihre Grundschnitte, wie sie schildert - einige wenige reichen, die nach Vorstellung und Maßen abgeändert werden können. So machen es die Profis. Vorteil für ihre Teilnehmerinnen: Sie brauchten sich nicht mit Schnittmustern herumzuschlagen, die aussehen wie die Schaltpläne von Operationsverstärkern. Ein Foto, und Wiltrud Bartels weiß, wie es geht. Und eine geschmackssichere Beratung, die gab es gratis dazu.

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Mode und Stoffe änderten sich. Wiltrud Bartels arbeitet noch immer gern mit „schönen Fasern“, Gewebe wie Wolle und Seide, wobei sie inzwischen auch die Vorteile der Kunstfaser zu schätzen weiß. Konstant blieb die Struktur der Kurse. Die meisten Teilnehmerinnen sind zwischen 40 und 50, viele kamen über Jahrzehnte.

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Übrigens ausschließlich Frauen. Wobei sie das Nähen jedem beibringen kann, „der gewillt ist“, versichert die Fachfrau. Geduld braucht man - und die Bereitschaft, gegebenenfalls alles wieder aufzutrennen und neu anzufangen. „Es beginnt immer mit einer geraden Naht an der Nähmaschine.“

Die Nähmaschine steht auch weiterhin bereit

80 Prozent ihrer Garderobe hat Bartels selbst gefertigt, auch das schöne Twinset, das sie trägt: taupefarben, fließend, wie aus der Modezeitschrift. Von der Stange kaufen mag sie nicht mehr. Beim Shoppen mit dem Enkel packt sie das Grauen. Krumm und schief ist die Massenware zugeschnitten, viel zu knapp kalkuliert: „Wie kann das auch sonst gehen, bei einem Preis von 3,50 Euro für ein T-Shirt?“

Wiltrud Bartels hätte gern weitergemacht, aber das krumme Arbeiten am Zuschneidetisch fiel ihr zusehends schwerer. Die Nähmaschine im Keller steht jedoch immer bereit. Auch künftig. Für alle Fälle.